Aschau – Seit sechs Monaten schwelt ein Nachbarschaftsstreit an der Ganghoferstraße 22 in Hohenaschau. Die katholische Kirchenstiftung Aschau entschied sich, Grundstück und Gebäude aus den 1950er-Jahren zu veräußern. Mit der 43. Änderung des Bebauungsplanes „Hohenaschau-Nord-West“ machte der Gemeinderat eine Nachverdichtung in der Siedlung möglich.
Die sollte moderat, maßvoll und passend zur heterogenen Umgebung erfolgen. Auf keinen Fall aber mit einem so großen ökologischen Fußabdruck – also der überbauten Grundstücksfläche (GRZ I) – wie im unmittelbaren Nachbargrundstück an der Cramer-Klett-Straße 6. Dort liegt die Grundflächenzahl (GRZ I) bei 0,32. Im Bebauungsplan festgesetzt wurde eine GRZ I von 0,25.
Mehrfamilienhaus
soll sich einfügen
Die Sprus Bauträger GmbH aus Grassau plante den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit einer Grundfläche von 271 Quadratmetern, zwei Etagen plus Dachgeschoss und sieben Wohneinheiten. Das entspricht einer GRZ I von 0,25. Damit weder Grundstück noch die enge Straße zugeparkt werden und der Großteil der Fläche – etwa 600 Quadratmeter – grün bleibt, nimmt der Bauträger zusätzliches Geld für die Tiefgarage in die Hand: mindestens 250000 Euro.
Drei Parkplätze entstehen oberirdisch. Unterirdisch sollen zehn Fahrzeuge Platz finden. Für bauliche Anlagen wie Tiefgaragen gilt die GRZ II. Die liegt an der Ganghoferstraße 22 bei 0,5 und entspricht damit der in der Nachbarschaft. „Die Festsetzungen des Bebauungsplanes werden vollumfänglich durch das geplante Bauvorhaben eingehalten“, bestätigt das Kreisbauamt auf OVB-Anfrage.
Doch die alten Nachbarn wollen keine neuen Nachbarn. Erst wurde die Baugenehmigung beklagt. Dann formierte sich eine anonyme Bürgerbewegung „Ganghoferstraße 22“. Die agierte nicht nur mit Drohungen und Beleidigungen, sondern schürte auch Angst vor Hochwasser und einer schlechten Versickerung auf dem Grundstück, die die Nachbarn in Mitleidenschaft ziehen würde.
Dabei hatte der Bauträger schon mit seinem Bauantrag alle erforderlichen Unterlagen wie Entwässerungsplanung und Bodengutachten vorgelegt. Diese wies eine ausreichende Versickerung nach. Auch eine wasserrechtliche Genehmigung lag vor. Es gab also weder fachliche noch rechtliche Einwände gegen den Bau, dafür aber Bedenken der Nachbarn von der Cramer-Klett-Straße 6. Sie klagten gegen die Baugenehmigung, weil sie nicht in die Planungen einbezogen wurden, wie sie gegenüber dem OVB begründen.
Die Klage verhindert den Baustart. Die Verwaltungsgerichte sind so überlastet, dass es bis zur ersten mündlichen Verhandlung drei bis vier Jahre dauern kann. „Obwohl wir rechtlich sehr zuversichtlich gewesen wären, dass ein Verfahren zu unseren Gunsten ausgeht, haben wir den Weg der freiwilligen, außergerichtlichen Einigung gewählt“, berichtet Peter Sprus, Inhaber der Sprus Bauträger GmbH.
Dafür wurden trotz aller bereits vorliegenden erforderlichen Gutachten und Genehmigungen noch einmal neue Gutachten erstellt. Gutachter des Bauträgers und Gutachter der Kläger prüften gemeinsam die Versickerungsfähigkeit des Baugrundes. „Mit dem Ergebnis, dass sie gut ist“, erklärt Peter Sprus, der glaubte, endlich „sämtliche Bedenken der Nachbarn ausgeräumt zu haben.“
Mitte Juni schien es, als sei an der Ganghoferstraße in Hohenaschau wieder nachbarschaftlicher Frieden eingekehrt. Denn unter Einbeziehung der Rechtsanwälte beider Parteien war auch ein nachbarschaftlicher Vertrag geschlossen worden. „In diesem wurde das Einverständnis zum genehmigten Bauvorhaben festgehalten. Und ich habe noch zusätzlich eine Bürgschaft unterzeichnet, dass der geplante Bau auch wirklich so erfolgt, wie ihn das Landratsamt genehmigt hat“, berichtet Sprus.
