Sedat Karavil in seinem ersten Ausbildungsjahr.
Schechen – Sedat Karavil hat aus seiner Ausbildung bei Edeka ein Lebenswerk gemacht: Mit drei Märkten in Schechen, Großkaro und Obing sowie 140 Mitarbeitern aus 15 Nationen. Seine Erfolgsgeschichte erzählt von Migration, Heimat, Familie und sozialem Engagement.
„Sind Sie eigentlich Bayer oder Türke?“ Sedat Karavil erinnert sich noch gut an die Frage einer alten Dame. Er war noch blutjung, Auszubildender und gerade dabei, im Edeka-Markt in Rosenheim Regale einzuräumen. Heute ist er 50 Jahre alt, selbstständiger Kaufmann und Inhaber von drei Edeka-Märkten in Schechen, Großkarolinenfeld und Obing. Und noch immer würde er die Frage auf die gleiche Weise beantworten: „Wie man es auch drehen mag. Ich bin ein bayerischer Türke und ein türkischer Bayer.“
Arbeitskräftesuche
in den 1960er-Jahren
Sedat Karavil wurde in Rosenheim geboren, und doch hat er als Nachkomme von Zuwanderern auch einen Migrationshintergrund. 1961 schlossen die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei ein Anwerbeabkommen. „In der Türkei waren Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not groß, in Deutschland war es der Arbeitskräftemangel“, erklärt Karavil. Zu den fast 900.000 Menschen, die bis 1973 aus der Türkei nach Deutschland zuwanderten, gehörten auch seine Eltern.
Eltern arbeiten im
Straßenbau und bei Marox
Karavils Vater Sükrü und seine drei Brüder waren Ende der 1960er-Jahre in Westerndorf St. Peter angekommen. Wie alle Gastarbeiter verknüpften sie mit der Arbeit in Deutschland die Hoffnung auf ein besseres Leben. „Vater arbeitete als Straßenbauer. Ich glaube, er war an jedem Stück Asphalt in Rosenheim beteiligt“, sagt Sedat stolz. Eigentlich wollten die Männer nur zwei Jahre bleiben, hart arbeiten und fleißig sparen, damit sie ihren Familien in der Türkei ein Häuschen kaufen könnten. Doch dann gefiel es den Karavil-Brüdern in Rosenheim so gut, dass sie ihre Familien nachholten. „Meine Mutter Mavis kam mit meinen zwei älteren Brüdern nach und arbeitete in der Marox-Fleischfabrik.“
1975 wurde Sedat als jüngster Sohn der Familie in Rosenheim geboren und wuchs im Stadtteil Egarten auf. „Das ist meine Heimat.“ Fremd fühlte er sich nie, sondern von Anfang an als Einheimischer. „Wir waren so gut integriert, dass ich erst türkisch lernen musste, als in den 1980er-Jahren die ersten Türkischklassen gebildet wurden“, erzählt er.
Wichtig sei den Eltern damals gewesen, dass ihre Söhne eine Ausbildung machen. Also fing er mit 15 Jahren bei Edeka an. Am 1. September 1990 startete er seine Lehre zum Verkäufer, gefolgt von einer Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel. „Eines Tages sah ich, dass meine Mutter vor Glück heimlich weinte, als sie mich zum ersten Mal an der Kasse sah“, erinnert er sich. „Damals beschloss ich, dass ich etwas Ordentliches aus meinem Beruf machen muss.“
Sein Start ins Berufsleben war perfekt, denn er merkte schnell, dass die Laufbahn im Lebensmittelhandel genau zu ihm passte. „Ich liebe es, mit Menschen zusammen zu sein und für sie da zu sein.“ Und so war es kein Zufall, dass er bereits im zweiten Lehrjahr von seinem damaligen Marktleiter dazu motiviert wurde, sich über eine Führungsposition Gedanken zu machen. Im Alter von 19 Jahren übernahm Karavil die stellvertretende Marktleitung im Raublinger Edeka-Markt. Schon ein Jahr später leitete er den Standort – und das für die nächsten elf Jahre.
Von neuem Modell
überzeugt
2003 begann die Edeka, ihre Märkte zu privatisieren und an selbstständige Kaufleute zu verkaufen. Das Modell der „inhabergeführten Märkte“ bedeutet, dass die Kaufleute als eigenverantwortliche Unternehmer mit unternehmerischer Freiheit im genossenschaftlichen Verbund agieren. Sie entscheiden über Sortiment, Preise und Personal selbst. Gleichzeitig werden sie vom Edeka-Verbund als Großhändler mit Ware aus den Logistikzentren versorgt. Sedat Karavil war von dem Modell überzeugt, besuchte Existenzgründerseminare. 2006 übernahm er seinen ersten eigenen Markt in Obing. 2009 kam der zweite Markt in Raubling hinzu, der nach sechs Jahren wieder geschlossen wurde, weil der Mietvertrag auslief.
