Traunstein/Raubling – Entgegen seinem früheren Geständnis bei der Polizei wartete der Angeklagte vor dem Schwurgericht mit Vorsitzendem Richter Erich Fuchs mit einer anderen Version des Geschehens auf. Demnach wollte der 81-Jährige zweimal auf das Opfer gefallen sein. Dies stieß auf erhebliche Zweifel bei den Prozessbeteiligten.
Am ersten Weihnachtstag 2016 war das Paar gegen 23 Uhr zu Bett gegangen. Nachts hatte der 81-Jährige angeblich starke Schmerzen im Unterleib. Der Angeklagte bat gegen 4.30 Uhr seine Freundin, mit der er 25 Jahre zusammen war, einen Arzt zu rufen. Sie weigerte sich angeblich. Laut Staatsanwalt Dr. Oliver Mößner fühlte sich der Mann nicht ernst genommen. Darüber geriet der 81-Jährige in Wut und schlug die Frau mit der Faust. Bei dem folgenden Gerangel fielen beide auf das Bett, das zusammenkrachte. Der Mann ging schließlich in die Küche, griff ein spitzes Küchenmesser mit 15 Zentimeter langer Klinge und stach auf die am Boden liegende 75-Jährige ein. Zwei tiefe Stiche trafen Brust und Bauch. Bei der Obduktion wiesen Rechtsmediziner zahlreiche weitere Stich- und Abwehrverletzungen nach.
Bei der Polizei und beim psychiatrischen Sachverständigen hatte der alte Herr den Ablauf wie in der Anklage geschildert. Gestern unternahm er einen Rückzieher. Sein Verteidiger, Wolfgang Müller aus Rosenheim, erklärte, auf die Bitte seines Mandanten hin habe es die 75-Jährige abgelehnt, einen Arzt zu holen. Er solle selber anrufen. Dazu sei dieser aber körperlich nicht in der Lage gewesen. Die Frau sei in die Küche, um Frühstück zu machen. Sie sei zurückgekommen und habe ihn als „Markand“ und „Waschlappen“ beleidigt. Der 81-Jährige sei daraufhin in die Küche gegangen, habe den erstbesten Gegenstand genommen und sich schließlich mit dem Messer in der Hand auf das Bett gesetzt, das zusammengebrochen sei. Dabei müsse der erste Stich erfolgt sein. Er habe sich aufgerappelt und sei nochmals auf die 75-Jährige gefallen – mit der Folge des zweiten Stichs. Das Opfer rief: „Hol einen Arzt.“ Der 81-Jährige legte das Messer in die Spüle und wählte den Notruf. Der Verteidiger schloss: „Er wollte sie nicht töten.“ Der Angeklagte ergänzte: „Niemals.“
Diese Darstellung bezweifelte das Gericht ebenso wie der Staatsanwalt. Dazu der Vorsitzende Richter: „Werden Sie mit der neuen Version Ihrer Freundin und sich selbst gerecht? Sie erzählen eine Geschichte, die sich so nicht abgespielt haben kann.“ Eine Rechtsmedizinerin ergänzte, die beiden tiefen Stiche könnten theoretisch von einem Unfall stammen, nicht aber die vielen anderen Verletzungen. Erich Fuchs appellierte an den nicht vorbestraften 81-Jährigen, zur Wahrheit zu stehen. Unter Tränen beteuerte dieser mehrfach, „kein Totschläger“, „kein Mörder“ zu sein. Er habe die Frau geliebt. An dem Morgen habe er ihr nur drohen und Angst machen wollen. Weiter gab er ihre letzten Worte wieder: „Ruf den Arzt, sonst verblute ich.“
Nach halbstündigem geduldigem Zureden durch die Kammer bezeichnete der 81-Jährige seine Angaben beim psychiatrischen Sachverständigen, Oberarzt Rainer Gerth vom Bezirksklinikum in Gabersee, als zutreffend.
Bei der Einsatzzentrale der Polizei gingen gegen 4.40 Uhr kurz hintereinander zwei Notrufe des Angeklagten ein. Dabei sprach er von „Wut auf seine Frau“, wie der Sachbearbeiter der Kripo Rosenheim schilderte. Zur ersten Streifenbesatzung sagte der Angeklagte: „Ich habe meine Frau umgebracht.“ Um 5.11 Uhr wurde vom Notarzt der Tod der 75-Jährigen festgestellt. Das Urteil soll am Donnerstag, 3. August, gefällt werden.