Beim Probetermin für die Therapie in Pforzheim. Foto Privat
Rosenheim/Kufstein – Stefanie Bürk ist ein positiver Mensch. Das sagt sie selbst. Sie lacht gerne und erzählt viel – obwohl sie etwas erlebt hat, was sich viele wohl gar nicht vorstellen können. Anfang des Jahres stürzte sie bei einem Rodelunfall so schwer, dass sie seitdem querschnittsgelähmt ist und im Rollstuhl sitzt.
„Wir waren Schlittenfahren in der Nähe von Kufstein“, erinnert sich die 35-Jährige. Sie kommt ursprünglich aus Stuttgart, lebt aber schon seit etwa drei Jahren in Rosenheim. Gemeinsam mit Freunden ging sie an diesem Tag auf den Berg und wollte mit dem Schlitten wieder runter. „Ungefähr auf halber Strecke kamen wir an eine glatte und vereiste Stelle.“
„Hatte Angst
um ihr Leben“
Bürk weiß auch heute noch, was dann passierte. „Ich war eigentlich nicht schnell dran. Aber aufgrund der Glätte konnte ich weder bremsen noch lenken.“ Und deshalb kann sie den Schlitten nicht mehr stoppen, als er aus der Bahn gerät und den Hang hinunter schlittert. „Neben der Strecke ging es steil runter in den Wald. Ich habe mich überschlagen und bin auf dem Boden gelandet“, erzählt Bürk. Bei dem Aufprall drückt es ihr den fünften Brustwirbel aus der Wirbelsäule.
Auch Bürks Freund Maurice Richardson ist damals dabei, rennt zu ihr und wählt den Notruf. „Ich hatte Angst um ihr Leben“, sagt er. Nach dem Unfall sei Bürk zwar bei Bewusstsein gewesen, doch keiner habe gewusst, wie schwer die Verletzung wirklich ist. Mit dem Helikopter wird die damals 34-Jährige erst nach Innsbruck transportiert, kommt später ins Krankenhaus in Murnau. „Die sind auf Rückenmarksverletzungen spezialisiert“, sagt Bürk. Vier Monate bleibt sie in der Klinik.
Der Unfall am 19. Januar veränderte ihr Leben grundlegend. In der Zeit im Krankenhaus und auf Reha hat sie viele Menschen kennengelernt, die ein ähnliches Schicksal ereilte. „Viele von ihnen verteufeln ihren Unfalltag. Ich sehe ihn als zweiten Geburtstag. Denn ich hätte mir auch das Genick brechen oder am Ende im Wachkoma liegen können“, sagt Bürk. Sie sei froh, dass sie lebt.
Von den Klinikangestellten lernt sie, mit dem Rollstuhl umzugehen. Etwa sechs Monate nach dem Unfall kann sie wieder nach Hause. Zurück in die Wohnung, in der sie mit ihrem Freund Maurice Richardson lebt. Zur Feier des Tages hängt er eine Girlande auf und schenkt ihr Luftballons.
Für ihn war die Zeit ohne Stefanie schwierig, wie er erzählt. „Es ist einfach unvorstellbar. Du gehst mit deiner Partnerin morgens aus dem Haus und dann weißt du nicht, ob sie jemals wieder nach Hause kommt.“ Nach dem Unfall habe er einfach funktioniert. Er informierte Familie und Freunde, teilte Bürks Arbeitgeber mit, dass sie am Montag nicht arbeiten kann. „Dieses Mechanische ist in so einer Krisensituation der einzige Weg für mich“, sagt Richardson.
Die beiden sind mittlerweile seit etwa vier Jahren ein Paar. „Seinetwegen bin ich ursprünglich nach Rosenheim gezogen“, sagt Bürk. Sie lernten sich kennen, als Bürk gerade in der Region Urlaub machte. Ihren Job im Marketing konnte Bürk nach Rosenheim „mitnehmen“, wie sie sagt: Einen Großteil der Arbeit erledigte sie im Homeoffice. „Aktuell arbeite ich noch nicht wieder“, so die gebürtige Stuttgarterin.
