Vogtareuth – Die Überlebenschancen in der Region schwinden. Die ersten Notfälle sind schon auf der Straße geblieben: drei Menschen mit lebensbedrohlichen Aorteneinrissen, die zum Überleben einen Herzchirurgen brauchten. Die Herzzentren in München hatten keine freien Kapazitäten. Bisher sprang in solchen Fällen Vogtareuth ein. Doch zum ersten Mal konnte auch die Schön-Klinik nicht helfen. Wo sie behandelt wurden, ist nicht bekannt.
Düsterer Ausblick
für die Gesundheit
Es ist ein bitterer Vorgeschmack auf das, was kommt. Ab 2026 fällt in Vogtareuth höchste medizinische Kompetenz in Fachbereichen der Erwachsenenmedizin weg. In der Herzchirurgie, der Neurologie, der Schmerztherapie, der Neurochirurgie, Epilepsiechirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und Skoliosebehandlung. Hochqualifizierte Behandlungen gehen verloren: darunter beispielsweise die umfassende Versorgung tausender Epilepsie-Patienten, 800 Operationen an der Wirbelsäule, 500 Schmerztherapien, 650 herz- und gefäßchirurgische Eingriffe, aber auch seltene Behandlungen wie die Vagusnervstimulation oder die Implantation von Hirnschrittmachern. Und die Spezialisten – in ihren Fachgebieten anerkannte Koryphäen – werden entlassen.
Angst vor dem
„Irschenberg-Syndrom“
Für die Bereiche, die die Schön-Klinik in Vogtareuth künftig nicht mehr anbietet, sei die Versorgungsqualität im Landkreis Rosenheim gewährleistet, hat Marcus Sommer, Regionalgeschäftsführer Süd der Schön-Klinik-Gruppe, behauptet. Doch die Praktiker wissen es besser. Sie warnen vor dem „Irschenberg-Syndrom“, also dem Tod auf dem Transport in eine Klinik nach München. Sie sind sicher: „Die Schließung mehrerer Fachabteilungen in Vogtareuth ist ein Todesurteil. Sie wird Menschenleben kosten.“
Die Mitarbeiter der Schön-Klinik dürfen sich nicht öffentlich äußern. Die Geschäftsführung hat ihnen einen Maulkorb verhängt. Domingo Heber, Verdi-Gewerkschaftssekretär für den Gesundheitssektor, ergreift für sie das Wort: „Die ganze Region ist von den Schließungen an der Schön-Klinik betroffen. Die Romed-Kliniken können diese Versorgungslücke nicht schließen. Dafür bräuchten sie das Personal und die OP-Säle aus Vogtareuth.“
Heber will die Politik ins Boot holen, um die medizinische Versorgung und die Arbeitsplätze in Vogtareuth zu retten: „Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir öffentlichen Druck machen und viele Menschen auf die Straße bringen.“ Nur so könne man auch eine Privatklinik zu Gesprächen bewegen. „Sie müssen die Zahlen transparent machen und erläutern, woher das Defizit von 8,4 Millionen Euro kommt, welche Fachbereiche wirklich defizitär arbeiten, und wie man das ändern kann“, betont Heber. Denn bisher seien die Mitarbeiter nur über die Schließung, nicht aber über die Gründe informiert worden. „Alternative Lösungen wurden nicht einmal ins Auge gefasst“, kritisiert Heber. Er macht auf den Fehler im System aufmerksam: „Die Gesundheitsversorgung wird dem Markt überlassen. Statt sich der Daseinsvorsorge zu widmen, stehen öffentliche und private Leistungserbringer im Wettbewerb. Eine Klinik ist aber keine Würstchenbude, die man einfach mal schließen kann, wenn man nicht genug verkauft. Eine Klinik hat einen Versorgungsauftrag.“ Zudem gehöre zum politischen Versprechen von gleichwertigen Lebensverhältnissen auch eine flächendeckende medizinische Versorgung. „Und hier steht Landrat Otto Lederer in der Verantwortung“, betont Heber. Er könne Einfluss auf eine bessere Zusammenarbeit der Kliniken in der Region nehmen. Die Politik sei aufgefordert, sich für eine sichere Gesundheitsversorgung in der Region zu engagieren. Der Landkreis müsse die Fachzentren oder die komplette Vogtareuther Klinik retten.
Nach OVB-Informationen haben sich bereits zahlreiche ehemalige Mitarbeiter und Patienten an den Landrat sowie die Landtags- und Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Rosenheim gewandt. Außer dem Bundestagsabgeordneten der Linken, Ates Gürpinar, hat bislang keiner die Schließungspläne oder die zu erwartende Versorgungslücke kritisiert.
Es wird laut in Vogtareuth: Am Montag, 27. Oktober, findet um 16 Uhr vor dem Haupteingang der Schön-Klinik eine Kundgebung statt. In ihrem Protest gegen die Stationsschließungen und den Stellenabbau in Vogtareuth werden die Mitarbeiter der Schön-Klinik von Bürgermeister Rudolf Leitmannstetter, dem VdK und den Vereinen der Gemeinde unterstützt. Familie Steinbacher hat den Parkplatz des Landgasthofes „Vogtareuther Hof“ für die Kundgebung zur Verfügung gestellt.
Lauter Widerstand am
27. Oktober geplant
„Alle Menschen, die sich für den Erhalt der Gesundheitsversorgung in der Region starkmachen wollen, sind eingeladen, am 27. Oktober mit uns zu demonstrieren“, ruft Gewerkschaftssekretär Domingo Heber auf, denn: „Je machtvoller unsere Unterstützung für die Mitarbeiter der Klinik ist, desto größer werden unsere Chancen, etwas zu bewirken.“