Stephanskirchen – „Nicht erschrecken, jetzt wird‘s laut“, sagt Erwin Licht. Dann betätigt der 87-Jährige den Knopf seines umgebauten Webstuhls – und es scheppert kurz gewaltig. Das Holzschiffchen mit dem dicken Schafwollgarn schießt zwischen den Fäden hindurch. Erwin Licht schiebt das lockere Garn mit der Hand so zurecht, dass er das Schiffchen in die andere Richtung schießen kann. So wächst der Teppich Zentimeter um Zentimeter, Schuss für Schuss.
Jeden Vormittag arbeitet Erwin Licht – obwohl längst im Ruhestand – in der Weberei in Waldering. In „seiner Weberei“, die er 1981 gegründet hat.
Drei Generationen
gemeinsam am Werk
Dabei ist er nicht allein. Inzwischen stehen drei Generationen am Webstuhl. Während im hinteren Teil des Gebäudes gewebt wird, werden im vorderen Teil im Laden die Kunden bedient. Dank Opa Erwins Scheppern wissen diese auch gleich, dass die Ware direkt vor Ort hergestellt wird.
Größtenteils dank Mundpropaganda beliefern die Lichts im Jahr etwa 1000 Kunden und stellen rund 4000 Quadratmeter Teppich her. Das ist etwas mehr als ein halbes Fußballfeld. Klassiker wie der Fleckerlteppich aus Stoffresten oder Schafwollteppiche nach Maß gehören zum Repertoire. Kunden können aber auch ihre eigene Wolle bringen und von den Lichts verweben lassen. Etwa sechs Wochen dauert es, bis ein Teppich in seinem neuen Zuhause ausgerollt wird.
Seit 44 Jahren zieht die Familie an einem Strang. Dabei hat jeder seine Aufgabe, die besonders gut zu ihm oder ihr passt. Neben Opa Erwin packten auch seine Frau Erika und die drei Kinder schon immer mit an. Sohn Alfred Licht übernahm 1997 den elterlichen Betrieb, nachdem er dort das Weberhandwerk bis zum Meister gelernt hatte. Seine Frau Elke ist gelernte Textilmustergestalterin. Sie lernten sich während der Ausbildung in der Berufsschule in Münchberg (Landkreis Hof) kennen. Elke Licht berät die Kunden und erstellt Entwürfe nach deren Wunsch. Auch Sabine Licht, eine der beiden Töchter, gehört zum Team der Weberei.
Der Enkel ist mit Stolz
und Freude dabei
Vor gut drei Jahren ist auch der 27-jährige Enkel Johannes in den Familienbetrieb eingestiegen. „Ich bin stolz, einen Beruf zu haben, der nicht alltäglich ist“, sagt er. Das Weben an sich sei zwar immer gleich, aber jeder Teppich ein Unikat. Seine Erfahrung als gelernter Industriemechaniker setzt Johannes Licht in der Weberei ein. So wie schon sein Opa Erwin ist er der Mann fürs Technische. So hat er den Tisch an der Nähmaschine mit Rollleisten ausgestattet, damit die schweren Wollteppiche leichter bearbeitet werden können. Oder LED-Lichter an den Webstühlen befestigt.
Seit Alfred Licht 14 Jahre alt ist, kümmert er sich um das Administrative und den Vertrieb. „Das lag meinem Vater nie sonderlich. Er war eher der Tüftler“, sagt der 58-Jährige. Sein handwerkliches Geschick stellte sein Vater Erwin beim Aufbau seiner Firma unter Beweis. Denn Erwin Licht, der 1945 mit sechs Jahren kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs als Heimatvertriebener nach Haidholzen kam, musste sich seine gesamte Existenz aufbauen. Nach einigen Jahren in den Baracken der alten Flak-Kaserne ließ sich die Familie in einem Eigenheim nieder, Licht lernte den Beruf des Webers und gründete seine eigene Familie – sowie den Betrieb in Waldering.
„Wir hatten nichts. Aus dem Nichts haben wir etwas gemacht“, sagt Erwin Licht. Die fünf mechanischen Webstühle – der größte ist geschätzt 120 Jahre alt, die übrigen etwa 60 Jahre – stammen aus einer Konkursmasse und waren für feine Stoffe konzipiert. Erwin Licht baute sie so um, dass auch grobe Stoffe gewebt werden konnten. Dafür nahm er, was er in die Finger bekam. Hier ein altes Kanalrohr, da ein Zahnrad einer landwirtschaftlichen Maschine.
Im Herbst beginnt
die kuschelige Zeit
Wenn es draußen herbstelt und sich der Fußboden zu Hause wieder kälter anfühlt, füllt sich auch bei Familie Licht das Auftragsbuch. Vor allem in der Vorweihnachtszeit brummt das Geschäft. Seit Einführung des Onlineshops kurz vor der Corona-Pandemie bestellen Kunden aus ganz Deutschland und vereinzelt auch aus dem Ausland die handgewebten Teppiche der Lichts. „Dank der Bestellungen über den Onlineshop konnten wir den Lockdown besser überstehen. Sonst wäre es womöglich eng geworden.“
Doch nicht nur Extremsituationen wie die Corona-Pandemie bedrohen das Weberhandwerk, das neben der Stein- und Holzbearbeitung zu den ältesten Gewerken der Welt zählt. Insbesondere die Industrialisierung und der Import von Textilien haben das Handwerk umgekrempelt. Denn den Weber gibt es als offizielle Berufsbezeichnung nicht mehr. Wie ein Sprecher der Handwerkskammer (HWK) für München und Oberbayern erklärt, gibt es das Weben seit 2011 als Fachrichtung im Textilgestalter-Handwerk.
„In den letzten 20 Jahren gab es nach unserer Information keinen Weber-Meister in Oberbayern.“ Ebenso habe seit der Novelle der Handwerksordnung aus dem Jahr 2004 niemand in Oberbayern die Meisterprüfung im Bereich Textilgestaltung absolviert.
Seit 2011 hat die HWK eigenen Angaben zufolge insgesamt sieben Textilgestalter-Azubis in Oberbayern verzeichnet, davon einen mit Fachrichtung Weben. Insgesamt gibt es 439 Textilgestalter-Betriebe in Oberbayern, 1120 im gesamten Freistaat. In Oberbayern waren 27 dieser Betriebe früher als Webereien eingetragen.
Auch im Urlaub
ein starkes Team
Die Lichts sind ein echtes Paradebeispiel für den generationsübergreifenden Erhalt des Weberhandwerks. Doch sie arbeiten nicht nur zusammen. Sie entspannen auch gemeinsam. Jedes Jahr fahren alle in den Urlaub nach Kroatien – natürlich mit Oma und Opa – und sperren ihre Weberei dafür zu. Bis sie zurückkehren und Opa Erwin den Laden wieder zum Scheppern bringt.