Vor dem Unfall war Bürk in ihrer Heimat bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) tätig, insgesamt 25 Jahre. „Auch hier in Rosenheim bin ich viel geschwommen, habe Pilates gemacht. Generell war ich viel unterwegs und auch sportlich“, erzählt die junge Frau. Gemeinsam mit Freund Maurice bereiste sie die Welt, besuchte Mexiko, Miami und Malta. „Mir wird immer gesagt, das wäre auch jetzt noch möglich, auch wenn es anders ist“, sagt Bürk. Vor Kurzem sei sie beispielsweise mit einer Freundin in der Therme gewesen. „Das hat gut funktioniert.“ Aber auf den Berg gehen, so wie Bürk es früher so gerne gemacht hat, das sei schwierig.
„Derzeit habe ich in den Beinen keine Funktion“, erklärt Bürk. Und sie sagt bewusst „derzeit“. Denn vor einigen Wochen hatte sie einen Probetermin in einer Klinik in Pforzheim. Seitdem hat sie wieder Hoffnung. „Die haben nämlich ein ganz anderes Konzept“, betont die Rosenheimerin. Dort würden Rumpf und Beine trainiert, „bis zum Geht-nicht-mehr“, sechs Stunden am Tag und das über Wochen hinweg.
Bei dem Probetermin haben wir zuerst Rumpfübungen gemacht. Danach hatte ich ein extremes Spannungsgefühl im Bauch“, sagt Bürk. Obwohl sie normalerweise ab der Brust nichts mehr spürt. Und dann holten die beiden Therapeuten sie auf die Beine. Das Ganze funktioniert mit einem Rollator mit angebauten Krückengriffen, die Unterstützung bis zum Ellenbogen gewährleisten.
Die Therapeuten geben Anweisungen, stützen sie und helfen, ihre Beine zu bewegen. Schritt für Schritt bewegt sich Bürk bei der Therapie vorwärts. „Anfangs fixierten sie mich noch. Aber dann haben sie meine Knie losgelassen und sie knickten nicht weg, wie sie es aufgrund der Lähmung tun müssten“, sagt Bürk. Sie ist sich sicher: Irgendwas hat ihr Körper gemacht – trotz Lähmung.
Auch eine Neurologin habe ihr bestätigt, dass diese Gehbewegungen immer wieder ausgeführt werden müssen, damit es irgendwann vielleicht klappt. „Nach diesem Termin war ich einfach sprachlos. Und ich bin selten sprachlos“, verrät Bürk. Sie glaubt, dass diese anstrengende Therapie ihr wortwörtlich wieder auf die Beine helfen könnte. Die Klinik geht ihr deshalb nicht mehr aus dem Kopf, sie lässt sich einen Kostenvoranschlag schicken.
Kostspielige
Intensivtherapie
„Es ist wahnsinnig viel Geld“, sagt Bürk. Rund 48000 Euro kosten acht Wochen Intensivtherapie. „Aber ich weiß, wenn ich es nicht versuche, würde ich mich immer fragen: Was wäre, wenn?“, meint Bürk. Sie sei kein Mensch, der gerne andere um Hilfe bittet oder gar um Geld bettelt. „Ich wollte immer alles alleine schaffen, nicht abhängig von anderen sein“, erzählt sie.
Deshalb habe sie beim Auto ihre Reifen selbst gewechselt und Schränke stets alleine aufgebaut. „Doch jetzt brauche ich bei manchen Sachen einfach Hilfe“, sagt Bürk.
So auch bei der Sache mit dem Geld. Eine Freundin macht die 35-Jährige auf Gofundme aufmerksam. „Sie hat gesagt, ich soll es einfach mal probieren“, so Bürk. Und das tut sie. Am 26. September geht ihre Spendenaktion auf der Plattform online. Von knapp 48000 Euro konnten seitdem schon über 27000 Euro (Stand 13. Oktober) gesammelt werden.
„Das hätte ich nie geglaubt. Wenn ich das sehe, habe ich Tränen in den Augen“, gibt Bürk zu. Dass teils fremde Menschen für sie spenden, rührt sie. Und es gibt ihr Hoffnung, die Therapie in Pforzheim durchziehen zu können. Damit sie eines Tages vielleicht wieder selbst aufstehen kann.