Eine lebensgefährliche Abschiebung

von Redaktion

Eine alleinerziehende Mutter (27) aus Nigeria steht mit ihren Kindern (6 und 7) vor der Abschiebung. Trotz Integration und gesundheitlicher Probleme droht die Ausreise in wenigen Tagen. Gibt es gar keine Hoffnung mehr?

Bad Feilnbach – Es ist ein Schock, der die kleine Familie in den vergangenen Wochen in Angst versetzt hat. Happiness A., eine alleinerziehende Mutter aus Bad Endorf, muss das Land in nur wenigen Tagen verlassen. Die 27-Jährige kam vor sieben Jahren als Flüchtling aus Nigeria nach Deutschland, zog zwei hier geborene Kinder groß, gilt in ihrem Umfeld als integriert – und steht nun dennoch vor einem dramatischen Einschnitt.

„Es war sehr überraschend und sehr stressig. Ich konnte es buchstäblich nicht glauben“, spricht Happiness A. gegenüber dem OVB von den Geschehnissen Ende Oktober. Bisher hatte die junge Frau stets eine Duldung erhalten, was keinem Aufenthaltstitel entspricht. Doch als sie vor einigen Wochen zur Ausländerbehörde ging, um die Duldung wieder verlängern zu lassen, wurde der 27-Jährigen stattdessen eine „Grenzübertrittsbescheinigung“ ausgehändigt – mit der Aufforderung, den Schengenraum bis zum 20. November zu verlassen.

Familie muss Deutschland
am 12. Dezember verlassen

Zwar gelang es am 18. November bei einem weiteren Besuch im Landratsamt Rosenheim, eine kurzzeitige Verlängerung zu erbitten. Doch an der Entscheidung änderte dies nichts. Happiness A. muss Deutschland zusammen mit ihren beiden Kindern bis zum 12. Dezember verlassen. Eine beantragte Aufenthaltserlaubnis sei abgelehnt worden, da sie nicht selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen könne. Doch laut der Nigerianerin sei dies leicht zu erklären.

„Ich habe nur ein kleines Zimmer für mich und meine beiden Kinder, 7 und 6 Jahre alt“, erzählt die junge Frau, die sich etwa eine Küche mit 15 anderen Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft teilt. „Ich kann mich nicht selbst versorgen, da ich an Sichelzellanämie leide.“ In den vergangenen Jahren habe sie mehrmals die Intensivstation aufsuchen und Bluttransfusionen sowie andere lebensrettende medizinische Versorgung erhalten müssen, berichtet A.. Durch ihre körperlichen Beeinträchtigungen sei die Betreuung der kleinen Kinder schon eine große Herausforderung.

„Wohl der Kinder
massiv gefährdet“

Dies bestätigt auch Markus Wiesböck aus Bad Feilnbach, der die Familie seit Jahren kennt. Wiesböck betreut mit seiner Familie die beiden Kinder im Rahmen einer Tätigkeit für das Jugendamt immer wieder als Pflegeeltern. „Vor Kurzem haben wir erfahren, dass unsere Pflegekinder gemeinsam mit ihrer alleinerziehenden Mutter abgeschoben werden sollen“, sagt der Bad Feilnbacher geschockt. Aufgrund der lebensbedrohlichen Erkrankung übernehme man immer wieder die Betreuung der Kinder in jenen Situationen, in denen die 27-Jährige auf der Intensivstation behandelt werden muss.

Laut Wiesböck seien beide Kinder in Deutschland geboren, aufgewachsen, „hervorragend integriert und vor allem sehr gut erzogen“. Ob Kindergarten oder Schule – sie hätten hier ihr gesamtes soziales Umfeld. „Eine Abschiebung in das Heimatland der Mutter wäre nicht nur für sie gesundheitlich hochgefährlich – in Nigeria ist die medizinische Versorgung für diese Erkrankung äußerst unzureichend – sondern würde auch das Wohl der Kinder massiv gefährden“, so der Pflegevater.

Aufgrund der medizinischen Versorgungslage in Nigeria würden viele Menschen an Sichelzellenanämie sterben, sagt Happiness A.. „Ich habe das als kleines Mädchen bei meinen beiden Brüdern miterlebt. Deshalb hätte ich große Angst um mein Leben, wenn ich nach Nigeria zurückkehren müsste.“ Ihr zufolge wäre eine Ausreise auch deshalb so problematisch, da bei ihrer Tochter zudem Autismus diagnostiziert wurde und sie etwa aufgrund einer verzögerten Sprachentwicklung derzeit in einem Förderkindergarten betreut werde, was in dieser Form in Nigeria sicher nicht möglich wäre. Außerdem trage auch sie das Sichelzellgen in sich und werde später im Leben dieselben gesundheitlichen Probleme haben, die in Deutschland, aber nicht in Nigeria behandelt werden können, ist sich die Mutter sicher.

