Raubling – Diese Aktion hat das Blut in den Adern gefrieren lassen. Das ist auch Manuel Lettenbichler bewusst. „Nachdem ich gelandet bin, haben mir schon einige gesagt, dass sie einen Schreck bekommen haben und ihnen die Luft weggeblieben ist“, sagt Lettenbichler und lacht. Der 27-Jährige aus Kiefersfelden ist bei der Jubiläumsfeier des Werkhauses Raubling mit einem Motorrad vom Balkon aus dem ersten Stock ins Erdgeschoss gesprungen und inmitten vieler Zuschauer gelandet – mit purer Absicht.
Etwas nervös sei er vor dem Sprung aber schon gewesen, sagt Lettenbichler. Und das, obwohl der 27-Jährige genau weiß, was er bei einem Sprung mit dem Motorrad machen muss. Der Kiefersfeldener ist fünffacher Hard-Enduro-Weltmeister. Bei der extremsten Form des Offroad-Motorsports geht es darum, besonders schwieriges Terrain mit Hindernissen zu bewältigen. Sprünge von Baumstämmen aus mehreren Metern Höhe, fast senkrechte Anstiege oder steile Abfahrten über Felsen gehören zum Alltag.
So etwas wie im Werkhaus hat aber selbst Lettenbichler noch nicht gemacht. „Durch ein Gebäude mit dem Motorrad zu fahren, links und rechts die Menschenmassen und die ganzen Möbel, das ist definitiv mal etwas anderes“, sagt er am Telefon. Ansonsten sei der Sprung vom Ablauf her nicht anders gewesen als Sprünge während seiner Wettkämpfe. „Es macht keinen großen Unterschied, ob ich vier Meter von einem Balkon im ersten Stock oder einem Felsen springe“, sagt Lettenbichler und lacht.
Dass der Sprung im vollen Werkhaus stattfand und nicht in einem Wald, sei aber sehr wohl eine Herausforderung gewesen. Manuel Lettenbichler habe die ganze Zeit im Kopf gehabt, dass auf keinen Fall etwas schiefgehen darf. „Um einen herum stehen lauter Designer-Möbel, hochwertige Küchen oder teure Lampen, die wollte ich nicht mal nur mit dem Fuß touchieren“, sagt der Motorsportler. Genauso wenig wollte Lettenbichler „in eines der Möbelstücke im Wert von mehreren Tausend Euro krachen“. Entsprechend viel Präzision habe er bei seinem Sprung gebraucht.
Eine Schwierigkeit sei auch die Landung gewesen. Die Auslaufzone sei wesentlich kürzer und schmäler gewesen, als es für solche Sprünge üblich ist. Damit Manuel Lettenbichler trotzdem sicher und schnell genug zwischen Couch- und Esstischen wieder zum Stehen kam, wurde im Vorfeld extra eine Landerampe gebaut. Ohne eine solche seien die Kräfte beim Landen wesentlich größer gewesen. „Das wäre bei einem Sprung aus der Höhe nicht gut für die Handgelenke gewesen und ich hätte mehr Geschwindigkeit gebraucht“, erklärt der Motorsportler.
Auf die Idee, im Werkhaus mit dem Motorrad herunterzuspringen, sei Lettenbichler erst vor wenigen Tagen gekommen. Bei einem Treffen mit Werkhaus-Gründer Willi Bruckbauer hätten sie seinen Besuch während der Feier durchgesprochen. Eigentlich sei der Plan gewesen, dass Lettenbichler mit seinem Motorrad nur ein paar Runden durchs Gebäude dreht, sich dabei auf den Hinterreifen stellt und die Treppen hochfährt. Als er sich dann aber im Werkhaus umschaute, kam ihm ein Gedanke: „Ich habe zu den anderen gesagt, wie cool es wäre, vom ersten Stock ins Erdgeschoss zu springen“.
Obwohl alle von der Idee überzeugt waren, sei sie zunächst fallen gelassen worden – „wegen des Aufwandes für die paar Minuten.“ „Willi Bruckbauer war dann aber so angetan, dass er wollte, dass wir das machen“, sagt Lettenbichler. Innerhalb kürzester Zeit sei ein Teil des Geländers an der Empore weggeflext, die Rampe gebaut und der Anlauf für den Sprung ausgetüftelt worden. „Als ich dann dort am Geländer stand, bin ich schon ein bisschen nervös geworden. Aber sobald es aufs Motorrad ging, war klar, dass das funktioniert“, sagt Lettenbichler und lacht.
Einen Probesprung habe er nicht gemacht. „Ich kann so Sachen wegen meines Sports ganz gut einschätzen. Es muss einfach der Speed stimmen“, sagt Lettenbichler. So habe er aus der Sanitärabteilung im ersten Stock fünf oder sechs Meter Anlauf genommen, sei im zweiten Gang mit der richtigen Geschwindigkeit – „nicht zu langsam, nicht zu schnell“ – auf die Kante zugefahren und gesprungen. Und am Ende sei alles nach Plan verlaufen. „Es war genau so, wie wir uns das vorgestellt haben“, sagt der fünffache Weltmeister.
Große Begeisterung
bei den Fans im Internet
Für ähnliche Begeisterung muss der Sprung des Mannes aus Kiefersfelden bei den Zuschauern gesorgt haben. Das Video seines Stunts gefällt auf Instagram fast 30000 Menschen. Fast 100 Kommentare sind unter dem Beitrag zusammengekommen, in denen Begeisterung und Staunen zum Ausdruck kommen. Auch das Team vom Werkhaus Raubling bedankt sich bei Lettenbichler: „No Limits, so verrückt – danke Manu“, steht dort geschrieben.
„Das spektakuläre Ding“ werde Lettenbichler auf jeden Fall in Erinnerung bleiben. „Das ist ein mega-cooles Ereignis in meiner Karriere, so was bleibt für immer“, sagt der 27-Jährige. Und wahrscheinlich sei der Sprung sogar ein bisschen schwieriger gewesen, als fünfmal die Weltmeisterschaft zu gewinnen, sagt er mit einem Augenzwinkern. Auf jeden Fall sei er bereit für einen zweiten Satz.