Stephanskirchen – Zahlreich, aber unaufgeregt, waren Stephanskirchener Bürger ins Rathausfoyer gekommen. Die Erleichterung, dass es zu keinen Pöbeleien, Hetzreden und einem Besucheransturm wie bei ähnlichen Veranstaltungen in anderen Landkreisgemeinden gekommen war, stand Bürgermeister Karl Mair am Ende des Abends deutlich ins Gesicht geschrieben.
Viele
Neuankömmlinge
An diesem Abend informierte Landrat Otto Lederer rund um die bezugsfertige Asylunterkunft in der Hofmühlstraße. Da es sich um ein Gewerbeobjekt im Gewerbegebiet handelt, in dem bis zu 101 Menschen unterkommen sollen, hat das Vorhaben des Landratsamtes für ordentlich Diskussionsstoff in der Bevölkerung und im Gemeinderat gesorgt. Nach der „Flüchtlingskrise“ 2016 konnte die Gemeinde fünf dezentrale Unterkünfte für 128 Menschen schaffen. Eine möglichst dezentrale Lösung wäre auch dieses Mal der Wunsch von Verwaltung und Bürgern. Doch der Mangel an potenziellen Objekten und der angespannte Wohnungsmarkt sind der Grund, warum das Landratsamt vielerorts auf Sammelunterkünfte und leer stehende Gewerbeobjekte zurückgreift.
Zweimal reichte die Gemeinde Stephanskirchen gegen die Baugenehmigung des Landratsamtes Klage ein. Einmal mit Erfolg. Das Gericht kippte die zeitlich unbegrenzte Baugenehmigung des Landratsamtes. Der zweite Eilantrag, der die sogenannte aufschiebende Wirkung herstellen und die Arbeiten an der Unterkunft einbremsen sollte, scheiterte jedoch, da das Gericht die auf zehn Jahre begrenzte Baugenehmigung als legitim einstufte. Bis es zu einer Verhandlung kommt, kann das Landratsamt aber nicht warten – und handelt.
Da die Arbeiten abgeschlossen sind und noch immer – wie Lederer auch bei anderen Veranstaltungen beteuerte – etwa alle zwei Wochen ein Bus mit rund 50 Geflüchteten den Landkreis erreicht, soll die Unterkunft nicht leer bleiben. Wie der Landrat bekannt gab, sollen Ende September/Anfang Oktober bereits die ersten Geflüchteten dort einziehen. So, wie es derzeit aussehe, soll es sich dabei überwiegend um ukrainische Familien mit Kindern handeln. „Mit großer Wahrscheinlichkeit“ sollen auch Menschen aus der Ankunftseinrichtung in Rott kommen.
Nach einem Einblick in die Zahlen, die rechtliche Situation sowie die bürokratische Ordnung rund um das Thema Asyl, konnten die Stephanskirchener ihre Fragen stellen. Die Frage nach Sicherheit und der Wunsch nach einem Sicherheitsdienst kamen vonseiten der Bürgerinitiative (BI) „Stephanskirchen ro(t)tiert“. Woraufhin Lederer daran erinnerte, dass es sich bei der Unterkunft um ein Wohnungsangebot für Flüchtlinge handle. Ukrainische Kriegsflüchtlinge seien automatisch anerkannt und dürften sich „frei bewegen wie jeder andere von uns auch“. Ein Sicherheitsdienst sei daher nicht eingeplant.
Als Ansprechpartner in puncto Sicherheit war Polizeidirektor Volker Klarner von der Polizeiinspektion Rosenheim geladen. Die Stadt Rosenheim sowie die Gemeinden Prutting, Riedering, Schechen, Söchtenau, Stephanskirchen und Vogtareuth gehören zu seinem Zuständigkeitsbereich. „Genaue Zahlen habe ich nicht im Kopf, aber wir hatten 2025 nur sehr wenige Polizeieinsätze in Asylunterkünften.“ Zwar sei die Zahl der Straftaten durch Ausländer in den vergangenen Jahren gestiegen. Jedoch seien bei Gewaltstraftaten meistens auch Ausländer die Opfer. „Meistens passieren diese innerhalb des gleichen Personenkreises“, so Klarner.
Der Polizeidirektor betonte, dass er keine Sicherheitsbedenken wegen der Unterkunft habe. So seien keinerlei Beschwerden von Eltern gekommen, als die Turnhallen noch als Geflüchtetenunterkünfte dienten, die um die Sicherheit ihrer Kinder bangten. Die einzigen Nachfragen seien nur um ein Thema gegangen: Wann gibt es wieder Sportunterricht? „Ich habe kein politisches Amt. Ich sage das nicht, weil ich muss, sondern weil ich es will und davon überzeugt bin“, fügte Klarner hinzu.
