Brannenburg – Wer in Brannenburg in die kleine Kirche Sankt Ägidius geht, sieht zunächst, dass er nichts sieht. Zumindest als Laie keine Restaurierung, in die mehr als 100000 Euro geflossen sind. Und genau deshalb ist die komplette Erneuerung des dortigen Chorgestühls jeden Cent aus dieser Summe wert. Denn Spitzenleistungen in Sachen Restaurierung zeichnen sich eben genau dadurch aus – dass hinterher nichts Neues zu sehen ist, sondern alles so ausschaut, als hätte seit Jahrhunderten keiner dort Hand angelegt.
Gefahr des Verfaulens
erkannt und gebannt
Dass es überhaupt zu dieser Rettungsaktion des 280 Jahre alten Gestühls kommen konnte, ist einer, nein, eigentlich gleich mehreren glücklichen Fügungen zu verdanken. Denn es gab da ein Forschungs- und Publikationsprojekt zur Familie Perthaler, ein Kunsthandwerkergeschlecht aus Brannenburg, das über vier Generationen hinweg mit seinen Arbeiten das Inntal prägte: Kirchenausgestaltungen waren ihr Geschäft, auch Hochzeitsmöbel, die damals als Bestandteil der Aussteuer ein wichtiges Statussymbol waren und deren Güte und Qualität belegte, wie wohlhabend die Braut war. Auch für die Möblierung und Innenausstattung der Schlösser Brannenburg und Neubeuern – jeweils für die Vorläufer der heutigen Bauten – waren die Perthalers gefragt.
Nun war es so, dass sich die Leiterin dieses Forschungsvorhabens, die Kunsthistorikerin Professor Dr. Gerdi Maierbacher-Legl zur Unterstützung an das bayerische Landesamt für Denkmalschutz gewandt hatte, dort an Dr. Katharina von Miller, die Leiterin des Referats Restaurierung. Gemeinsam schaute man sich die Kirche Sankt Ägidius an, sozusagen die Hauskirche der Perthalers, die nur einen Steinwurf entfernt wohnten. Und den kundigen Augen der Fachleute fiel sofort auf, dass das dortige Gestühl nicht nur in einem schlechten Zustand war – dies die Zustandsbeschreibung, die man auch als Laie hätte abgeben können – sondern dass hier wirklich sofortiger Handlungsbedarf bestand: Das Gestühl war in Gefahr, von seinem Fundament her zu verfaulen.
Rudolf Hitzler, der Verwaltungsleiter der Pfarrgemeinde, setzte sich daraufhin sogleich mit dem Kunstreferat der Erzdiözese in Verbindung – mit der Bitte, eine Expertise über den tatsächlichen Umfang der Schäden und eine Kostenabschätzung zu deren Behebung abzugeben. Das für die Pfarrgemeinde ernüchternde Ergebnis: Um die 100000 Euro werde es wohl kosten – wenn man wirklich gleich handele.
Stiftung wird
zum Nothelfer
Dies war eine Summe, die die Pfarrgemeinde keinesfalls, aber auch nicht die Erzdiözese und auch nicht das Landesamt für Denkmalschutz hätten aufbringen können. Doch jetzt kommt der eigentliche Nothelfer ins Spiel, die Messerschmitt-Stiftung mit ihrem Vorstandsvorsitzenden Dr. Hans Heinrich von Srbik. Auf den Fluren des Landesamtes für Denkmalschutz sind Hans Heinrich von Srbik und die Messerschmitt-Stiftung natürlich bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Aber als Laie hat man in der Regel noch nie von ihnen gehört.
Dabei hilft sie schon seit 1969 bei dem Erhalt von Bausubstanz, die ohne ihren Einsatz wohl verloren wäre. Hans Heinrich von Srbik sagt dazu: „Vorrang haben die Fülle mittlerer und kleinerer Kunstdenkmäler, für die zwar in steigendem Maße Interesse, aber kaum ausreichende Mittel vorhanden sind. Gerade diese Kunstdenkmäler aber machen in ihrer Gesamtheit die so reiche Kulturlandschaft aus, in der wir leben. Wir achten deshalb auch darauf, dass die Gebäude nicht einen rein musealen Charakter bekommen. Es soll vielmehr eine zeitgemäße Nutzung der Objekte im Vordergrund stehen.“
Und für alle, die jetzt fragen: Ja, der Gründer der Stiftung ist tatsächlich der berühmte Flugzeugkonstrukteur Willy Messerschmitt. Dieser habe, so erzählt Hans Heinrich von Srbik, eigentlich eine Flugzeugstiftung ins Leben rufen wollen. Sein Vater, der ein enger Vertrauter von Messerschmitt gewesen sei, habe diesem aber gesagt: „Mit Flugzeugen bringt Dich jeder in Verbindung, da bist Du schon unsterblich. Du musst etwas anderes machen.“ Und weil Messerschmitt durchaus auch eine künstlerische Ader gehabt habe, sei eine Stiftung daraus geworden, die sich um aktiven Denkmalschutz überall dort kümmert, wo sonst keine öffentlichen Mittel zur Verfügung stehen.
Komplett neue
Unterkonstruktion
Von der Stiftung berücksichtigt zu werden, das wurde bei dem kleinen Festakt zum Abschluss der Restaurierungsarbeiten deutlich, ist wie ein Sechser im Lotto. Denn die Stiftung gibt nicht nur Zuschüsse, sie finanziert das jeweilige Vorhaben ganz und gar. Und dies so, dass die beteiligten Handwerker und Fachkräfte ihre Rechnungen direkt an die Stiftung schicken, die diese – anders als es nicht selten bei der öffentlichen Hand der Fall ist – umgehend bezahlt.
Und zu tun war viel in Sankt Ägidius bei Brannenburg: Das Gestühl musste ganz entfernt werden, um seine Unterkonstruktion komplett erneuern zu können. Dies so, dass überall dort, wo das Holz sichtbar ist, auf den Bestand zurückgegriffen wurde: Bodendielen im Gestühl wurden – vereinfacht gesagt – etwa auf ihrer Unterseite aufgedoppelt, um den alten Gestühlboden zu erhalten, aber doch mit genügend Tragfähigkeit zu versehen. Von den Arbeiten zum Erhalt der Bemalung des Gestühls ganz zu schweigen.
Nicht nur die Güte der Restaurierungsarbeiten, ausgeführt von Max Knidlberger und betreut vom Bayerischen Landesamt für Denkmalschutz, hat Hans Heinrich von Srbik begeistert. Sondern nicht zuletzt auch die Tatsache, dass viele freiwillige Helfer aus der Pfarrgemeinde das alte Erdreich unter dem Gestühl entfernt und dafür eine neue Kiesschüttung eingebracht hatten: Er sagte: „So ein Einsatz bezeugt, dass diese Gemeinde noch lebendig ist. Und das wiederum ist die Garantie dafür, dass hier ein Gotteshaus und keine leere Hülle restauriert wurde.“