Aufnahmestopps und kaum Termine

von Redaktion

Stadt und Landkreis Rosenheim gelten bei Kinderärzten als „überversorgt“. Trotzdem bekommen Eltern kaum einen Termin, ein Arztwechsel ist nahezu unmöglich. Dr. Thomas Nowotny betreut in seiner Praxis in Schloßberg ausschließlich Privatpatienten. Warum er das tut und worin die Vor- und Nachteile liegen.

Stephanskirchen – Die Stirn glüht, die Nase läuft und wieder ein komischer Ausschlag – wer Kinder hat, weiß, wichtig es ist, einen Kinderarzt zu haben, dem man vertraut und der vor allem gut erreichbar ist. Denn neben allerlei Krankheiten, die Kinder so aufschnappen, führen auch Vorsorgetermine und Impfungen Eltern und ihren Nachwuchs in die Praxen. Doch wer einen Kinderarzt sucht, muss die Erfahrung machen, dass viele Praxen einen Aufnahmestopp verhängt haben. Und selbst wer einen Kinderarzt hat, muss oft lange auf einen Termin warten. Dr. Thomas Nowotny führt eine Praxis in Schloßberg. Allerdings behandelt er dort ausschließlich Privatpatienten. Warum er sich für diesen Weg entschieden hat, worin die Vor- und Nachteile darin liegen, und was sich ändern müsste, damit sich die kinderärztliche Versorgung in der Region verbessert, erklärt er im OVB-Interview.

Warum sind Sie Kinderarzt geworden?

Für mich ist es der schönste Beruf der Welt. Ein Grund dafür ist seine Vielfältigkeit. Vom Frühgeborenen bis zum Jugendlichen, der fast volljährig ist, sehe ich sehr unterschiedliche Menschen, die ein großes Spektrum an teils seltenen Krankheiten haben – auch zur Vorsorge. Außerdem bietet der Beruf des Kinderarztes ein großes Spektrum an spannenden Krankheiten und Vorsorge Vorbeugung finde ich einen sehr wichtigen Teil der ärztlichen Arbeit. Und ich habe schon immer gedacht, dass es für mich wichtig ist, mich für die Schwächsten einzusetzen, und das sind leider immer noch Kinder.

Wann haben Sie Ihre Praxis eröffnet – und war diese von Anfang an eine Privatpraxis?

Ich habe die Praxis vor gut 15 Jahren eröffnet, von Anfang an als Privatpraxis. Ich hatte mich vorher um einen Kassensitz bemüht. Aber das ist in der Region Rosenheim nur möglich, wenn ein Kollege seinen Sitz aufgibt und verkauft. Das war damals nicht möglich.

Hätten Sie später die Möglichkeit gehabt?

Es hört immer wieder mal ein Kollege auf und gibt seinen Sitz ab. Aber ich habe nach einer Weile nicht mehr aktiv gesucht, weil mir die Tätigkeit hier in meiner Praxis doch sehr gut gefällt. Ich arbeite außerdem seit 26 Jahren im Krankenhaus in Agatharied. Derzeit mit 50 Prozent in Teilzeit. Diese Kombination aus Klinik und Praxis ist genau richtig für mich.

Wie viele Patienten betreuen Sie derzeit?

In meiner Kartei befinden sind ungefähr 1000 Patienten. Einige davon sind inzwischen volljährig, einige andere schon länger nicht mehr gekommen. Je älter ein Kind ist, desto seltener geht es in die Kinderarztpraxis. Viele glauben, dass sie so ab zehn Jahren zum Hausarzt gehen sollten. Aber wir sind Kinder- und Jugendärzte und für alle bis 18 Jahre offen.

Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden?

