Die bewegende Geschichte von Anton Guttenberger

von Redaktion

Anton Guttenberger wurde im Dritten Reich als „Zigeuner“ zur Zwangsarbeit in Hohenaschau verpflichtet. Was der Sinto im Priental erlebte, wie ihm Menschen halfen und er überlebte, hat Maria Anna Willer recherchiert. Jetzt soll ein Stolperstein an ihn erinnern. Das ist seine Geschichte.

Aschau – Die Kulturwissenschaftlerin Dr. Maria Anna Willer ist in die nationalsozialistische Geschichte des Prientals eingetaucht, hat sich mit Zeitzeugen unterhalten und in Archiven historische Unterlagen studiert. Sie hat die Namen und furchtbaren Schicksale von 50 Opfern ermittelt. Auch die Geschichte des Sinto Anton Guttenberger berichtet von Verfolgung, Zwangsarbeit, Grauen und Mord. Aber sie zeigt auch das Mitgefühl der Menschen im Priental, die Anton Guttenberger kennenlernten. In ihrem Buch „Nationalsozialismus auf dem Dorf“ beschreibt Dr. Willer, was dem Sinto während und nach dem Krieg widerfahren ist. Das OVB darf seine Geschichte erzählen.

Das Schicksal eines
unbescholtenen Bürgers

Bregenz, am Heiligabend 1941. „Anton Guttenberger, geboren im Jahr 1901, war damals 40 Jahre alt, verheiratet, von Beruf Geigenbauer und Musiker. Seinen Unterhalt verdiente er sich als Holzfacharbeiter im Segelflugbau“, berichtet Maria Anna Willer von einem scheinbar normalen Leben. Doch als Sinto gehörte er zu jenen Menschen, die nach den Nürnberger Rassegesetzen als „rassisch minderwertig“ diskriminiert, verfolgt und ermordet wurden. „Aus seiner Heimat Ludwigsburg war er nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Deutschen Reich nach Vorarlberg in Österreich geflohen, um den zunehmenden Repressionen auf dem Gebiet des Deutschen Reichs zu entkommen“, so Willer.

Am 24. Dezember 1941 wird Anton Guttenberger von der Gestapo verhaftet. Er war nicht vorbestraft, war Katholik und Sinto. „Die Polizeibehörden begründeten seine Inhaftierung, Umsiedlung und Zwangsarbeitsverpflichtung mit einem ,Gutachten‘ der rassehygienischen Forschungsstelle Berlin, das Guttenberger zum ,Vollzigeuner‘ erklärt hatte“, ordnet Maria Anna Willer das Geschehen in die historischen Zusammenhänge ein. Seine Überführung nach Bayern – ins Rosenheimer Polizeigefängnis – wurde mit „den Nürnberger Rassegesetzen und Verordnungen der Zigeunerpolizei“ begründet, „die den als Zigeuner definierten Menschen den Aufenthalt im Grenzgebiet des damaligen Deutschen Reiches untersagte“.

Bei seiner Verhaftung wurde Guttenberger all sein Hab und Gut geraubt: darunter kostbare Instrumente – beispielsweise zwei „echte alte Mittenwalder Geigen und eine Geige des Mathias Klotz“, wie er viele Jahre später selbst berichtete.

Ehefrau wurde verhaftet
und ermordet

Am selben Tag wie Anton Guttenberger – am 24. Dezember 1941 – werden auch seine Frau Anna Adam und seine Stieftochter Maria Adam, beide sind als „Zigeunermischlinge“ abgestempelt, inhaftiert. Die Familie wird voneinander isoliert im Polizeigefängnis Bregenz ohne Anklage festgehalten. Anton kommt später ins Gefängnis nach Innsbruck, dann nach Rosenheim und schließlich nach Niederaschau.

