Obing – Rheuma, Sjögren-Syndrom oder Pankreas-Insuffizienz: Irene Heidenreich (58) aus Obing könnte die Liste an Krankheiten, die sie hat, noch ewig weiterführen. „Ich bin eigentlich mehr krank als gesund“, sagt sie im Video-Anruf mit der Redaktion. Schon ihr Leben lang muss sich die mittlerweile 58-Jährige mit verschiedenen Diagnosen auseinandersetzen und einlesen. Etwa vier Reihen voller Ordner mit Arztbriefen, Bescheiden und Laborergebnissen füllen das Regal in ihrem Büro, schätzt Heidenreich. Vergangenes Jahr bekam die Obingerin dann die Diagnose „Immun-Defekt“.
Fehlende Antikörper
werden ersetzt
Bei einem Immun-Defekt funktioniert das körpereigene Immunsystem nicht richtig. Dadurch können Krankheitserreger nicht wirksam bekämpft werden. Es wird zwischen primären (angeborenen) und sekundären (erworbenen) Abwehrschwächen unterschieden, erklärt Heidenreich. Behandelt wird die Krankheit mit Immunglobulinen. Dabei werden fehlende oder defekte Antikörper durch intravenöse oder subkutane Infusion von Immunglobulinen ersetzt. Irene Heidenreich bekam im Oktober 2024 eine subkutane Behandlung verordnet. Ob Irene Heidenreich einen angeborenen oder einen erworbenen Immun-Defekt habe, sei bisher nicht eindeutig festgestellt, sagt sie.
Irene Heidenreichs Krankheitsgeschichte beginnt schon im Kindesalter. Häufige Erkältungen, Bronchitis oder Mandelentzündungen gehörten bei ihr dazu. „Mir sind schon früh die Polypen in der Nase deswegen entfernt worden“, sagt sie. Im jungen Erwachsenenalter seien ihr dann die Rachenmandeln entfernt, die Nasenscheidewand begradigt und Zysten an jener entfernt worden.
Doch die Entzündungen seien damit nicht ausgeblieben, sagt Heidenreich. Mittlerweile leidet die 58-Jährige unter einer chronischen Pansinusitis, also einer Entzündung aller Nasennebenhöhlen gleichzeitig. „Manchmal ist es besser und manchmal ist es schlechter“, sagt sie. Im vergangenen Winter habe sie beispielsweise durchgehend Antibiotika nehmen müssen. Im Frühjahr habe sich die Entzündung dann wieder gemildert, berichtet die Obingerin.
Dass Irene Heidenreichs Körper sich mit der Immunabwehr schwertut und auch Heilungsprozesse langsamer ablaufen, wird an einem Beispiel besonders deutlich. „Einmal bin ich mit dem Sprunggelenk umgeknickt. Ich habe mir nichts gebrochen oder gerissen. Also, es war eigentlich nichts Dramatisches“, erzählt sie. Dennoch sei sie damals dann für rund drei Monate auf einen Rollstuhl angewiesen gewesen.
Während eine solche Verletzung bei gesunden Menschen schnell wieder verheile, habe sich bei Irene Heidenreich ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS, ehemals Morbus Sudeck) entwickelt. „Seit 2017 gibt der betroffene Fuß keine Ruhe mehr“, sagt sie.
Durch ihren Immun-Defekt erkrankt Irene Heidenreich häufig. Ihren Beruf als Hauswirtschafterin musste sie schließlich vor wenigen Jahren schweren Herzens aufgeben. „Ich habe meine Arbeit geliebt“, schwärmt die 58-Jährige. Besonders gerne habe sie im Rahmen ihres Berufs auf Kinder aufgepasst, sagt die Obingerin. Heidenreich selbst hat drei Kinder und drei Enkel. Auch das Autofahren musste die 58-Jährige aufhören, seit sie einen Sekundenschlaf entwickelt habe.
Zu den verschiedenen Ärzten fährt sie deswegen ihre 24-Stunden-Pflegeperson. Wenn ihr dann noch Zeit bleibe und ihre Energie es zulasse, liest Irene Heidenreich gerne, macht Kreuzworträtsel oder schaut ihre absolute Lieblingsserie, die Lindenstraße. Freude und Kraft geben ihr zudem die Online-Treffen der Selbsthilfegruppe für Personen mit Immun-Defekt. Diese werden von der deutschlandweiten Patienten-Organisation für angeborene Immun-Defekte „dsai“ mit Hauptsitz in Schnaitsee organisiert. „Die Mitarbeiter dort sind sehr nett und haben mir sehr geholfen. Ich kann sie jedem Hilfesuchenden wärmstens empfehlen“, betont Heidenreich.
Im Herbst will die 58-Jährige auch persönlich an einem Treffen von „dsai“ teilnehmen. Für Heidenreich eine Besonderheit, denn eigentlich setze sich die Obingerin keine Pläne für die Zukunft. „Ich lebe von Tag zu Tag. Denn ich weiß erst beim Aufwachen, ob mein Gesundheitszustand ein Treffen oder Ähnliches zulässt“, sagt sie. An guten Tagen sei sie geistig fit. An schlechteren Tagen falle ihr das Erinnern schwer oder ihr Kiefer werde starr, wodurch das Sprechen eingeschränkt werde, sagt sie.
Für Fahrten außer Haus ist die 58-Jährige zudem auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen, da ihre Muskeln in den Beinen nicht mehr ausreichend stark seien. „Wenn dann bei Zugfahrten zu Spezial-Ärzten nach München ein Aufzug am Bahnsteig nicht funktioniert oder der E-Rolli zu groß fürs Taxi ist, dann wird eine eigentlich einfache Fahrt für mich zu einer Odyssee“, sagt Heidenreich.
Dennoch: Im Gespräch über ihre vielen Leiden wirkt Irene Heidenreich konzentriert, aufmerksam und vor allem unbeschwert.
An schlechten Tagen
fällt Erinnern schwer
Ihr Schicksal nimmt die 58-Jährige mit viel Humor. „Egal ob schwarz oder sarkastisch“, sagt sie schmunzelnd. Mit ihrer Pflegeperson könne die 58-Jährige über viele komische Situationen lachen.
Ihrer Krankheit sei sich Irene Heidenreich nicht durchgehend bewusst, sagt sie. „Es fühlt sich mehr so an, als würde ich in der Mitte zwischen gesund und krank sitzen“, sagt sie. Dass sie nicht ganz auf dem gesunden Stuhl sitzen könne, würden ihr erst verschiedene Einschränkungen bewusst machen.