Rott – Frage-Antwort, Frage-Antwort: Zweieinhalb Stunden ging das so in der Turnhalle der Grund- und Mittelschule Rott. Landrat Otto Lederer im Kreuzverhör. Die Tatsache, dass die große Flüchtlingsunterkunft für bis zu 270 Bewohner nach zwei Jahren Kampf vor zwei Wochen doch in Betrieb genommen wurde, nehmen ihm viele Rotter übel. Es gab Buh-Rufe, Vorwürfe, auch persönliche Angriffe.
Harte Diskussion
ohne Eskalation
Doch trotz aller Auseinandersetzungen verlief die Diskussion diszipliniert. Der Ton: hart, aber nie eskalierend. Und zum Schluss gab es Applaus für alle, die sich ans Mikrofon gestellt hatten: für Bürgermeister Daniel Wendrock und zahlreiche Besucher, die das Wort ergriffen – und sogar für Lederer.
Die Gemeinde hatte selber viel dafür getan, dass die Informationsveranstaltung nicht abdriften konnte. Nur Einheimische durften teilnehmen. Jeder, der in die Halle wollte, musste sich ausweisen. Störenfriede von außen blieben so fern.
Drei Vertreter einer Pro-Asyl-Initiative demonstrierten vor der Tür mit einem Banner, eine leise Kundgebung. Mediator Michael Funk führte durch den Abend, hatte jedoch keinerlei Anlass, einzuschreiten. Was überraschte: Ein paar Stühle blieben leer.
Hat sich die Gemütslage in Rott beruhigt? Mitnichten. Die Rotter, die da waren und sich zu Wort meldeten, sind sauer. Das Hauptargument der Kritiker: die in ihren Augen fehlende Transparenz zur Frage, warum das Landratsamt an der Einrichtung in der früheren Industriehalle im Gewerbegebiet Am Eckfeld trotz von der Kommune angebotener Alternativen festhalte, warum die Behörde ein kleines Dorf wie Rott über Maßen mit einer großen Ankunftseinrichtung überlaste, warum der Landkreis nicht darauf dränge, dass die Geflüchteten paritätisch über alle Kommunen verteilt werden. „Oberflächlich und unzureichend“ seien die Antworten des Landrats gewesen, zog Klemens Seidl von der Bürgerinitiative „Rott rottiert“ nach zweieinhalb Stunden frustriert Bilanz. Zu oft habe der Landrat die Begriffe „versuchen“ und „bemühen“ benutzt.
Lederer sieht keinen anderen Weg. Dem Landratsamt seien in vielen Punkten die Hände gebunden. Die Gesetzgebung zur Flüchtlingspolitik liege beim Bund, die Verteilung verlaufe vom Bund auf die Länder, dann auf die Regierungsbezirke, schlussendlich auf die Landkreise. Rosenheim bekomme alle zwei Wochen 50 Geflüchtete zugewiesen und habe sie unterzubringen. Eine Verteilungsquote nach Einwohnerzahl in den Kommunen gebe es im Freistaat nicht.
Der Mietmarkt sei sehr angespannt, das Landratsamt müsse, wolle es die beiden Turnhallen in Raubling und Bruckmühl endlich wieder freibekommen, auf Angebote wie jene Industriehalle in Rott zurückgreifen. „Ich weiß auch, dass das Objekt nicht ideal ist“, räumte Lederer ein.
Dass es sich um ein unbewohnbares „Schrottgebäude“ handele, wie es Ferdinand Scheidegger, ein ehemaliger Mitarbeiter des früher hier tätigen Lampenherstellers behauptete, wies Lederer jedoch zurück. Ebenso die Kritik der Bürgerinitiative „Rott rottiert“, hier seien die Geflüchteten und Asylbewerber menschenunwürdig untergebracht.
Trotzdem stellte Christian Franke eine provokante Frage, für die es viel Applaus gab: Dass das Landratsamt an der Immobilie festhalte, obwohl es Alternativangebote gegeben habe, lasse ihn vermuten, beim Mietvertrag sei die Rücktrittsklausel vergessen worden. Und Gemeinderat Max Zangerl wies auf den in seinen Augen bestehenden Widerspruch hin, dass zwei Jahre Miete gezahlt worden sei vor der ersten Belegung, aber Alternativangebote der Gemeinde aus Gründen der Wirtschaftlichkeit von der Regierung von Oberbayern abgelehnt worden seien.
Mehrfach wurde Lederer von Bürgern aufgefordert, die Inhalte des Mietvertrags offenzulegen. Der Landrat verwies auf die Tatsache, dass es sich um einen privatrechtlichen Vertrag handele, deren Informationen nicht weitergegeben werden dürften.
Offenlegung von Fakten forderten Mitglieder der BI, wie ihr Sprecher Nepomuk Poschenrieder und Günther Hein, auch zur Verteilung der Geflüchteten und Asylbewerber auf die Landkreiskommunen. Es stimme, dass drei Viertel aller Orte unter dem Schnitt lägen, ein Viertel darüber, räumte Lederer ein. Auch er sei für eine gleichmäßigere Verteilung, um Kommunen wie Rott nicht übermäßig zu belasten, doch er habe keine gesetzliche Handhabe.
Rotts Bürgermeister will dies nicht akzeptieren: Die Verteilung könne und müsse auch auf Landkreisebene nach einem Einwohnerschlüssel möglich sein. Wenn es vom Gesetzgeber dafür keine Regelung gebe, hätte Lederer als Landrat die Möglichkeit, selber zu handeln, mit Nachdruck weiterverfolgen müssen. Stattdessen werde die Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten den „Freiheiten des Immobilienmarktes“ überlassen.
