Niederaudorf – Die Sonne kam spät, aber sie kam – und mit ihr der Glanz eines Brauchtums, das in Niederaudorf seit nunmehr 180 Jahren gepflegt wird. Rund 1000 Besucher versammelten sich am vergangenen Samstag im Ortskern des kleinen Inntaldorfs, um einem Fest beizuwohnen, das weit mehr ist als ein folkloristisches Spektakel. Die Leonhardifahrt ist ein fest verankerter Ausdruck gelebter Gemeinschaft und religiöser Hingabe.
Die Aufstellung der Gespanne begann früh, gegen 9.30 Uhr, bevor sich der Festzug zum Keindl-Anger bewegte, wo Pfarrer Hans Huber gemeinsam mit zwölf Ministranten den Gottesdienst unter freiem Himmel zelebrierte. Zunächst lag ein grauer Himmel über dem Ort, doch pünktlich zum Beginn der Messe brach die Sonne durch die Wolken, als hätte sie gewusst, wann sie gebraucht wird.
Ehrengäste wie Erster Bürgermeister Dr. Matthias Bernhard, sein Stellvertreter Alois Holzmaier sowie Dritter Bürgermeister Max Resch zeigten mit ihrer Anwesenheit, welch hohen Stellenwert das Ereignis in der Gemeindepolitik besitzt. Organisiert wurde die Feierlichkeit vom Trachtenverein GTEV D’Brünnstoana in enger Zusammenarbeit mit der katholischen Pfarrei sowie lokalen Unterstützern. 23 reich geschmückte Wagen und Kutschen, begleitet von etwa 110 Pferden und einer Vielzahl an Reitern aller Altersklassen, zogen anschließend dreimal feierlich durch das Dorf – vorbei an der Kirche St. Michael, durch die Ortsmitte und entlang der Zuschauerreihen, die beidseits die Straße säumten. Musikkapellen und Trachtengruppen rahmten das Geschehen musikalisch und optisch ein. Der Höhepunkt des Tages war die feierliche Segnung der Pferde, bei der Pfarrer Hans Huber in alter Tradition die Tiere mit Weihwasser schützte – eine Geste, die tief im christlichen Glauben verwurzelt ist und bis heute nichts von ihrer Symbolkraft verloren hat.
Die Geschichte der Leonhardifahrt in Niederaudorf reicht weit zurück. Erstmals dokumentiert wurde der Brauch im Jahr 1845, sein Ursprung liegt jedoch tiefer – eingebettet in die bayerische Verehrung des heiligen Leonhard von Limoges, Schutzpatron der landwirtschaftlichen Nutztiere. Ausgelöst durch einen Disput mit Flintsbach, veranlasste Vikar Johann Baptist Spagl Mitte des 19. Jahrhunderts die Etablierung eines eigenen Leonhardiritts in Niederaudorf, der gegen anfängliche kirchenrechtliche Widerstände dennoch durchgesetzt wurde. Seither ist der Umritt Ausdruck lokaler Identität und Widerstandskraft.
Auch äußere Umstände konnten der Tradition nichts anhaben. 1949 erinnerte die Gemeinde mit einer Weihezeremonie und der Anschaffung einer Standarte an das hundertjährige Bestehen, und obwohl die Landwirtschaft heute weitgehend mechanisiert ist, bleibt die Verbundenheit mit Tier, Natur und Brauchtum lebendig. Jahr für Jahr versammelt sich die Dorfgemeinschaft zu diesem besonderen Anlass, schmückt Pferde und Wagen, trägt Tracht und Musik durch die Straßen – ein lebendiges Zeugnis dafür, dass Tradition nicht konservieren muss, sondern tragen kann.