Stephanskirchen – „Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“: Dieser Titel wurde zum Bestseller. Autor und Journalist Arno Luik ist nicht nur bekannter Bahnkritiker. Für seine Enthüllungen in Sachen Stuttgart 21 erhielt Luik, dessen Vater Bahnhofsvorsteher war, den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“. Im OVB-Gespräch erzählt er, was er vom Großprojekt Brenner-Nordzulauf hält.
Wie stehen Sie zur geplanten Neubaustrecke als Brenner-Nordzulauf im Raum Rosenheim?
Ich bin geschockt. Was hier geschehen soll, ist ökologisch, ökonomisch und verkehrlich nicht zu rechtfertigen. Es ist die staatlich geförderte Verschleuderung von Steuergeldern – und das alles für etwas komplett Überflüssiges, für etwas, für das es derzeit keinen Bedarf gibt und ihn auch nie geben wird.
Welche schnell umsetzbare bessere Lösung der Alpenquerung schlagen Sie vor?
Die Lösung ist längst da. Die bestehende Strecke bewältigt mühelos den prognostizierten Mehrverkehr. Fraglich überdies ist, ob es zu diesem Mehrverkehr, wie Bahn und Politik rituell behaupten, überhaupt kommt. Gerade verändern sich die Verkehrsströme dramatisch. Der Asienschiffsverkehr läuft immer häufiger Häfen im Mittelmeer an – in Italien, Griechenland, Frankreich. Die Nordseehäfen verlieren an Bedeutung. Der Warentransport von Nord nach Süd nimmt also perspektivisch ab.
Der Brennerbasistunnel soll 2032 eröffnet werden. Wie sollen die Züge von Norden nach Innsbruck kommen?
Dieser Basistunnel sollte 2015 eingeweiht werden. Nun also 2032. Das zeigt, wie bei Großprojekten – abgesehen davon, dass die Kosten explodieren – gestümpert wird. Die Bestandsstrecken über die Alpen vertragen mühelos dichtere Zugfolgen, es gibt eine Strecke etwa über die Tauern.
Längst überfällig ist auch, dass die Strecke München-Mühldorf-Freilassing/Salzburg endlich elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut wird. Aber ganz entscheidend: Gut ein Drittel des lästigen Lkw-Verkehrs fährt unsinnigerweise über den Brenner und umgeht die deutlich kürzere Strecke durch die Schweiz. Der Grund: Die Schweiz lässt nicht alle Lkw auf die Straße, sie zwingt sie auf den Zug. Das ist umständlich und teuer für Spediteure, die im harten Preiskampf sind. Aber eine kluge Politik würde – statt unabsehbar viele Milliarden Euro in ein unsinniges Großprojekt zu verschleudern – dafür sorgen, dass endlich Vernunft in die Verkehrspolitik kommt. Vernunft hieße: die vorhandenen Strecken zu optimieren, den Verkehr über mehrere Trassen, die es ja gibt, zu verteilen. Ganz wichtig: den Güterverkehr aus dem Norden über die kürzere Rheintalstrecke durch die Schweiz lenken. Der sündhaft teure Gotthard-Basis-Tunnel ist überhaupt nicht ausgelastet.
Bringt die Neubaustrecke nicht auch Vorteile für Rosenheim, zum Beispiel die Schonung der Landschaft und Umwelt durch den hohen Tunnelanteil?
Er bringt Nachteile – für Mensch und Natur. Dieser Neubau ist ein staatlich subventioniertes Klima-Kill-Programm. Er ist als Schnellstrecke geplant – sie bringt eine minimale Zeitersparnis für Fernreisende, jede Minute Ersparnis kostet mindestens zwei Milliarden Euro – irre. 60 Prozent der Strecke, rund 40 Kilometer, verlaufen in Tunneln. Beim Bau von einem Kilometer Eisenbahntunnel wird so viel klimaschädliches CO2 freigesetzt wie von 26.000 Autos, die im Jahr 13.000 Kilometer zurücklegen – so viel fährt der Bundesbürger im Schnitt. Der zusätzliche Energieverbrauch im Tunnel ist immens. Die Rosenheimer selbst haben nichts von diesem Neubau: außer Lärm und Ärger. Der Bau soll übrigens erst 2040 fertig sein, vermutlich also um 2050. Er zerstört ihre Landschaft, entstellt ihre Heimat für immer. Der Bau gefährdet die Existenz von über zwei Dutzend Bauernhöfen. Und was den Rosenheimern wohl nicht bewusst ist: Die Neubaustrecke ist als Hochgeschwindigkeitsstrecke geplant, ungeeignet für Güterzüge. Sie koppelt Rosenheim ab vom Personenfernverkehr. Die Folge: Auf der alten Strecke werden weniger Personenzüge fahren und so Platz für Güterzüge schaffen. Im Klartext: Die werden auf der Bestandsstrecke durch Rosenheim rumpeln und lärmen – oft mit Gefahrgut beladen. Keine schönen Aussichten. Warum aber will die Bahn unbedingt diese unsinnige und exorbitant teurere Neubaustrecke – die mindestens zehn Milliarden Euro kostet? Weil das toll ist für die Bahn. Das spült viel Steuergeld in ihre klammen Kassen, denn: Die Bahn übernimmt die Bauaufsicht und kassiert dafür zwischen 18 und 25 Prozent der kompletten Bausumme. Also hat sie ein Interesse daran, dass diese Strecke gebaut und so teuer wie möglich wird. Aber das können nicht die Interessen der Rosenheimer Bürger sein.
Alfred Schubert