Sedat Karavil arbeitete zielstrebig an seiner beruflichen Karriere. 2015 eröffnete er in Obing einen Drogeriemarkt. „Die ersten beiden Jahre waren zwar nicht einfach“, gibt er zu, doch heute ist das Fachgeschäft aus Obing nicht mehr wegzudenken. 2016 modernisierte Karavil den Obinger Edeka-Markt und eröffnete das erste Marktcafé.
2019 kam sein zweiter Supermarkt in Großkarolinenfeld hinzu. Der vorherige Inhaber hatte Sedat Karavil als Nachfolger vorgeschlagen. Drei Jahre später wurde auch dieser Markt umgebaut, modernisiert und mit einem Marktcafé neu eröffnet.
„2024 hörte ich dann von den Plänen, dass in Schechen ein neuer Edeka-Markt gebaut werden soll“, erzählt Karavil vom jüngsten Projekt. Am letztmöglichen Tag bewarb er sich und erhielt unter vielen Bewerbern den Zuschlag. Da die Inhaber gern in den Ruhestand gehen wollten, stieg Karavil eher ein und übernahm schon 2024 den bestehenden kleinen Markt.
Sedat Karavil ist seit 35 Jahren bei der Edeka. „Ich habe meine Träume Schritt für Schritt verwirklicht“, blickt er zurück. Er ist nicht nur selbstständiger Kaufmann, sondern auch Ausbilder, im IHK-Prüfungsausschuss und kooptiertes Aufsichtsratsmitglied bei der Edeka-Gruppe. In Obing fing er 2006 mit 17 Mitarbeitern an. Inzwischen gehören 140 Menschen aus mehr als 15 Nationen zu seinem Team, darunter auch acht Auszubildende.
„Der Mensch steht für mich im Mittelpunkt. Wir arbeiten alle eng und auf Augenhöhe zusammen“, sagt Karavil. Er bringt sich als Mentor und Mutmacher mit eigenen Erfahrungen ein, denn: „Ich möchte jungen Menschen mit Migrationshintergrund dabei helfen, sich beruflich in Deutschland beste Chancen zu eröffnen, weil jeder die Möglichkeit verdient hat, seine Träume zu verwirklichen.“
140 Mitarbeiter
aus mehr als 15 Nationen
Viele der Mitarbeiter sind „Edeka-Karavil-Eigengewächse“, also im Karavil-Verbund ausgebildet. Die Übernahmequote der Auszubildenden liegt bei 80 Prozent. Und auch Quereinsteiger sind im Team willkommen. Die Mitarbeiter kommen beispielsweise aus Deutschland, der Türkei, aus Rumänien und Polen, aus der Ukraine und Russland, aus Albanien, Kroatien, Bosnien, Serbien, dem Kosovo und Mazedonien, aus Afghanistan und dem Iran. „Ich freue mich jeden Tag auf unsere gemeinsame Arbeit, denn ich liebe unser friedliches Miteinander.“
Sedat Karavil ist dankbar für sein Leben. Deshalb ist soziales Engagement für ihn Ehrensache. Für seine sozialen Projekte wurde er vom Edeka-Verbund bereits ausgezeichnet. Und auch die Menschen in den Gemeinden Obing, Großkarolinenfeld und Schechen spüren es. Karavil hilft Vereinen und Kindereinrichtungen. „Eigentlich allen, die nachfragen“, sagt er. Wenn Lebensmittel übrig bleiben, unterstützt er die lokalen Tafeln im Einzugsgebiet seiner Märkte und die Organisation „Foodsharing“.
Sedat Karavil ist einer von mehr als zwei Millionen Menschen türkischer Abstammung, die in Deutschland leben. Zu seiner Familie – also allen Nachfahren der einstigen Gastarbeiter Karavil – gehören inzwischen drei Generationen mit etwa 90 Angehörigen.
Der urbayerische Türke Sedat wünscht sich, dass seine Familie eines Tages seinen Betrieb weiterführen wird. Seine Töchter sind noch zu jung, um eine berufliche Entscheidung zu treffen. Sein Sohn ist schon ins Unternehmen eingetreten. Und auch drei Neffen hat er bereits zu Kaufleuten ausgebildet. Wie er teilen sie die „Leidenschaft für den Handel, den Umgang und das Dasein für andere Menschen“.
Freudentränen
motivieren ein Leben lang
Anfang Dezember wurde der neue Edeka-Markt in Schechen eröffnet. Für Sedat Karavil ist er ein Lebensprojekt, denn es ist der erste Markt, den er von der Bauplanung bis zur Eröffnung begleitet und gestaltet hat. Dieses Lebenswerk hat er nicht nur sich selbst und seinen Mitarbeitern gewidmet. Es ist auch eine Hommage an seinen Vater Sükrü, der die Straßen von Rosenheim asphaltierte, und an seine Mutter Mavis, deren Freudentränen er nie vergessen wird.