InterviewFlorian Nagele über das Apothekensterben und mögliche Reformen
„Einschläge kommen auch hier näher“
Kolbermoor – Impfen und diverse Medikamente verschreiben – ohne Rezept vom Arzt? Gedankenspiele des Bundesgesundheitsministeriums sehen vor, dass Apotheken künftig deutlich mehr Befugnisse erhalten sollen. So wolle man beispielsweise die Impfquote in der Bevölkerung durch das niederschwellige Angebot bei der Apotheke vor Ort erhöhen. Doch was könnte sich in Zukunft konkret durch die angedachte Apotheken-Reform ändern? Florian Nagele, Kolbermoorer Apotheker und Pressesprecher des bayerischen Apothekerverbands für die Region Rosenheim, spricht im OVB-Interview über die Pläne und darüber, wie sich diese künftig auf Patienten auswirken könnten.
Herr Nagele, wie stehen Sie grundsätzlich zu den Überlegungen einer Apotheken-Reform?
Vorweg ist festzuhalten, dass aktuell nur Eckpunkte genannt wurden, die dem Ministerium oder auch der Ministerin vorschweben. Positiv im Vergleich zur Vorgängerregierung ist, dass nun zumindest mal auch auf die Apotheken zugegangen wird. Man hat also durchaus den Eindruck, dass die Ministerin zu einem Dialog bereit ist. Und die Eckpunkte beinhalten etliche kleine Dinge, die wir durchaus positiv sehen.
Aber?
Das große Problem, was die Apothekerschaft seit 20 Jahren umtreibt, ist die nicht stattfindende Honorarerhöhung – was im Koalitionsvertrag auch aufgegriffen wurde, weil man erkannt hat, wie brennend das Ganze ist. Leider kam jetzt die Information, dass diese Honorarerhöhung erst mal auf Eis gelegt wird, was natürlich schwierig ist. Wir haben seit vielen Jahren ein Apothekensterben. Das beschleunigt sich, wir haben allein im Jahr 2024 über 500 Apothekenbetriebe bundesweit verloren.
Allein in Bayern haben in den vergangenen zehn Jahren über 500 Apotheken geschlossen. Wir sind auf dem niedrigsten Stand seit den 1970er-Jahren. Also ein wirklich brisantes Thema. Gerade wenn man sieht, dass das Honorar 2004 festgelegt, 2013 um drei Prozent erhöht und seitdem bis heute festgefroren wurde.
Was hat die ausbleibende Honorarerhöhung mit der angedachten Apotheken-Reform zu tun?
Die Entwicklung zeigt, dass die Tariflöhne in den vergangenen zehn Jahren um 40 Prozent gestiegen sind. Hinzu kommen die bekannten Kostensteigerungen für Miete oder Nebenkosten. Wenn keine Erhöhung der Vergütung kommt, wird es einfach irgendwann schwierig, noch zusätzliche Aufgaben stemmen zu können.
Welche zusätzlichen Aufgaben könnten das sein?
Angedacht ist grundsätzlich, uns Apotheken etwas mehr einzubinden. Was durchaus sinnvoll ist, auch für den Patienten, weil wir hier einen guten Beitrag zur Versorgung leisten können. Das machen wir durchaus auch gerne. Es geht beispielsweise um Medikamente, mit denen wir bei chronisch Kranken womöglich mit einer kleinen Packung ohne Rezept aushelfen können. Allerdings ist zu diesen Eckpunkten noch nichts Genaues bekannt. Wie die Umsetzung also konkret aussehen könnte, müssen wir noch abwarten.
Was könnte die Reform noch ändern?
Positiv sehen wir etwa die Überlegung, wonach das sogenannte Skonto-Verbot wieder gekippt werden könnte. Wenn eine Firma irgendwo einkauft, gibt es bei entsprechend früher Zahlung ein Skonto, einen Preisnachlass, was auch im Apothekenbereich möglich war. 2024 wurde die Gewährung von Skonti durch ein Urteil verboten, da der BGH dies mit der aktuellen Formulierung der Arzneimittelpreisverordnung nicht im Einklang sieht. Dies stellt eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung für die Apotheken dar. Sollte dieses Verbot im Rahmen der Reform wieder beseitigt werden, wäre das natürlich sinnvoll. Auch soll durch die Reform verhindert werden, dass Apotheken aufgrund von Formfehlern keinen Cent durch verkaufte Produkte bekommen. Wir sind ja verpflichtet, bestimmte Präparate abzugeben, für die die Krankenkasse mit einem Hersteller einen Vertrag geschlossen hat. Durch Lieferengpässe müssen diese oftmals ausgetauscht werden, um den Kunden dennoch versorgen zu können. Das dürfen wir grundsätzlich auch, nur muss dies auf dem Rezept vermerkt werden. Ein Formfehler wäre, diesen Vermerk zu vergessen. Hierfür soll es dann aber künftig nur einen Abzug geben, was unseren Arbeitsalltag ebenso erleichtern würde.
