Osttirol/Bergen – Das türkisfarbene Wasser vom Gschlössbach am Venedigerhaus im Nationalpark Hohe Tauern rauscht laut herunter. Das Wasser kommt vom Schlatenkees, einem Gletscher. Noch in den 90er-Jahren war er ein mächtiger kilometerlanger Eisriese, der sich bis ins Tal zog. Auch Wanderer ohne Hochtourenerfahrung konnten auf einem einfachen Rundweg das blau schimmernde Eis des Gletschers bewundern. Doch jedes Jahr zieht sich das Schlatenkees in Osttirol so stark zurück wie kaum ein anderer Gletscher in Österreich. Rund 90 Meter pro Jahr und das bringt Konsequenzen mit sich.
Dramatische
Auswirkungen
Hans Hocke aus Bergen ist ein erfahrener Bergführer und Ausbildungsleiter beim Deutschen Alpenverein (DAV). Er geht an diesem Tag die 1300 Höhenmeter hinauf zur Neuen Prager Hütte im Nationalpark Hohe Tauern, die in den vergangenen beiden Jahren vorzeitig schließen musste. Auch das hat mit dem Gletscherrückgang des Schlatenkees zu tun: Wassermangel. Der 62-Jährige beobachtet in seiner täglichen Arbeit die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels, vor allem in den Alpen: „Das verändert das Bergsteigen massiv. Ganze Wege sind weg, die Berge zerbröseln, weil der Kitt durch den Permafrost fehlt. Es wird definitiv gefährlicher.“
Für seine Ausbildungskurse zum Hochtourenführer muss er jetzt bis Chamonix (Frankreich) reisen, um für die Spaltenbergung vernünftige Bedingungen zu finden. „Das ist ein Teufelskreis. Ich muss immer weiter fahren und CO2 dabei rausblasen. Was immer mehr zur Klimakatastrophe beiträgt“, sagt Hocke.
Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich auch in den Bergen. Seit 1980 ist die Temperatur in den Alpen um 2,7 Grad gestiegen. So stark wie sonst nirgends. Das wird mit den riesigen, vom Gletscher glatt geschliffenen Felsblöcke aus Granit- und Gneis deutlich. Schmilzt der Gletscher, gibt er immer mehr Gesteinsflächen frei. Zusätzlich wird dunkler Schutt durch den Schmelzwasserdruck auf die Eisoberflächen gespült. Diese dadurch entstehenden, schwarzen Flächen beschleunigen die Erwärmung zusätzlich.
Richtung Norden spitzt der Großglockner aus den Wolken heraus, mit 3798 Metern der höchste Berg in Österreich. Er liegt ebenfalls im Nationalpark Hohe Tauern. Mit dem größten Gletscher Österreichs, der Pasterze. Dieser ist ebenfalls stark im Rückzug. „Eigentlich eine schöne Tour“, sagt Hocke, der am liebsten klettert. Doch auch am Großglockner wird der Fels zunehmend brüchiger, die Steinschlaggefahr nimmt zu. Am Rainerhorn, nicht weit vom Schlatenkees, gab es Anfang August einen riesigen Felssturz. Wenn das Eis unter den Schutthängen schmilzt, wird alles zunehmend brüchiger. Zum Zeitpunkt, als die Brocken ins Tal donnerten, waren zum Glück keine Bergsteiger unterwegs.
Im Karakorum hat dagegen ein Steinschlag der Alpinistin und ausgebildeten Bergführerin Laura Dahlmeier das Leben gekostet. Hans Hocke war selbst schon am 6000 Meter hohen Laila Peak in Pakistan auf Expedition. „Ich musste umkehren so wie Laura, nur hatte ich eben Glück, und sie großes Pech.“ Technisch war es wohl kein Problem. Auch die Wettervorhersage war gut. Dennoch passierte das Unglück. Tagsüber werde es dort sehr heiß und der Klimawandel spielt auch hier eine Rolle für die Abschmelzungen und die Stabilität am Fels.
Zunehmender
Bergtourismus
Nach drei Stunden Aufstieg kommt Hocke auf seiner Tour auf 2489 Metern Höhe zu einem alpinen Kulturdenkmal. Die Alte Prager Hütte von 1872, erbaut von Johann Stüdl. Er war Mitbegründer des Deutschen Alpenvereins und maßgeblich beteiligt an der touristischen Erschließung der Großglockner – und der Venedigergruppe. Damals reichte der Schlatenkees noch bis zur Alten Prager Hütte heran und so konnte die Wasserversorgung stets gewährleistet werden. Jetzt liegt der Gletscher weit weg.
Durch den zunehmenden Bergtourismus wurde die Hütte zu klein. Daher baute der Prager Kaufmann Stüdl, der auch den ersten Bergführerverein in den Ostalpen gründete, 300 Meter weiter oben die Neue Prager Hütte.
Die alte Hütte wurde mittlerweile vom Alpenverein restauriert und soll zeigen, wie einfach das Leben in den Bergen sein kann. Ein warmer Raum mit Ofen und Schlafplätzen reicht.
Wo früher eine Schicht aus Eis war, liegen jetzt riesige graue Felsen. Auf diesen braucht man eine gute Sohle, um Halt zu finden. Auf seiner Tour zur Neuen Prager Hütte begleiten Hocke zeitweise ein paar Schafe. Zwischen den Felsen tauchen ein paar Murmeltiere auf. Blaubeeren und bunte Blumen wachsen am Wegesrand. Nach einer Stunde Aufstieg taucht die Neue Prager Hütte auf, in knapp 2800 Metern Höhe. Seit Juni ist sie wiedereröffnet, denn in den vergangenen beiden Jahren musste sie wegen Trink-Wassermangels schließen.
Denkmalgeschütztes
Haus wird renoviert
Der Deutsche Alpenverein hat sich hier zur Aufgabe gemacht, das denkmalgeschützte Steinhaus mit seinen rot-weiß-roten Fensterläden zu renovieren. Der Verein ist für die Hütte zuständig. So entsteht neben dem Hauptgebäude ein neues, mit Schindeln gedecktes Haus mit Trockenklos. Die Investition von 400000 Euro soll ein Drittel Wasser einsparen. Außerdem sollen zukünftig auch die Gäste Wasser einsparen. Hocke selbst will noch mehr Wasser sparen, für ihn reicht auch mal eine Katzenwäsche. „Wozu am Morgen vor der Tour duschen, wenn ich fünf Minuten später wieder schwitze“, sagt er. Wichtiger sei ihm die gute Verpflegung.
Auf der Neuen Prager Hütte arbeitet Maja. Sie ist gelernte Konditorin und kocht. „Hervorragendes einfaches, aber gutes Essen“, lobt Hocke die Köchin, als er die Knödel mit Schwammerl probiert. Von der Neuen Prager Hütte aus seien es laut Hocke nur noch 850 Höhenmeter auf den Großvenediger. „Das ist absolut machbar und konditionell nicht sehr anspruchsvoll. Doch es geht über spaltenreiches Gelände. Da ist Anseilen Pflicht“, sagt Hocke. Bei schönem Wetter gibt es auf dem Gipfel einen 360 Grad Blick in die Berchtesgadener Alpen und nach Südtirol. Und auf das Schlatenkees. Doch schon in 20 Jahren könnten laut Alpenverein alle Gletscher in Österreich abgeschmolzen sein.