70 Jahre und vier Generationen Gocklwirt

von Redaktion

Im August feierte das bekannte Wirtshaus am Simssee in Stephanskirchen sein 70-jähriges Bestehen. Was die Familie Huber in all den Jahren erlebt hat, was sie zusammengeschweißt hat und warum sie nicht einmal ein Monster-Projekt wie der Brenner-Nordzulauf entzweien kann.

Stephanskirchen – Was haben 800 Kaffeekannen, der Wolpertinger, eine alte Ritterrüstung und eine Krampusmaske gemeinsam? Eigentlich nichts. Wobei nicht ganz: All das und noch viel mehr findet man beim Gocklwirt in Stephanskirchen. Seit vier Generationen betreibt die Familie Huber das Wirtshaus am Simssee. Neben einem Spielplatz, einer Minigolfanlage und einem halben Heimatmuseum blickt die Wirtsfamilie auf ein knappes Dreivierteljahrhundert Restaurantbetrieb zurück. Das 70. Jubiläum feierten die Hubers und ihre Gäste im August mit mehreren Events.

Vom Geflügelhof
zum Restaurant

Es war die Sammelleidenschaft „vom Opa“, die den Gocklwirt zu dem gemacht hat, was er heute ist. So berichtet es Wilhelm Huber junior. Er ist der Enkel von Anton Rietz, der am 1. August 1955 das Wirtshaus eröffnete. Bis dato betrieb die Familie auf dem Bauernhof eine Geflügelzucht.

Zunächst sei nur ein „Café am Weinberg“ geplant gewesen. Damit wollte sich Betty Rietz – Ehefrau von Anton Rietz und Großmutter von Wilhelm Huber – einen Traum erfüllen und ihrer Leidenschaft fürs Backen nachgehen. „Aber da immer mehr Wanderer am Simssee unterwegs waren und nach Essen fragten, boten meine Großeltern halbe Hendl an“, erklärt Huber. Schließlich seien es die Einheimischen gewesen, die den Rietz‘ in den 1960er-Jahren den Namen „Gockerlwirt“ gegeben hätten. „Damals war die Hausspezialität ein halbes Hendl und ein Glas badischer Wein, da der Opa nach Kriegsende auf der Heimreise eine Zeit lang auf einem badischen Weingut unterkam“, erzählt Huber.

Inzwischen ist das kulinarische Angebot beim Gocklwirt nicht nur auf Hendl beschränkt. Den halben Gockl gibt es zwar immer noch. Allerdings können Gäste auch zwischen gutbürgerlicher Küche und eher kleineren Schmankerl wählen. Klassiker wie Kaiserschmarrn, Käsespätzle oder Wiener Schnitzel dürfen dabei nicht fehlen. Und wer es etwas festlicher möchte, kann sich für das Vier- beziehungsweise Fünf-Gänge-Menü entscheiden. „Wir sind ein Wirtshaus und wollen Küche für jedermann machen“, so Wilhelm Huber.

70 Jahre Restaurantbetrieb sind nicht selbstverständlich in Zeiten des Personalmangels und steigender Kosten. Das Geheimnis des Erfolgs liegt für die Hubers in der Familie. „Der Zusammenhalt und dass alle an einem Strang ziehen, ist wichtig“, sagt Michaela Huber. Sie kommt ursprünglich aus einer Gastronomenfamilie aus Südtirol.

Dass es sich beim Gocklwirt um einen Familienbetrieb durch und durch handelt, wird schnell klar. Neben Wilhelm Huber und seiner Frau Michaela, die das Geschäft im Jahr 2000 übernommen haben, steht auch Sohn Michael (26) in der Küche und ist dieses Jahr als Gesellschafter im Familienbetrieb eingetreten. Auch seine Partnerin Lena Wanka arbeitet bereits seit sechs Jahren in der Küche. Dort haben sie sich kennen und lieben gelernt. Bruder Florian (23), gelernter Restaurantfachmann, leitet den Service.

Aber auch die Seniorchefs, Marianne und Willi Huber senior, verbringen noch viel Zeit im Restaurant. Das Paar übernahm 1978 nach dem unerwarteten Tod von Anton Rietz. Willi Hubers Schwester, Marianne Mulisch macht seit 40 Jahren den Kuchen. Somit feierte auch sie dieses Jahr ein kleines Jubiläum.

Marianne und Willi Huber ist ebenfalls ein sammlerischer Blickfang zu verdanken, der die Antiquitäten und Kuriositäten des Wirtshauses vervollständigt: Etwa 800 Kaffeekannen aus 18 Ländern zieren das „Kannenzimmer“. Der Raum kann für größere Gesellschaften gebucht werden. Ins Eigentum der Hubers gekommen ist die Sammlung durch einen Aufruf im Radio. Friedhelm Mester aus Nordrhein-Westfalen suchte 1996 einen neuen Besitzer für seine Sammlung. Marianne Huber bewarb sich – und die Wahl fiel auf den Gocklwirt.

