Stephanskirchen/Bad Reichenhall – Gerade hatte ich meine Badelatschen angezogen, schon lag ich auf dem Rücken wie Gregor Samsa, der in Kafkas „Verwandlung“ zum Käfer wird. Ein stechender Schmerz durchfuhr mein rechtes Bein, der Knöchel wurde sofort dick. Noch bevor ich aufstehen konnte, rief der Bademeister des Familienbades Bad Reichenhall, das ich mit meiner Familie besuchte, den Rettungswagen. Etwas übertrieben, finde ich, aber ich war froh, dass mir geholfen wurde.
Standardgröße
für alle Patienten?
So ging es direkt in die Notaufnahme des Bad Reichenhaller Krankenhauses. Dort erhielt ich ein Bett und eine nette Pflegekraft brachte mir noch eine Kuscheldecke. Nach zwei Stunden Warten ging es zum Röntgen, um einen Bruch auszuschließen. Wieder eine Stunde später kam die Ärztin mit erfreulichen Nachrichten: Gebrochen ist nichts. Aber alles deutet auf einen Bänderriss hin. Ich bekam eine Schiene – eine „Vacotalus“-Knöchelorthese – und wurde nach knapp vier Stunden endlich entlassen. Noch am selben Abend ging es zurück nach Hause.
Bereits nach der ersten Nacht merkte ich: Das Teil sitzt nicht richtig. Die dringend notwendige Schiene schnitt vorn am Fußballen ein, am Knöchel und der Ferse, wo sie eigentlich anliegen und stützen sollte, war sie zu locker. Da ich mir die Verpackung mitgeben ließ, war schnell klar warum: Die Schiene war zu groß. Denn statt einer „S“, die ich mit Schuhgröße 37/38 brauche, hatte ich die „Standard“-Größe ab Schuhgröße 40 erhalten.
Also rief ich bei der Krankenkasse – in meinem Fall AOK Bayern – an, um mich zu informieren, ob mir eine neue Schiene gezahlt wird. Die Antwort war ernüchternd. Die Sachbearbeiterin erklärte, dass ich mich selbst drum kümmern müsste, dass die Notaufnahme, die das Hilfsmittel abgerechnet hat, mir die Schiene umtauscht. Wenn ich falsch versorgt worden sei, sei es kein Fehler der Krankenkasse. Dass ich im Landkreis Rosenheim lebe und nicht im Berchtesgadener Land, interessierte sie nicht. „Eventuell schicken sie Ihnen die Orthese per Post zu“, sagte sie. Statt mich zielführend zu beraten, ließ sie mich spüren – und sagte es auch – dass Patienten wie ich mit derartigen Anliegen schuld an steigenden Kassenbeiträgen wären. „Dann wären die Krankenkassenbeiträge noch höher, wenn jeder daher käme und eine zweite Orthese möchte“, war der Wortlaut. Deswegen würde man mir auch nur diese eine bewilligen.
Also rief ich in der Notaufnahme an und wurde zunächst abgewimmelt. Klar, jeder weiß, wie es in deutschen Notaufnahmen zugeht. Die Kollegen, die an diesem Tag Dienst gehabt hatten, seien nicht da. Ich solle mich beim Sanitätshaus beschweren. Also schilderte ich dort telefonisch mein Anliegen. Die Mitarbeiterin des Sanitätshauses erklärte wiederum, dass die Krankenhäuser bei ihnen Bestellungen aufgeben und sie lediglich die Produkte liefern. Für die Ausgabe an Patienten und die Anpassung der Orthesen sei allein das Krankenhaus zuständig. „Lassen Sie sich nicht abwimmeln, die müssen Ihnen helfen“, sagte die Mitarbeiterin noch am Telefon.
Am Telefon
abgewimmelt
Also wieder ein Anruf in der Notaufnahme und wieder kein Ergebnis: Der Vorgesetzte, den ich zu sprechen wünschte, ließ über die Mitarbeiterin am Telefon ausrichten, er hätte „keine Kapazitäten für Telefongespräche“. Beiläufig erwähnte sie, dass sie lediglich eine Größe im Haus hätten. Ich solle morgen wieder anrufen. Das war der Moment, in dem ich aufgab und auf weitere Telefongespräche verzichtete.