Das Arbeitsamt Rosenheim verpflichtet den Sinto zur Zwangsarbeit. Vom 3. Februar 1942 bis zum 25. Juni 1945 muss er unter Polizeiaufsicht als Hilfsarbeiter im Baugeschäft Wimmer in Hohenaschau arbeiten. Viele Jahre später berichtet Bauunternehmer Michael Wimmer, dass er Anton Guttenberger vom Arbeitsamt Rosenheim mitgenommen habe, ihn bei sich wohnen ließ und ihn eingekleidet habe. Als er wieder bei Kräften gewesen sei und arbeiten konnte, habe er ihn gleichwertig entlohnt.

Familie stirbt in
den Gaskammern

Die Familie von Anton Guttenberger wird von den Nazis ermordet. Seine Frau Anna Adam wird vom Landgericht Feldkirch wegen angeblicher Unterschlagung von Spenden einer Wintersammlung für das Heer zum Tode verurteilt. Am 27. Februar 1942 wird sie in München-Stadelheim durch Enthauptung ermordet. Seine Schwester Christine Reinhardt, ihr Mann und ihre vier Kinder sterben in den Gaskammern von Auschwitz.

Guttenbergers Stieftochter Maria, damals 15 Jahre alt, wird zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und in verschiedenen Lagern inhaftiert. „Am 16. Dezember 1942 ordnete Heinrich Himmler die Deportation aller Sinti und Roma nach Auschwitz an“, informiert Dr. Willer. „Ende Januar 1943 bestimmte der Reichsführer der SS näher, welche Personen nach den rassehygienischen Forschungskategorien in die Konzentrationslager deportiert werden sollten.“ Ausgenommen waren „Vollzigeuner“ und „solche, die als kriegswichtige Arbeitskräfte unentbehrlich waren“. Maria Adam wird nach Auschwitz deportiert.

Der Zug, mit dem die Münchener und süddeutschen Sinti und Roma in Konzentrationslager deportiert werden, fährt am 13. März 1943 in München ab. Anton Guttenberger ist nicht dabei. „Seine Tätigkeit in einem kriegswichtigen Betrieb und seine Einstufung durch das ,rassehygienische Institut‘ als ,Vollzigeuner‘ bewahrten ihn davor“, vermutet Willer. „Das Baugeschäft Wimmer war 1942 mit dem Grubenholz-Einschnitt in allen möglichen Bahnhöfen beauftragt und leitete die Zuckerholz-Gewinnung und Verladung im ganzen Chiemgau.“

Anton Guttenberger bleibt verschont. Niederaschaus Bürgermeister Peteranderl versorgt ihn mit Kleidung und Bezugsscheinen für Lebensmittel. Er half ihm auch, ein Gnadengesuch für seine Frau zu schreiben.

Viele Jahre später berichtet Guttenberger auch von der Unterstützung durch Lehrer Theodor Hupfauer: „Es ist mir nie ein Nachteil entstanden, wenn ich mich als rassisch Verfolgter ihm anvertraute.“

Doch der Sinto Anton Guttenberger muss eine zweite Verfolgung, Ausgrenzung und Entrechtung erleben. „Nachdem die Alliierten die Regierungskompetenz wieder an die Landesregierungen übergeben hatten, waren die Entscheidungspersonen im Bayerischen Landeskriminalamt plötzlich wieder dieselben, die zur Zeit des Nationalsozialismus die NS-Verfolgung und Vernichtung bis hin zur Deportation an Sinti und Roma durchgeführt hatten“, berichtet Willer. „Diese Entscheidungsträger bildeten ein Netzwerk in Justiz, Polizei und Entschädigungsbehörden.“

Guttenberger wird zu Lebzeiten nie als Verfolgter des Naziregimes anerkannt. „Vielmehr erlebt er eine neue Kriminalisierung“, erläutert Willer. Seine Anträge auf Wiedergutmachung werden abgelehnt. Ebenso seine Widersprüche und Klagen. Gleichzeitig kriminalisiert ihn die Kriminalpolizei auf Grundlage der Akten der früheren „Zigeunerpolizei“ der Nazis als „arbeitsscheu“ und „asozial“. „Das erschwerte ihm nicht nur den Erhalt seiner wirtschaftlichen Lebensgrundlagen. Er wurde damit auch zusätzlich geschädigt, weil ihm die Entschädigungszahlungen vorenthalten wurden“, macht Willer klar.

