„Streben ging Richtung Westen“

von Redaktion

Inntal-Gymnasium zeigt DDR-Ausstellung – Zeitzeuge berichtet über seine Flucht

Raubling – Zum 35. Male jährte sich nun der Tag der Deutschen Einheit. „Wie war das damals eigentlich in der DDR?“ – Zu dieser Fragestellung veranstaltet das Inntal-Gymnasium eine Ausstellung. In der Aula wurde die Ausstellungskombination „Der untergegangene Staat – Alltag und Leben in der DDR“ sowie „Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ eröffnet – ein Projekt, das Geschichte greifbar und begreifbar machen soll.

Der stellvertretende Schulleiter Erich Menacher begrüßte neben Landrat Otto Lederer und Raublings Bürgermeister auch einen besonderen Gast: Dr. Michael Gleau, der als Zeitzeuge von seiner missglückten Flucht und dann doch noch gelungenen Ausreise aus der DDR berichtete.

„Geschichte darf nicht vergessen werden“, betonte Lederer in seinem Grußwort. „Nur wer sie kennt, weiß, was Freiheit und Demokratie wert sind.“ Auch Bürgermeister Kalsperger unterstrich: „Ein Staat, der vorschreibt, was Menschen zu denken haben, kann auf Dauer nicht funktionieren.“

Ganz ruhig in der Aula wurde es, als Dr. Michael Gleau (74) die Zuhörer mit auf eine bewegende Reise in seine Jugend nahm, in eine Zeit der Überwachung und der eingeschränkten Lebenswege. „Das ganze Streben der Menschen ging Richtung Westen“, erzählte Gleau. „Und wer konnte, der sah heimlich Westfernsehen – obwohl das natürlich streng verboten war.“

Seine Lebensgeschichte spiegelt wider, was es bedeutete, in einem Staat zu leben, der über Denken und Gesinnung wachte: Trotz guter Schulnoten wurde ihm das Studium verweigert. Viele Jahre später erfuhr er den Grund: Der Vater seiner Freundin und heutigen Frau war bei der „Stasi“ und so wurden auch ganz private Äußerungen nach außen getragen, mit dem Resultat, dass seine „politische Haltung“ als nicht systemkonform galt.

Mit nur 19 Jahren wagten Gleau und seine heutige Frau die Flucht über die ungarisch-jugoslawische Grenze und scheiterten. Sie wurden verhaftet und in das berüchtigte Gefängnis Hohenschönhausen gebracht. „Wir hatten wenig Licht, wenig Luft, schlechtes Essen und Bewacher, die auf Hass trainiert waren“, schilderte er eindrücklich. Nach elf Monaten Haft kam er auf Bewährung frei und stellte immer wieder Ausreiseanträge, bis er 1975 schließlich in die Bundesrepublik ausreisen durfte.

In München studierte er Zahnheilkunde und eröffnete später eine eigene Praxis. Triumphierend hielt er am Ende seines Vortrags den alten Zellenschlüssel in die Höhe: „Den habe ich mir nach der Wende gesichert“, sagte er lächelnd – ein Symbol für seine zurückgewonnene Freiheit.

Viele Schüler nutzten die Gelegenheit, Fragen zu stellen – über seine Flucht, über Misstrauen, Verrat und darüber, ob man nach so einer Zeit überhaupt wieder Vertrauen fassen könne. Offen und ehrlich beantwortete der Zeitzeuge jede Frage. Er berichtete auch, wie es schließlich zu seiner Ausreise kam: „Ich war bei der Kirche angestellt, so kam ich an Westgeld, mit dem ich Leute bestechen konnte.“

In der Ausstellung in der Aula des Inntal-Gymnasiums gibt es zahlreiche Fotos, Dokumente und QR-Codes mit weiterführenden Filmaufnahmen. Besucher erhalten einen lebendigen Eindruck vom Alltag der Menschen in der DDR, von der Überwachung durch die Stasi bis hin zur friedlichen Revolution. Die Ausstellung ist bis zum 28. November öffentlich zugänglich. Für Schulklassen können Führungen organisiert werden.Karin Sönmez

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