„Da sie in Deutschland geboren wurde und nur Deutschland kennt, wäre ein plötzliches Leben in Nigeria ein enormer Kulturschock für sie – umso mehr aufgrund ihres Autismus.“ All die Fortschritte, die sie dank des Förderkindergartens erzielt hätte, würden durch eine Abschiebung zunichtegemacht und ihre Entwicklung stark beeinträchtigt. Auch ihr älterer Bruder, ebenfalls in Deutschland geboren, besuche eine Förderschule und benötige zusätzliche Unterstützung beim Lernen.

Die kleine Familie sei in Bad Endorf bestens integriert, was sich etwa beim siebenjährigen Sohn zeige, der im Fußballverein mitspielt. Happiness A. werde zudem von zwei Mitgliedern des Helferkreises Bad Endorf unterstützt und zu Arztterminen und Krankenhausaufenthalten begleitet. „Als das Landratsamt mich nach Wasserburg versetzen wollte, schrieb sogar der Bürgermeister von Bad Endorf einen Brief, in dem er sich für meinen Verbleib in Bad Endorf aussprach. Hier habe ich das soziale Netzwerk, das ich als chronisch kranke alleinerziehende Mutter so dringend brauche.“

Elisabeth Haus ist eine dieser Unterstützerinnen. Während sie einst über „Hilfen in der frühen Kindheit“ A.s Tochter ehrenamtlich betreute, ist sie darüber hinaus als Mitglied des Endorfer Helferkreises auch als Dolmetscherin und Übersetzerin im Krankenhaus oder bei Behördengängen dabei. „Im Moment versucht ein Unterstützerkreis zu erreichen, dass Happiness und die Kinder in Deutschland bleiben und einen Aufenthaltstitel bekommen können – aus humanitären Gründen“, sagt Haus. Dies stünde ihr als chronisch kranker und alleinerziehender Frau zu.

Doch die Zeit bis zum 12. Dezember drängt und so bleibt Haus und vor allem Happiness A. selbst noch eine letzte Hoffnung. Denn derzeit ist parallel vor dem Verwaltungsgericht in Augsburg noch eine Asylklage anhängig. Zwar wurde der Eilantrag, der parallel zur Klage eingereicht wurde, abgelehnt. Die Klage selbst ist jedoch noch nicht entschieden.

Doch wie kann es überhaupt sein, dass Happiness A. nach sieben Jahren plötzlich des Landes verwiesen wird? „Eine Duldung wird immer dann erteilt, wenn Betroffene bereits vollziehbar ausreisepflichtig sind, die Bundesrepublik Deutschland also schon längst verlassen haben müssten, ihrer Ausreiseverpflichtung aber nicht nachgekommen sind und die Abschiebung (Zwangsmaßnahme) aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht durchführbar ist“, erklärt Sibylle Gaßner-Nickl, Pressesprecherin des Landratsamtes Rosenheim. Dies könne verschiedene Gründe haben, etwa wenn eine vorhandene Reiseverbindung fehlt, noch anhängige Rechtsmittel oder Passlosigkeit. „Entfallen die tatsächlichen oder rechtlichen Gründe der Unmöglichkeit, darf auch keine Duldung mehr ausgestellt werden“, sagt die Behördensprecherin. Da es sich immer um Personen handelt, die ihrer Ausreiseverpflichtung nicht freiwillig nachgekommen sind, erfolgt eine Überwachung der Unmöglichkeit der Abschiebung immer engmaschig. Heißt: Eine Duldung wird in der Regel für maximal drei Monate erteilt. 

Ob die Familie aus Bad Endorf mit dem entsprechenden Krankheitsbild Probleme in Nigeria zu befürchten hat, prüfe nicht die Ausländerbehörde, sondern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, im Regelfall im Rahmen des Asylverfahrens, erklärt Gaßner-Nickl. „Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen können nach einer negativen Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nur in speziellen Fällen erteilt werden“, sagt die Pressesprecherin. Etwa wenn jemand nachhaltig integriert oder dauerhaft an der Ausreise gehindert ist. „Die entsprechenden gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen müssen hierbei aber immer erfüllt sein, anderenfalls ist kein Raum für eine Erteilung“, so Gaßner-Nickl.

„Beängstigende und
belastende Situation“

Sollte die Nigerianerin also tatsächlich in wenigen Tagen ausreisen, würde sie in ihrem Heimatland zwar auf ihre Mutter und Schwester treffen. „Sie können mich aber finanziell nicht unterstützen“, sagt die 27-Jährige. Die aktuelle Situation sei derzeit „beängstigend und belastend“, erzählt sie. „Natürlich habe ich Angst vor der Abschiebung. Ich versuche, meine Kinder davor zu schützen, zu viel über diese Situation zu erfahren, aber ich selbst bin oft verzweifelt.“ Als Christin wisse sie jedoch, dass viele Freunde für sie beten. „Deshalb hoffe ich, dass es helfen wird.“

Und das, obwohl ihr christlicher Glaube zeitgleich auch die große Angst vor der Abschiebung vergrößert. Denn in Nigeria würden sich die Entführungen von Christen und die Verfolgung durch Muslime täglich verschlimmern. Für Happiness A. und ihre Kinder bleibt deshalb nur noch das Hoffen auf ein Wunder.

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