Weder Guttenberger, noch seine Frau, seine Schwester und ihre Familie, noch Hunderttausende Sinti und Roma werden in der Nachkriegszeit als Opfer des Naziregimes anerkannt. „So wurde die Erinnerung an seine ermordeten Angehörigen einfach ausgelöscht“, beschreibt Dr. Willer das Unfassbare. Anton Guttenberger erhielt nie eine Wiedergutmachung für Inhaftierung, Verfolgung aus rassistischen Gründen, die Ermordung seiner Familienangehörigen, für Zwangsarbeit oder den Raub seines Eigentums.

Auch seine Zwangsarbeit wurde von der Bundesrepublik nicht anerkannt. So teilte das Arbeitsamt Rosenheim 1966 mit, es könne nicht bestätigt werden, dass Guttenbergers „Beschäftigung bei dem Baugeschäft Wimmer im Jahre 1942 auf einer Zwangsdienstverpflichtung aus rassischen Gründen oder auf einer normalen Dienstverpflichtung beruht habe“.

Entrechtung
wiederholt sich

„Es wiederholt sich nach dem Ende der NS-Herrschaft für Guttenberger also ein legitimierter Prozess der Entrechtung und Umdeutung, mit dem Ergebnis der Auslöschung der Erinnerung an ihn und seine Familie als Opfer der NS-Rassenideologie. Gleichzeitig geschieht eine Opfer-Täter-Umkehrung in der Form, dass ihm die Anerkennung als ,rassisch Verfolgter‘ entzogen und der Stempel des ,Asozialen‘ und ,Arbeitsscheuen‘ aufgedrückt wird“, macht die Wissenschaftlerin Dr. Maria Anna Willer klar.

Anton Guttenberger zerbricht an diesem Unrecht. Er wird krank, lebt sozial isoliert und in Armut. 1954 wohnt er in Rosenheim-Kastenau in einem Wohnwagen, später in Oberstaufen (1957). „Aus den historischen Unterlagen geht hervor, dass er im Jahr 1960 in der Villa Elisabeth in Hohenaschau wohnen und essen durfte, vermutlich als Gast von Baronesse Regina von Cramer-Klett, die ihm auch eine monatliche Rente von 130 Reichsmark überschrieben hatte“, berichtet Dr. Willer von der Solidarität der Menschen im Priental. Guttenberger erhält Aufträge für die Instandsetzung von Musikinstrumenten – unter anderem vom Kloster Frauenchiemsee und vom damaligen Leiter des Finanzamtes Rosenheim.

Ewige Suche nach
einer Heimat

Guttenberger wurde nach seiner Vertreibung aus Ludwigsburg nie wieder heimisch. 1968 finden sich seine Spuren in Prien. „Im Juni 1971 zog er von dort wieder nach Rosenheim, wohnte jedoch bald darauf bei Verwandten in Friedrichshafen, und zog dann im Juli 1972 von Friedrichshafen wieder nach Rosenheim“, berichtet Maria Anna Willer von seiner Suche nach Heimat. Anton Guttenberger starb im Alter von 77 Jahren. 

Jetzt soll in Aschau ein Stolperstein an ihn erinnern. Die „Initiative Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim“ sowie der Geschichts- und Heimatverein Aschau im Chiemgau haben vorgeschlagen, diesen an der Villa Elisabeth in Hohenaschau zu verlegen. „Die Familie ist mit der Verlegung einverstanden. Der älteste lebende Verwandte von Anton Guttenberger in Friedrichshafen hat sein Einverständnis gegeben“, berichtet Maria Anna Willer.

Völkermord erst 1982 anerkannt

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