Welche Vorteile könnte die Reform für Patienten bieten?
Durch mögliche Anpassungen könnten sich unsere Kunden unter anderem Wege sparen und nicht erst fünfmal zum Arzt laufen, bevor sie ein Medikament erhalten können. Da geht es etwa um den identischen Wirkstoff, der ohnehin schon verabreicht wurde. Hier könnte man Erleichterungen schaffen und Hürden abbauen. Wir versuchen ja heute schon, möglichst viel direkt vor Ort zu lösen, was in den meisten Fällen auch gelingt. So sprechen wir uns hierfür etwa telefonisch mit den Arztpraxen ab, während der Kunde bei uns in der Apotheke wartet. So muss der Patient zwar nicht extra zum Arzt gehen, jedoch belastet dieses Vorgehen sowohl uns als auch die Arztpraxen. Denn es muss ein Problem gelöst werden, was eigentlich keines ist, da es nur eine Formsache ist.
Was könnte sich bei Impfungen ändern?
Die Gesundheitsministerin hat in den Raum gestellt, dass Apotheken eventuell im Bereich der Totimpfstoffe mehr Befugnisse bekommen. Klar ist, dass das Impfen grundsätzlich eine ärztliche Leistung ist, was in gewissem Maße auch so bleiben soll. Aber es gibt Schutzimpfungen, bei denen der Vorgang als sicher einzustufen ist und den wir leisten können. Wie zum Beispiel bei der Grippeimpfung, die wir ohnehin schon durchführen. Es gibt ein paar weitere Impfstoffe, die bezogen auf die Risikobewertung vergleichbar einzuordnen sind. Wenn man diese Schutzimpfungen dann in der Apotheke erledigen kann, wäre das sicherlich sinnvoll.
Welche Intention steckt hinter dieser angedachten Kompetenz-Erweiterung?
Zum einen soll damit die Impfungsrate erhöht, zum anderen sollen die ohnehin oftmals stark überlasteten Arztpraxen entlastet werden. Und man darf nicht unterschätzen, dass es durchaus einen nicht geringen Teil an Patienten gibt, der sich ansonsten einfach gar nicht impfen lassen würde. Es geht ja nicht darum, dass wir jemanden impfen wollen, der ohnehin dafür in die Arztpraxis gehen würde. Das soll er bitte weiterhin tun. Es geht vielmehr um Personen, die für eine Impfung keinen Arztbesuch auf sich nehmen.
Ist ein genereller Trend erkennbar, dass Menschen lieber erst zur Apotheke gehen, bevor sie zum Arzt müssen?
Ich würde hier nicht von einer Entwicklung sprechen, weil das eigentlich schon immer so war. Wir sind nach wie vor eine extrem niedrigschwellige Anlaufstelle und die Menschen wissen das immer schon zu schätzen. Man geht in die Apotheke und bekommt eine entsprechende Versorgung, Rat und Beratung. Bei vielen kleineren Erkrankungen, wie Erkältungen, muss man nicht gleich zum Arzt gehen und wir können das ganze System entlasten. Das tun wir schon immer, also hat sich da nichts verändert. Durch die Reform können wir dieses Potenzial noch besser nutzen.
Wird es speziell in der Region spürbare Veränderungen geben?
Die angedachte Reform hat regional bezogen keine speziellen Auswirkungen – das betrifft ganz Deutschland. Generell ist der südostbayerische Raum im Verhältnis noch relativ gut mit Apotheken aufgestellt. Jedoch spüren wir auch hier, dass es vermehrt Schließungen gibt, die Einschläge kommen auch hier näher. In Rosenheim haben kürzlich etliche Apotheken geschlossen, in Bayrischzell gibt’s gar keine mehr. Da müssen die Leute jetzt woanders hinfahren. Insgesamt haben wir aber im Südosten noch einen relativ dicht besiedelten Bereich, vergleicht man das beispielsweise mit Ostdeutschland.
Wann wird die Apotheken-Reform in Kraft treten?
Bislang gibt es nur Eckpunkte. Es folgt ein Referenten-Entwurf, in dem ein erstes Grundgerüst ausformuliert wird. Also wie stellen sie sich das Ganze vor, was dann natürlich noch zur Anhörung mit Fachleuten verschiedener Seiten kommt. Im letzten Schritt kommt das Gesetzgebungsverfahren. Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass wir noch in diesem Herbst den Entwurf bekommen, kann man womöglich darauf hoffen, dass es im Laufe des kommenden Jahres irgendwann zur Umsetzung kommt.
Interview
Nicolas Bettinger