Den Höhepunkt an Kuriositäten bildet jedoch die Kunstuhr von Josef Greß. Erbaut zwischen 1879 und 1881, gilt sie bis heute als größte noch funktionierende Kunstuhr der Welt. 50 handgeschnitzte Figuren zieren die Uhr, 14 Zifferblätter zeigen die Zeit der größten Städte Deutschlands, Österreichs und Frankreichs, das Datum, den Monat sowie die Jahreszahl und die Schaltjahre. Der Sekundenzeiger läuft rückwärts und symbolisiert auf dem immerwährenden Kalender, dass das Menschenleben von der Geburt an immer kürzer wird. „Mein Opa hat sich 16 Jahre um den Besitz bemüht. 1972 durfte er die Kunstuhr sein Eigen nennen“, berichtet Wilhelm Huber.

Auch ein eigenes Gotteshaus gibt es auf dem Grundstück, das 1999 erbaut und 2000 geweiht wurde. Inzwischen haben rund 200 Kinder in der Maria-Antonius-Kapelle ihre Taufe erhalten. Auch für kleine Hochzeiten oder Gedenkfeiern eignet sich die kleine Kirche. „Wir sind gläubig. Aber als Gastronomen hat man sonntags leider kaum Zeit, zum Gottesdienst zu gehen. Also haben sich die Hubers das Gotteshaus eben zu sich geholt – natürlich mit einem gepflasterten Gockel vor dem Eingang. Doch nicht nur alte Landmaschinen, wie der erste Lanz Bulldog, oder landwirtschaftliche Werkzeuge und allerlei Schnickschnack tummeln sich beim Gocklwirt. Auch prominente Gäste besuchen gerne das Restaurant, verrät Michaela Huber. Dazu zählen unter anderem Politiker Franz Josef Strauß, Schauspieler Helmut Fischer alias „Monaco Franze“, Komiker Kaya Yanar, Choreograf Detlef D! Soost sowie die „Sturm der Liebe“-Schauspielerin Soluna-Delta Kokol.

Für immer verewigt ist auch der Rosenheimer Magier Siegfried Fischbacher („Siegfried und Roy“). Der 2021 verstorbene Weltstar war Teil des Zauberer-Stammtischs, der sich bis heute regelmäßig beim Gocklwirt trifft. Eine eingerahmte Spielkarte an der Decke des Stüberls zeugt von dem Zaubertrick, den „da Sigi“ dort zeigte. „Er warf einen Stapel Karten an die Decke und an die eine hat er einen Kaugummi geklebt. Die blieb dann dort kleben“, sagt Wilhelm Huber. 2019 war Siegfried Fischbacher das letzte Mal zu Besuch bei Willi und Marianne Huber im Gocklwirt. 

Zum Jubiläum gratulierte auch Stephanskirchens Bürgermeister Karl Mair. „Im Rosenheimer Raum symbolisierte der Gocklwirt vielleicht als erster Betrieb das, was man im heutigen Zeitgeist als Erlebnisgastronomie bezeichnet“, sagt er gegenüber dem OVB. Das Wirtshaus besitze für ihn Kultstatus. „Der Familie Huber gratuliere ich ganz herzlich zum Jubiläum und danke ihr für ihren jahrzehntelangen Einsatz für die Gastlichkeit in unserer Gemeinde“, so Mair.

Die Sache mit dem
Brenner-Nordzulauf….

Um die Zukunft macht sich Huber keine Sorgen. Das war nicht immer so. Denn als die Deutsche Bahn im April 2024 ihre Planungen zum Brenner-Nordzulauf vorstellte, sahen sich die Wirtsleute in der Schuttwüste. „Wir empfinden den Brenner-Nordzulauf nach wie vor als verheerenden Eingriff in die Natur, aber nicht als existenzbedrohend für uns“, erklärt Wilhelm Huber. Ausschlaggebend dafür seien Gespräche mit der Deutschen Bahn und die Zusicherung, dass Durchfahrtsstraßen auch trotz Großbaustelle freigehalten werden müssen.

Die Gespräche haben ihnen viele Befürchtungen nehmen können. Außerdem sei bislang nicht klar, wann und wie das Milliarden-Projekt letztlich umgesetzt wird, sagt Huber. „Den Gockwirt wird es auf jeden Fall weiterhin geben.“

Die Wirtsfamilie und die Urlaubsregion

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