Chiemsee – Vor über einem Jahrhundert entbrannte in Eggstätt und Hemhof ein bemerkenswerter Streit um die Nutzung der Wasserkraft – ein Konflikt, der sich über drei Jahrzehnte hinzog und letztlich nicht nur technische, sondern auch gesellschaftliche und ökologische Fragen aufwarf.
Im Zentrum stand die Idee, die Eggstätt-Hemhofer Seenplatte zur Stromerzeugung zu nutzen – ein Vorhaben, das nie realisiert wurde, aber tiefe Spuren in der Geschichte der Region hinterließ. Daran erinnert sich Hans Fritz aus Bad Endorf, der in Rimsting-Stetten nahe der Seen aufwuchs und sich an die Erzählungen seiner Vorfahren erinnert.
Vision einer Zukunft
mit eigener Elektrik
„Um das Jahr 1895 stellte ein Betreiber den Antrag, zwei Wasserkraftwerke zu errichten: Eines zwischen dem Langbürgner See und dem Stettner See, ein weiteres zwischen dem Stettner See und dem Chiemsee“, beginnt Fritz mit seinem Bericht. Ziel war es, das natürliche Gefälle von insgesamt zwölf Metern – (fünf Meter zwischen Langbürgner und Stettner See und sieben Meter zwischen Stettner See und Chiemsee) – zur Stromerzeugung zu nutzen. Die aufkommende Industrialisierung und der Wunsch nach elektrischer Beleuchtung und Antriebskraft in Werkstätten und Haushalten verliehen dem Projekt zusätzlichen Schub. Der Betreiber hatte bereits die nötigen Grundstücke erworben und begann mit dem Bau eines Kanals durch das Moor bis zum sogenannten Hochrücken, einer Moräne Richtung Chiemsee. Später sollte sogar ein Tunnel durch den Berg folgen. Die Pläne waren ambitioniert, „doch sie stießen auf Widerstand“, meint Hans Fritz.
Besonders betroffen gewesen wäre die Sägemühle an der Ischler Ache. Diese Ache entwässert die Seenplatte Richtung Osten in die Alz. Ein Umleiten des Wassers hätte die Mühle trockengelegt. Der Sägemüller klagte gegen das Projekt und mobilisierte auch die Bauern entlang der Ischler Ache, die um ihre Seestrohwiesen fürchteten. Der Rechtsstreit zog sich über 30 Jahre hin. Die Akten füllten einen ganzen Wagen, den der Gerichtsdiener zur Verhandlung in den Saal schob. „Die Richter standen vor einem Dilemma: Auf der einen Seite der Fortschritt, auf der anderen die traditionellen Wasserrechte und die Existenzgrundlage vieler Landwirte“, erzählt Fritz.
Zum Urteil gibt es folgende Informationen: „Letztlich entschied das Gericht gegen den Bau der Kraftwerke. Der Betreiber verkaufte die Grundstücke an den Bildhauer Arno Breker Thorak, der später als Künstler des Dritten Reichs bekannt wurde. Thorak nutzte die Landstreifen zwischen den Seen für private Zwecke – unter anderem, um mit Ruderbooten von seinem Besitz in Hartmannsberg bis zum Chiemsee zu gelangen.
1930 erwarb der Großvater von Hans Fritz den Stettner See von Thorak – samt der Landverbindungen zu den anderen Seen. „Für 5000 Mark, eine damals beachtliche Summe, kaufte er das Gewässer vor allem wegen der Fischerei. Baden spielte zu jener Zeit noch keine Rolle.“
Vom Streitfall zum
Naturschutzgebiet
1939 wurde das gesamte Seengebiet als erstes in Bayern zum Naturschutzgebiet erklärt. Die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden setzten sich aktiv dafür ein – auch, um eine geplante Autobahntrasse nördlich des Chiemsees zu verhindern.
Ihre Reise nach Berlin und die politische Überzeugungsarbeit trugen Früchte. Die Autobahn wurde schließlich südlich des Chiemsees gebaut, nicht zuletzt, so heißt es, weil Adolf Hitler in Hemhof einst Ziel eines Attentats gewesen sein soll.
„Der Stettner See weist eine geologische Besonderheit auf: Während 17 der 18 Seen der Eggstätt/Hemhofer Seenplatte auf einem Niveau von etwa zwölf Metern über dem Chiemsee liegen, befindet sich der Stettner See rund fünf Meter tiefer – und dennoch sieben Meter über dem Chiemsee“, sagt Fritz.
Sein Zu- und Abfluss erfolge unterirdisch. Beobachtungen deuten darauf hin, dass eine wasserführende Schicht unter dem Moränenhügel zwischen Stettner See und Chiemsee existiert.
Heute gehört der Stettner See weiterhin der Familie des damaligen Käufers, zu der auch Fritz gehört, und ist öffentlich zugänglich zum Schwimmen – obwohl das Befahren mit Booten oder Wassersportgeräten im gesamten Naturschutzgebiet untersagt ist. Langbürgner- und Schlosssee sind inzwischen Teil der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung und werden von Sportfischern genutzt.