Wenn Bauträume platzen

von Redaktion

„Das fühlt sich wie eine Enteignung an“, sagt Walter G. aus Brannenburg. Seine Familie kaufte vor 70 Jahren zwei Baugrundstücke in der Siedlung „Am Tanner Hut“. Nach der Entwurfsplanung für zwei Doppelhäuser stellte sich nun heraus: Ein Drittel des Grundstücks ist nicht bebaubar.

Brannenburg – Walter G. will sein Grundstück – bestehend aus zwei Flurstücken – am Lindenweg 3 verkaufen. 1300 Quadratmeter in bester Lage. In einer ruhigen Wohnsiedlung. Umgeben von viel Grün. Seine Eltern hatten die beiden Parzellen Mitte der 1950er-Jahre als Baugrundstücke im Ortsteil Degerndorf erworben, bauten für die Familie ein kleines Häuschen. 70 Jahre später ist der Großteil des Grundstücks eine grüne Oase. Das Gebäude allerdings hat seine besten Jahre erlebt. „Es muss abgerissen werden“, sagt Walter G. Er selbst hat mit 70 Jahren keine Ambitionen mehr zu bauen. Deshalb will er das Grundstück abgeben.

Vorentwurf für
mögliche Bebauung

Damit potenzielle Käufer wissen, welche Bauvorhaben in der Siedlung „Am Tanner Hut“ überhaupt möglich wären, ließ G. einen Vorentwurf für eine Nachverdichtung mit zwei Doppelhäusern erstellen. Jede Haushälfte sollte mit 300 Quadratmetern ausreichend Platz für Gebäude, Stellplätze und Grün haben. In der Gemeinde stellte er seine Pläne vor. „Sie wurden positiv bewertet“, sagt G., denn die Bedingungen für den bauplanungsrechtlichen Innenbereich waren erfüllt. Die Gebäude würden sich gut in die Umgebung einfügen; bebaute Grundstücksfläche, Maß der Bebauung und geplante Bauweise entsprächen dem Charakter der Siedlung. Nur Probleme mit dem Außenbereich könnte es geben, gab die Gemeinde zu bedenken.

Also schickte Walter G. seinen Bauvorentwurf direkt an die Genehmigungsbehörde – das Landratsamt Rosenheim – und fragte nach, ob die gewünschte Bebauung möglich sei. Die Antwort war ernüchternd: „Das zur Bebauung vorgesehene Grundstück liegt nur zum Teil im bauplanungsrechtlichen Innenbereich.“ Der südliche Teil des Grundstücks mit der Flurnummer 918/13 befinde sich im bauplanungsrechtlichen Außenbereich.

„Wie aus einem Baugrundstück plötzlich ein Außenbereich wird“, kann Walter G. nicht verstehen. In dem notariellen Vertrag von 1955 ist sogar vermerkt, dass der Käufer beabsichtigt, dort ein Wohnhaus zu errichten und der Antrag zur Genehmigung als Bauland vom Landratsamt befürwortet sei. 70 Jahre später aber befindet sich die Hälfte des südlichen Flurstücks und damit etwa ein Drittel des Gesamtgrundstücks am Lindenweg 3 im Außenbereich und ist damit kein Baugrundstück mehr.

„Man muss zwischen Zivilrecht und Baurecht unterscheiden“, erklärt eine Rosenheimer Fachanwältin für öffentliches Baurecht auf OVB-Anfrage. In Verträgen zwischen Zivilpersonen könne ein Grundstück zwar als Baugrundstück bezeichnet werden. Ob es das wirklich sei, liege in der baurechtlichen Beurteilung der Behörden, die nach den aktuellen örtlichen Gegebenheiten entscheiden müssen.

Für die Siedlung „Tanner Hut“ gibt es keinen Bebauungsplan, also gelten am Lindenweg die Vorschriften des Baugesetzbuches für Innen- und Außenbereich. Demnach gehören alle Grundstücke, die sich nicht innerhalb eines „im Zusammenhang bebauten Ortsteils“ befinden, zum Außenbereich.

Außenbereich beginnt
mitten im Garten

Walter G. ging davon aus, dass sich sein Grundstück in einer historisch gewachsenen, im Zusammenhang bebauten Siedlung und damit im Innenbereich befindet. Aus der Vogelperspektive sieht die Wohnbebauung am Lindenweg auch wie ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil aus, der im Süden von einem grünen Gürtel begrenzt wird. Eben dieser grüne Gürtel begrenzt auch das Grundstück von Walter G. Trotzdem beginnt mitten in seinem Garten der Außenbereich. Auch wenn der südliche Bereich seines Grundstücks – eine große Wiese mit Sträuchern und Bäumen – wie eine „bebaubare Baulücke“ wirkt.

Als „Baulücke“ gilt nach der Rechtsprechung ein „unbebautes Grundstück innerhalb einer ansonsten geschlossenen Bebauung, das aufgrund seiner Lage und Größe für eine Bebauung geeignet ist“, nur dann, wenn es mindestens an drei Seiten von Bebauung umgeben ist.

Die Baupläne von Walter G. scheinen am fehlenden „Bebauungszusammenhang“ zu scheitern. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2022 ließe der sich aber auch anders definieren, denn dort heißt es: „Unbebaute Grundstücke können dem Bebauungszusammenhang angehören, wenn es sich um eine Baulücke im engeren Sinne des Wortes handelt, also um ein zwar unbebautes, aber bebauungsfähiges Grundstück, das trotz der fehlenden Bebauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit der umgebenden Bebauung nicht stört.“ Ist das am Lindenweg 3 nicht der Fall?

Nach dem BGH-Urteil können auch „freie Flächen Bestandteil eines Bebauungszusammenhangs sein, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung (Sportplätze, Erholungsflächen) einer Bebauung entzogen sind“. Auf den angrenzenden freien Flächen im Süden der Siedlung am Lindenweg und damit des Grundstücks von Walter G. befanden sich bis vor wenigen Jahren noch ein Sportplatz und die alte Turnhalle. Heute existieren sie nur noch in der Erinnerung. Der Grund gehört der Gemeinde, und diese informierte Walter G. schon 2015 darüber, dass für das Flurstück 906 die Aufstellung eines Bebauungsplans vorgesehen sei. Doch wie weit diese Pläne gediehen sind, wollte das gemeindliche Bauamt auf OVB-Anfrage nicht preisgeben.

Expertin rät zu
Vor-Ort-Termin

Walter G. hat den Mut verloren, dass er für sein Grundstück am Lindenweg 3 nicht nur ein partielles, sondern ein vollständiges Baurecht erhält. Trotzdem bleibt ein Rest Hoffnung. Das Landratsamt rät ihm, „einen Antrag auf Vorbescheid oder einen Bauantrag einzureichen“, da „erst das weitere Verfahren zeigen wird, ob das Vorhaben genehmigungsfähig ist“.

Und auch die Rosenheimer Fachanwältin für öffentliches Baurecht sieht keinen Grund dafür, den Kopf in den Sand zu stecken. Das Grundstück sei trotz des Außenbereichs im Süden noch immer gut bebaubar. Sie rät zu einem Vor-Ort-Termin mit Planer, Gemeinde und Landratsamt, denn nur auf Grundlage einer umfassenden Bewertung der konkreten Grundstückssituation sei eine Entscheidung über mögliche Bebauungsvarianten möglich.

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