Der Nachbar habe nicht nur eine Bürgschaft über 20000 Euro von einem Bürgschaftsinstitut erhalten: „Wir haben zudem eine grundbuchmäßige Absicherung notariell beurkunden lassen. Diese stellt sicher, dass die Entwässerungsanlagen wie vorgesehen gebaut werden. Der Nachbar ist also doppelt abgesichert.“
Inzwischen ist die Baugrube ausgehoben. Die scheint das gesamte Grundstück zu umfassen. Doch wie sonst soll eine Tiefgarage unter die Erde kommen? Nach Abschluss der Bauarbeiten ist das Grundstück wieder grün, denn das Gebäude hat nur eine Grundfläche von 271 Quadratmetern. 600 Quadratmeter werden wieder mit Muttererde bedeckt und begrünt.
Trotzdem ließ die nächste nachbarschaftliche Aktion nicht lange auf sich warten. Kaum hatten die Arbeiten am Baugrund begonnen, hingen Warnschilder am Nachbargrundstück. Direkt neben der Baustelle und für alle gut sichtbar, gibt der Nachbar seine Meinung öffentlich kund: „Hier wachsen zukünftig Apfelbäume auf Betonböden“ und „Neue Bauweise. Großes Loch. Grenznah. Zukunftsfähig. Nachhaltig. Umweltbewusst. Einfach zubetonieren. Fertig. Wasser marsch.“
Den Aschauern mag das ein Kopfschütteln entlocken. Kaufinteressenten aber schreckt es ab, denn wer investiert schon freiwillig in eine Eigentumswohnung in streitsüchtiger Nachbarschaft? Und so zogen die ersten potenziellen Investoren ihre Kaufabsichten bereits zurück. Bauträger Peter Sprus ist enttäuscht, denn „trotz der Vereinbarung kehrt keine Ruhe ein“. Einfach abhängen darf er die Schilder aber nicht, denn das wäre als Eingriff ins Eigentum des Nachbarn strafbar. „Also sehen wir uns schon wieder gezwungen, einen Anwalt einzuschalten, um die Entfernung der Schilder zu erwirken.“
Nachbar bleibt bei
seinen Vorwürfen
Der Nachbarschaftsstreit geht in die nächste Runde. „Das ist wirklich schade“, bedauert Sprus, der „mehr als 20000 Euro in die gütliche Einigung investiert“ hat. Der Nachbar aber sieht sich nach wie vor im Recht. Gegenüber dem OVB behauptet er, es gebe keine gütliche Einigung, denn noch habe der Bauträger nicht alle Bedingungen erfüllt. Noch sei der Kauf des Grundstücks nicht einmal im Grundbuch verankert. Doch das ist nicht ungewöhnlich. „Alle Rechte und Pflichten gehen mit der Bezahlung des Kaufpreises auf den neuen Eigentümer über – so ist es grundsätzlich in Deutschland geregelt“, erklärt Bauträger Sprus und stellt klar: „Dass das Grundbuchamt manchmal etwas länger für die Eintragung benötigt, ist normal. Dennoch sind wir bereits Eigentümer.“
Wird Klage
zurückgenommen?
Die fachlichen Stellungnahmen zum Bauvorhaben, zur Versiegelung und zur Entwässerung sowie die neuerlichen Gutachten zur Versickerung überzeugen den Nachbarn nicht. Er bleibt dabei, dass der „Bau im Überflutungsgebiet von Hohenaschau“ nicht zu verantworten und „die Rigolen überhaupt nicht aufnahmefähig“ seien. Zudem bekräftigt er seine Kritik „an der viel zu hohen Versiegelung“. Deshalb will er seine Klage auch erst einmal nicht zurücknehmen. „Und meine Taferln“, sagt er, „die bleiben auch hängen“.
Doch manchmal bewirken Telefonate auch Wunder. Noch am Tag des OVB-Anrufs beim „Taferl“-Aktivisten von Hohenaschau einigten sich die Rechtsanwälte beider Seiten darauf, dass die Schilder abgenommen werden. Und so scheint in der Ganghoferstraße erst einmal wieder Ruhe eingekehrt zu sein: Seit gestern sind die Taferln verschwunden. Die Protestaktion ist beendet.