Wendrock pochte darauf: „Es gibt keinen Grund, die Zahlen der Verteilung nicht zu veröffentlichen.“ Die Bürgermeister-Dienstbesprechung habe sich mehrheitlich gegen die Veröffentlichung ausgesprochen, so Lederer. Er versprach, die Thematik bei der nächsten Dienstbesprechung mit den Rathauschefs erneut zur Abstimmung zu bringen.
Mehr Transparenz forderten mehrere Bürger auch zur Befristung der Belegung. Die Baugenehmigung des Landratsamtes gelte bis zum 30. September 2028, teilte Lederer mit.
Das habe er dem Bürgermeister schriftlich zugesichert. Wendrock bestätigte, kürzlich eine solche Zusicherung per Mail erhalten zu haben. Doch das sei ein Versprechen in Form eines Verwaltungsakts, der Gemeinderat fordere mit Recht eine vertragliche Absicherung mit Festlegung einer Vertragsstrafe, wenn es anders komme. Viele befürchten, dass es eine Nachfolgenutzung geben könnte.
Warum überhaupt schon mit der Belegung begonnen worden sei, wenn doch die Klagen noch gar nicht beschieden worden seien, fragten Bürger. Das Landratsamt habe mit der Inbetriebnahme gemeinsam mit der Regierung von Oberbayern Fakten geschaffen, obwohl die Entscheidung in letzter gerichtlicher Instanz vor dem Verwaltungsgerichtshof München noch ausstehe, ärgerte sich auch Wendrock. Die dort vorliegende Beschwerde habe keine aufschiebende Wirkung, erklärte Lederer. Dass mittlerweile fünf Kommunen im Landkreis den Klageweg beschreiten, akzeptiert er. In einem Rechtsstaat stehe dies jedem frei, betonte er.
Wendrock hofft, doch noch vor Gericht Gehör zu finden für die Argumente der Kommune: Die Einrichtung überfordere die Infrastruktur, die Immobilie sei unpassend, das Sicherheitskonzept, vor allem auch in puncto Brandschutz, unzureichend. Die Ankunftseinrichtung drohe die Wasserver- und Abwasserentsorgung zu überlasten, was sich auf ein dringend benötigtes neues Baugebiet und einen für den Haushalt wichtigen Grundstücksverkauf auswirken könne.
Der Brandschutz sei gewährleistet, derzeit dank eines wieder gestiegenen Grundwasserpegels auch die Wasserversorgung, so Lederer. Das sah Wasserexpertin Marianne Sandner anders: Sie spricht angesichts der überlasteten Kläranlage und Grundwasserproblematik von einem „No-Go“.
Lederer versprach auf Anfragen mehrfach, die Rotter Einrichtung sei eine reine Ankunftseinrichtung. Hier würden dem Landkreis zugewiesene Flüchtlinge und Asylbewerber lediglich bis zu drei Monate bleiben.
Die Kinder würden also auch nicht vor Ort zur Schule gehen. Das wiederum mochte der Bürgermeister nicht glauben, denn die Schulpflicht beginne nach drei Monaten ab Ankunft in Deutschland, nicht ab Ankunft in der Erstaufnahme-einrichtung. Sorgen machen sich viele um die Sicherheit, trotz rund um die Uhr tätigem Security-Dienst. Gäste der Veranstaltung berichteten, sie seien im Umfeld der Unterkunft um Essen angebettelt worden.
Solche Vorkommnisse waren dem Landrat nicht bekannt, der darauf hinwies, dass es drei Mahlzeiten pro Tag gebe, also keinen Grund, um Essen zu bitten. Er ergänzte, dass die ärztliche Versorgung die Praxen in Rott und Umgebung nicht, wie befürchtet, überlasten werde, weil Mediziner Sprechstunden in der Unterkunft anbieten würden.
Diese Infos führten im Gegenzug dazu, dass Gemeinderat Hans Gilg die „Vollkasko-Mentalität“ bei der Flüchtlingsunterbringung ansprach. Es werde für die Bewohner gekocht, geputzt, sie bekämen eine ärztliche Versorgung. Der Landrat verwies auf die Notwendigkeit, humanitäre Standards bei der Versorgung einzuhalten. Und betonte: „Glauben Sie mir, ein Wohlfühltempel ist diese Einrichtung mit Sicherheit nicht.“ Er verwies generell darauf, dass es in puncto Kriminalität in den Unterkünften in den Turnhallen keinerlei Auffälligkeiten gegeben habe.
Vorwürfe und versöhnliche Worte
Professor Dr. Stefan Schropf, Chefarzt am InnKlinikum Mühldorf und Einwohner in Rott, bemühte sich zum Abschluss um einen versöhnlichen Ausklang: Es sei viel kritisiert worden in der Veranstaltung, doch das dürfe nicht zulasten der Menschen gehen, die in der Unterkunft untergebracht würden. „Leute, die Asyl suchen, sind keine schlechteren Menschen.“
Lederer hatte zuvor noch eine Warnung vorweg geschoben: Auf die Frage, was er aus dem Fall Rott gelernt habe, antwortete er, die Thematik sei auch dazu genutzt worden, um Stimmung zu machen. Und es habe sich gezeigt, dass die Gefahr entstehe, dass es nicht mehr kontrollierbar sei, „wer dieser Stimmung hinterherläuft.“ Dafür erntete er Buh-Rufe.