Daniel Bail von der BI war nicht überzeugt. Er hatte eine Pressemitteilung des AfD-Landtagsabgeordneten Andreas Winhart dabei, laut der die Zahl der Polizeieinsätze in größeren Asylunterkünften im Landkreis Rosenheim gestiegen sein soll. Besonders betroffen seien Bad Aibling, Bruckmühl, Aschau, Halfing, Raubling und Kolbermoor. Klarner konnte dies weder bestätigen noch nachvollziehen. Denn in besagter Mitteilung heißt es auch: „In einzelnen Orten wie Wasserburg ist hingegen eine Entlastung erkennbar.“
Was die BI und andere Bürger umtrieb, waren Fragen zur Lärmbelästigung, Müllbelastung und der Finanzierung. Wie der Landrat erklärte, läge die Finanzierung der Unterkünfte in Bayern zu 100 Prozent beim Freistaat. Da bereits in anderen Unterkünften im Landkreis – unter anderem in Rott – Vermüllung nahe der größeren Unterkünfte beobachtet worden sein soll, plant das Landratsamt einen Hausmeisterdienst für das Gebäude in der Hofmühlstraße.
Bei nächtlicher Lärmbelästigung bat Lederer darum, zunächst das Gespräch zu suchen. „So wie man es bei Nachbarschaftsstreitigkeiten macht.“ Bei Uneinsichtigkeit könne die Polizei hinzugezogen werden. Bei Lärm durch spielende Kinder bat der Landrat um Nachsicht.
Besonders im Fokus stand das Thema Integration: Da die Zahlen der neu ankommenden Flüchtlinge zu Pandemiezeiten deutlich heruntergingen, gibt es in Stephanskirchen keinen aktiven Helferkreis mehr. Damit die Integration dennoch gelingt, schilderte Petra Gäbelein vom Fachdienst Asyl und Migration der Caritas Rosenheim, welche Themen die Geflüchteten im Alltag besonders betreffen und wie die beratende Tätigkeit des Wohlfahrtsverbandes aussieht.
Egal, ob Hilfe mit Anträgen und Bürokratie, Beschaffung von Fahrrädern, Fragen zum Thema Schule und Kindergarten sowie Freizeitangebote für Kinder oder Deutschkurse: Die Fachberatung steht auch Helfenden zur Seite und kann beim Vernetzen unterstützen, erklärte Gäbelein.
Große
Hilfsbereitschaft
Ein wesentlicher Kritikpunkt der Stephanskirchener ist und bleibt die Umgebung der Sammelunterkunft. Mitten im Gewerbegebiet gebe es nur wenige Spielmöglichkeiten für Kinder – sowohl direkt auf dem Gelände als auch in der Nachbarschaft. Eine Bürgerin äußerte Bedenken wegen der Sims, die direkt hinter dem Haus fließt. „Wird der Bereich eingezäunt?“, wollte sie wissen. Lederer versicherte, dass ein Zaun errichtet wurde, der aber den Fischern immer noch Zugang bietet. Er räumte ein, dass es auch nicht seine „präferierte Lösung“ sei. Der angespannte Wohnungsmarkt in der Region lasse aber keine Wahl. „Wir müssen nehmen, was wir angeboten bekommen.“
Ein Bürger wollte wissen, warum der Landkreis weitere Asylunterkünfte baue, wenn die Zahl der Asylanträge im letzten halben Jahr um fast die Hälfte gesunken sei. „Stimmt“, so Lederer, „der Landkreis Rosenheim gilt aber nach Königsteiner Schlüssel als Untererfüller. Das heißt, dass die, die noch kommen, in diese Landkreise geschickt werden.“ Der Landrat betonte, dass die gewünschte und von der BI geforderte geringere Belegung (mit 50 Personen) aufgrund des akuten Bedarfs nicht möglich sei. Man sei froh, die Menschen nicht mehr in Turnhallen unterbringen zu müssen.
In Stephanskirchen bestimmten nicht nur Sorge und Befürchtung die Stimmung der Bürger. Auch positive Rückmeldungen im Stil von Ex-Kanzlerin Angela Merkels „Wir schaffen das!“ kamen aus dem Publikum. Das zeigte sich auch nach Abschluss der Veranstaltung. Denn die Liste für potenzielle Helfer von Michaela Plass, die sich im Rathaus unter anderem um Migrations- und Asylangelegenheiten kümmert, war schnell gefüllt.