Paten schenken Schülern eine Zukunft

von Redaktion

Wenn Schüler aus dem Landkreis Rosenheim Hilfe brauchen, können sie auf die Ehrenamtlichen des Patenprojekts „Jugend in Arbeit“ bauen. Zum Schuljahresabschluss trafen sie sich mit ihren Schützlingen bei den Hagelfliegern in Vogtareuth. Warum sie dabei abhoben, und welche Geschichten hinter den Patenschaften stecken.

Rosenheim/Vogtareuth – Das kleine Flugzeug sinkt immer wieder ein wenig ab, schaukelt hin und her. Kein Wunder, über Vogtareuth weht eine kräftige Brise. Die beiden Buben auf den hinteren Sitzen, die lieber anonym bleiben möchten, stört das aber nicht. Sie haben viele Fragen an Pilot Uwe vom Motorfliegerclub Rosenheim, der sogar extra über ihre Heimatgemeinden fliegt. „Da ist unser Haus“, ruft einer der Buben aufgeregt, als aus dem Fenster der Cessna 172 Skyhawk gerade Eggstätts Häuser zu sehen sind.

Dass die beiden heute alles mal aus der Vogelperspektive betrachten können, haben sie Kerstin Stock zu verdanken. Sie hat im Rahmen des Patenprojekts „Jugend in Arbeit“ einen Tag bei der Hagelabwehr in Vogtareuth organisiert – inklusive Rundflug bis zum Chiemsee und wieder zurück. Finanziell unterstützt haben dabei die Gemeinden Prutting, Bad Endorf, Stephanskirchen sowie die Gemeinden des Mittelschulverbandes Prien. Stock selbst leitet das Patenprojekt, das es schon seit 19 Jahren im Landkreis Rosenheim gibt.

Ehrenamtliche Unterstützung

„Unsere Paten unterstützen Jugendliche, vorrangig aus Mittelschulen, in Vorbereitung auf den Schulabschluss und bei der Berufsorientierung“, erklärt die Projektleiterin. Die Bildung der Patenschaften erfolge vor allem durch den Kontakt zwischen Lehrern oder Sozialpädagogen der jeweiligen Schule und dem Projekt. „Es ist freiwillig seitens der Paten und seitens der Schüler“, betont Stock. Die Paten übernehmen diese Aufgabe ehrenamtlich. So wie Felix. „Ich wollte der Gesellschaft einfach etwas zurückgeben“, sagt der junge Mann, der seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Seit etwa drei Jahren ist er Pate. Dieses Jahr hat er den Schüler Darush auf dem Weg zum Hauptschulabschluss begleitet. Wenn Felix und Darush nebeneinander stehen, könnte man sie fast verwechseln. Sie tragen beide ein simples T-Shirt und die gleiche Sonnenbrille, haben die Hände in den Hosentaschen.

Darush kommt aus Afghanistan. „Am Anfang war vor allem die sprachliche Barriere schwierig“, erzählt Felix. Zuerst hätten sie sich auf Englisch unterhalten, das habe recht gut funktioniert. „Wir haben dann aber schnell zu Deutsch gewechselt, weil Darush das ja lernen sollte“, betont sein Pate. Aber nicht nur in Deutsch gab er ihm Nachhilfe, auch in Mathematik unterstützte er. Und sogar beim Einkaufen. „Wir sind gemeinsam einkaufen gegangen, damit Darush sieht, wie es hier funktioniert, und was es so gibt“, erzählt Felix.

Für ihn sei es schön gewesen, Darushs Entwicklung mitzuerleben. „Er konnte sich immer mehr integrieren, auch im Sport. Er hat Freunde gefunden.“ Und dieses Jahr hat Darush seinen Quali mit 2,3 bestanden. Er wird jetzt die Mittlere Reife machen und danach auf die FOS gehen. Dann stehen ihm alle Wege offen. Er kann sich für eine Ausbildung oder ein Studium entscheiden. „Vielleicht bleiben wir auch dann noch in Kontakt“, sagt Felix.