Ich habe vorher schon in Kassenpraxen bei Kollegen mitgearbeitet und festgestellt, dass es ein sehr getaktetes Arbeiten ist. Dass sehr viel Bürokratie eine Rolle spielt, und dass ich bei der Verordnung von Medikamenten nicht frei bin, sondern den Vorgaben der Kassen folgen muss. Einige Dinge können überhaupt nicht verordnet werden, beziehungsweise nur eingeschränkt. Ein Beispiel dafür sind Antibiotika-Säfte. Sie schmecken sehr unterschiedlich, viele bitter. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es sogenannte Rabattverträge. Das heißt, man kann nur ein bestimmtes Produkt einer bestimmten Firma verordnen – nicht selten das bitterste. Wenn das Kind sich weigert, es einzunehmen, muss ein anderes verschrieben werden. Das ist nur eines von vielen Beispielen für teures Sparen. Ich bin froh, dass ich damit nichts mehr zu tun habe.

Welche Vorteile bringt der Verzicht auf eine Kassenzulassung für die Patienten – und für Sie als Arzt?

Ein großer Vorteil für beide ist, dass ich mir so viel Zeit für den Patienten nehmen kann wie nötig und nicht an irgendwelche Taktungen gebunden bin.

Was halten Sie als Privatarzt davon, mehr Versicherte in die gesetzlichen Kassen zu bringen? Stichwort Beamte.

Meiner persönlichen Meinung nach wäre es gut, wenn alle in einer Versicherung wären, die viele Leistungen ermöglicht, etwa ausreichend Zeit für die Patienten. Die Region Rosenheim gilt bei der kinderärztlichen Versorgung als „überversorgt“. Trotzdem sind viele Praxen überlastet und Eltern bekommen schwer Termine, ein Wechsel ist kaum möglich.

Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Ich denke, das hat mehrere Gründe. Zum einen ist die Arbeitsbelastung stark gestiegen. Es gibt mehr Vorsorgeuntersuchungen, es werden mehr Impfungen als früher empfohlen, welche erfreulicherweise auch wahrgenommen werden. Das erfordert mehr Termine pro Kind. Zum anderen sind viele junge Eltern unsicher und wollen für Dinge, die früher die Oma geklärt hätte, kinderärztlichen Rat. Ein dritter Punkt ist sicher die wachsende Zahl von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen, die auch viel Zeit brauchen. Der Weg zu irgendeiner Form von Psychotherapie sollte gebahnt werden, in der Regel über die Kinderarztpraxis. Ein Kinderarzt soll laut Berechnungsschlüssel 2862 Kinder und Jugendliche versorgen.

Wie bewerten Sie diese Berechnung?

Das halte ich für eine hohe Zahl. Es ist aber schwierig, das einzuordnen. So haben Ärzte, die viele Babys und Kleinkinder betreuen, eine größere Arbeitsbelastung als diejenigen, die zwar auch 2862 Patienten versorgen, aber mehr ältere Kinder. Im ersten Jahr gibt es sechs Vorsorgeuntersuchungen, dann nur noch eine pro Jahr.

Was müsste sich ändern?

Ich denke, die Beschränkung bei den Kassenzulassungen muss aufgehoben werden. Es würden sich vermutlich nicht mehr Kollegen niederlassen, als wirtschaftlich sinnvoll ist. In Rosenheim gehören Stadt und Landkreis zu ein und demselben Planungsgebiet. Ich habe trotzdem in den ganzen Jahren nicht erlebt, dass eine Ballung auf die Stadt Rosenheim eine Mangelversorgung in der recht großen Landkreisregion entsteht. Umgekehrt gibt es trotz der jetzigen Planungsbedingungen auch in den Städten „strukturschwächere“ Stadtteile, in denen sich fast kein Arzt niederlässt, beispielsweise Milbertshofen in München. Dafür gibt es eine erstaunliche Ballung in Schwabing. Umgekehrt ist es aber schon so, dass es viel zu wenig junge Kollegen gibt, die in die Praxis gehen. Die Pädiatrie ist noch mehr als andere Fachgruppen davon betroffen, dass weniger Nachwuchs kommt, als Ältere in Rente gehen. Und das wird sicher ein größeres Problem in den nächsten Jahrzehnten.

Woran liegt das?

Generell werden zu wenig Ärzte ausgebildet. Die Kinderkunde ist auch nicht der lukrativste Bereich. Das spielt für einige Kollegen eine Rolle. Aber wie gesagt: Es ist der schönste Beruf der Welt! Interview: Tina Blum

Kinderärztliche Versorgungssituation in der Region Rosenheim

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