Samerberg – Der letzte Weg hat Susanne (29) dorthin geführt, wo ihr Herz immer zu Hause war – in die Berge. So steht es auf dem Sterbebild der jungen Frau vom Samerberg. Schließlich sei ihre Liebe für die Berge entstanden, da war Susanne noch nicht mal auf der Welt, sagt Burgi Bliemetsrieder. „Als ich schwanger war, bin ich oft zum Wandern gegangen, da war sie im Bauch dabei“, erinnert sich die Mutter der 29-Jährigen.
Sie sitzt gemeinsam mit ihrem Mann Karl und Georg, dem Freund ihrer Tochter, am Esstisch ihres Hauses am Samerberg. Überall im Zimmer stehen Beileidskarten, Kerzen und Bilder von Susanne.
Schon früh in den
Bergen unterwegs
Die junge Frau verlor Ende Juni beim Abstieg vom Gipfel des Gigalitz im Zillertal auf tragische Weise ihr Leben. Ausgerechnet in den Bergen. Dort, wo Susanne viel Zeit verbracht hat. Mit ihrem Georg, Freunden oder auch alleine. Entweder beim Wandern, Klettern oder beim Skifahren. „Sie war eine super Sportlerin“, sagt Karl. Schon als Kind sei sie jede Piste ohne Mühe heruntergefahren, gewann Rennen und machte die Skilehrerausbildung. Nachdem sie Georg kennengelernt hatte, hätten es ihr die hohen, „richtigen“ Berge angetan. „Zu ihrem Geburtstag waren wir auf dem Großglockner“, erzählt Georg. Besonders die Gipfel in Osttirol mochte die Samerbergerin.
Bei jeder Tour stand aber die Vernunft an erster Stelle, sagt ihre Mama. Angst um ihre Tochter hätten sie nie gehabt. Susanne habe alles im Detail durchgeplant, nichts dem Zufall überlassen, geschweige denn nach einem Adrenalinkick gesucht. „Sie hat immer vorher schon gewusst, wie lange die Tour dauert, was wir beachten müssen oder sich angeschaut, wo wir unsere Fahrräder parken können“, betont Georg. Wenn etwas nicht gepasst hat oder das Wetter schlecht gewesen ist, fiel die Bergtour eben aus.
An solchen Tagen ging Susanne ihren anderen Leidenschaften nach – entweder nähte sie sich Dirndl, bemalte Keramik, unternahm was mit Freundinnen oder war in der Natur unterwegs. „Sie hat sich an den kleinen Dingen des Lebens erfreut“, sagt ihr Papa. Selbst in jedem Stein oder jeder Blume habe sie etwas Schönes gesehen. Genauso wie in jedem Menschen.
„Sie war für jeden da, herzlich, offen und immer hilfsbereit“, sagt Georg. Und sie habe jeden mit ihrer Fröhlichkeit angesteckt. „Als wir einmal wandern waren, hat sie einer wildfremden Frau, die allein unterwegs war, plötzlich ein Kompliment für ihr buntes T-Shirt gemacht. Die Wanderin hat sich darüber so gefreut, das war schön“, erzählt Georg. Susanne seien eben Dinge aufgefallen, die sonst niemand bemerkt hat. Dafür habe sie ein besonderes Gespür gehabt.
Vor allem für Schwächere und Ärmere habe sich die Samerbergerin eingesetzt. „Schon in der zweiten Klasse war das so“, sagt Karl und lacht. Er zeigt auf ein Jahreszeugnis von Susanne. Dort steht: „Sie war stets bereit, schwächeren Mitschülern zu helfen, und war fähig, sich bei Streitigkeiten vermittelnd einzusetzen.“ Das habe sich durch ihr ganzes Leben gezogen. Besonders stolz ist er darauf, dass Susanne immer mutig war und Zivilcourage gezeigt hat, wo andere weggeschaut haben.
So sei für Susanne nach der Realschule klar gewesen, dass sie für zehn Monate alleine nach Brasilien geht – mit 16 Jahren. „Vor der Abreise hat sie uns nur gesagt: ‚Da geht es den Leuten nicht so gut – da will ich hin‘“, erzählt ihr Papa. Auch die anderen Teile der Welt wollte Susanne sehen. „Sie hat in ihren 29 Jahren schon 44 Länder bereist“, sagt Karl. Von Island über Indien nach Peru und Bolivien.
„Wir sind zusammen sehr viel rumgekommen“, sagt Georg, während er durch eines der zahlreichen Fotobücher der gemeinsamen Urlaube blättert. Susanne sei „eine kleine Entdeckerin“ gewesen, sagt er. Dann wird er leise: „Eigentlich wollten wir im Herbst auf die Philippinen, da hat Susanne schon angefangen, bis ins Detail zu planen.“ So wie alle anderen Reisen zuvor auch. Wichtig sei ihr dabei immer gewesen, mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen. „Einmal hat sie einem Reisbauern sogar bei der Feldarbeit geholfen“, erzählt ihr Freund.
Genau diese Hilfsbereitschaft und ihr unermüdlicher Einsatz machten sie auch bei der Arbeit im Portlandzementwerk in Rohrdorf „extrem beliebt“. „Mit kleinen Dingen hat sie das Leben aufgefrischt“, sagt ihre Mama. Ein kleiner Scherz da, ein kurzer Streich hier.
Die Samerbergerin habe für ihr Leben gern ihre Mitmenschen „getratzt“. „Die Susanne hat lachen können, bis ihr die Tränen gekommen sind“, erinnert sich Burgi. Ihre Tochter habe jeden Moment des Lebens genossen. Ihr Motto: „Mach das, was dich glücklich macht.“
Die Sonne ist
untergegangen
Den Spruch habe Susanne ihm ganz oft am Abend gesagt, erinnert sich Georg. Daran müsse er zurzeit viel denken. „Wenn Susanne in einen Raum gekommen ist, dann war schlagartig gute Laune“, er. Ungefähr so, als ob die Sonne aufginge. So sei die Samerbergerin auch zu ihrem Spitzamen „Sanni“ – wie sunny (englisch für sonnig) – gekommen. Ihre Lebensfreunde fehle jetzt an allen Ecken und Enden, sagt Georg, während er das Selfie vom Gipfel betrachtet, das nur kurz vor dem schrecklichen Unfall entstanden ist.
Erst vor einiger Zeit hat er in seiner Tiroler Heimat in Söll eine Wohnung für die beiden ausgebaut. Und sie hätten Pläne für die Zukunft geschmiedet. „Sie hat ihr eigenes Büro fürs Homeoffice bekommen und wir haben zwei Kinderzimmer geplant“, sagt Georg. Die Lücke, die „Sanni“ nun hinterlässt, ist riesig. Für ihn, ihre Eltern und alle Menschen, die Susanne kannten.