Auf Darush und Felix ist Projektleiterin Kerstin Stock besonders stolz. Vor allem, weil dieses Jahr für die rund 200 Paten mal wieder alles andere als leicht war. „Der Bedarf an den Schulen ist viel höher als die Zahl der ehrenamtlichen Paten“, sagt sie. Eigentlich bräuchten ihr zufolge noch viel mehr Schüler Unterstützung.

„Die Gründe dafür sind unterschiedlich“, sagt Stock. Es sei schon immer so gewesen, dass sich vor allem Mittelschüler mit Unterstützung beim Lernen leichter tun. „Wir haben natürlich auch viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, die in Deutsch Nachholbedarf haben“, betont sie. Oft seien aber auch soziale Probleme die Ursache für Hilfebedarf. „Beispielsweise, wenn die Eltern wenig Zeit haben.“

Mit den Paten treffen sich die Schüler in der Regel einmal pro Woche. Bei diesen Treffen können sie eigentlich alles machen. „Klar dreht sich vieles um die Schule, aber manchmal reden sie auch einfach nur, gehen spazieren oder schwimmen. Da gibt es keine Regeln“, erklärt Stock. Und deshalb kann auch jeder Pate werden, der gerne mit Jugendlichen zusammenarbeitet und etwas unternimmt. „Ich würde mir wünschen, dass wir noch mehr Ehrenamtliche finden“, sagt sie. Das sei auch für die Schulen im Landkreis Rosenheim sehr wichtig.

Zum Abschluss des Schuljahres treffen sich die Patengruppen und unternehmen etwas mit ihren Schülern. Beim Treffen der Patengruppen in Vogtareuth aus den Gemeinden Bad Endorf, Stephanskirchen und Prien ist die Stimmung locker. Schüler und Paten plaudern miteinander, tauschen sich aus. „So bekommt man nochmal eine andere Perspektive, eine zweite Meinung“, erklärt eine Patin. Das brauche es manchmal einfach.

Unter den Paten ist auch Gottfried Thalmeier aus Rosenheim. Er ist in Stephanskirchen tätig. „Dort gibt es viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, die mit großen Familien in kleinen Wohnungen leben“, so Thalmeier. Viele hätten nicht einmal eigene Zimmer. „Es ist so wichtig, dass sich jemand um diese Jugendlichen kümmert.“

Sein aktueller Schüler kommt aus der Ukraine, seine Eltern sprechen wenig bis gar kein Deutsch. „Die können ihm auch nicht helfen“, sagt Thalmeier. Bis vor Kurzem betreute er noch zwei 15-jährige Mädchen. „Ich konnte ihnen jetzt sogar Lehrstellen vermitteln“, erzählt er. Eine der beiden wird in der Gastronomie eine Ausbildung machen, die andere in einer Zahnarztpraxis. „Wer soll denn sonst helfen?“, fragt er sich. Es sei enorm wichtig, dass es genug Paten für alle Schüler gibt, bei denen Hilfebedarf besteht.

Beim Treffen in Vogtareuth gibt Andrea Lindner, die Hagelabwehr-Chefin, den Besuchern eine kleine Führung. Sie erklärt, wie sie und ihre Kollegen die Wolken „impfen“, um den Hagel zu bekämpfen. Viele der Schüler werfen interessiert einen Blick in die „Gity“, einen der beiden Hagelflieger. Anschließend wird gegrillt. Und wer möchte, darf mit Pilot Uwe vom Motorfliegerclub Rosenheim abheben.

Rundflug
mit der Cessna

So wie die beiden Jugendlichen, die gerade auf der Rückbank der Cessna sitzen. Immer wieder stellen sie Fragen, wollen wissen, wie hoch das Flugzeug fliegt. „Etwa 1000 Meter sind wir über dem Boden“, erklärt Uwe. Wie lang denn der Tank jetzt noch reichen würde, fragt einer der Jungs. „Bis nach Hamburg würden wir schon noch kommen“, antwortet der Pilot.

So weit wird die Reise für die beiden heute aber nicht mehr gehen. Stattdessen steuert das Flugzeug kurz darauf wieder die Landebahn in Vogtareuth an. Als die Maschine aufsetzt, rumpelt es kurz. „Ein bisschen schlecht ist mir schon“, sagt einer der Schüler beim Aussteigen und lacht. „Aber es war total cool“, da sind sich die zwei einig.

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