Meine Hoffnung lag auf dem bevorstehenden Orthopäden-Termin. Eventuell kann er helfen, dachte ich. Und so war es dann auch. Noch in der Praxis wurde ich mit einer neuen, wesentlich bequemeren Knöchelorthese ausgestattet – in meiner Größe. Mein Orthopäde versicherte mir, dass Druckstellen, Schmerzen und sogar eine Blase, verursacht durch die nicht passende Schiene, Grund genug wären, um ein neues Hilfsmittel bezahlt zu bekommen. Endlich mit der richtigen Schiene versorgt, blieb ich mit Fragen zurück. Allen voran: Bekommen wirklich alle Patienten, egal wie groß oder klein, das gleiche Hilfsmittel verordnet? Und wenn etwas nicht stimmt, muss man das wirklich hinnehmen oder selbst zahlen?
„Nein“, sagt Dr. Stefanie Karpik, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie und stellvertretende Leiterin der Notaufnahme in Bad Reichenhall. „Wir haben die Knöchelorthese in zwei Größen vorrätig“, erklärt sie auf Nachfrage des OVB. Diese werde je nach Schuhgröße in S (Schuhgröße 37 bis 40) und Standard (ab Schuhgröße 40 und größer) an die Patienten ausgegeben. In meinem Fall sei es zu einem Versehen gekommen, erklärt die Ärztin.
Und die Krankenkasse? Noch kam keine Rechnung ins Haus geflattert. Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin der AOK Bayern: „Eine Doppelausstattung zulasten der Versichertengemeinschaft ist nicht vorgesehen.“ Wenn Hilfsmittel nicht passen, müsse die versorgende Stelle nachbessern, neu versorgen oder von der Versorgung zurücktreten. Dann müssten auch die Kosten an die Krankenkasse beziehungsweise den Versicherten erstattet werden.
Wenn also ein falsches Hilfsmittel verordnet wurde, sollten sich Patienten zuerst bei der versorgenden Stelle melden. In der Regel seien dies Sanitätshaus oder Apotheke. In einem Notfall übernehme der Arzt diese Rolle. „Versicherte haben bei Hilfsmitteln wie bei allen Produkten ein Nachbesserungsrecht. Insofern sind der versorgende Arzt oder das Sanitätshaus, das dem Arzt das Hilfsmittel geliefert hat, zur Nachbesserung verpflichtet“, erläutert die AOK-Sprecherin.
Kommunikation ist auch für Stefanie Karpik der Schlüssel. „Patienten können sich jederzeit an uns wenden, sollte etwas mit ihrem Hilfsmittel nicht stimmen. Wir können das Hilfsmittel austauschen, anpassen oder gegebenenfalls eine Bescheinigung für die Krankenkassen ausstellen“, so die Ärztin. Ein Austausch erfolge aus Kulanz – nicht auf Kosten der Krankenkasse. Außerdem rät Karpik: Patienten sollten nicht direkt in der Notaufnahme anrufen. Denn dort laufen alle Anrufe zusammen – egal, ob Patienten oder deren Angehörige, Kollegen oder Rettungsdienst. „Im Zweifel lieber über das Sekretariat der Fachabteilungen um Rückruf bitten.“
Beharrlichkeit
ist der Schlüssel
Fazit: Wer nach einer ärztlichen Behandlung Probleme hat, sollte sich an seinen Arzt wenden. Kommunikation ist alles. Aber meine persönliche Erfahrung hat mir auch gezeigt: Man darf sich nicht abwimmeln lassen und muss beharrlich sein. Denn mit einem Anruf war es in meinem Fall nicht getan. Außerdem kann es hilfreich sein, sich eine zweite Meinung einzuholen. In meinem Fall konnte der ambulante Orthopäde bei der Kontrolluntersuchung helfen.
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