Traunstein/Raubling – Ein 81-jähriger Rentner versetzte seiner 75-jährigen Lebensgefährtin am zweiten Weihnachtsfeiertag 2016 in der gemeinsamen Wohnung in Raubling zwei massive Messerstiche in Brust und Bauch. Sie hatte sich geweigert, wegen der Bauchschmerzen des Mannes einen Arzt zu rufen. Die Frau erlag wenig später ihren Verletzungen (wir berichteten). Das Schwurgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Erich Fuchs verhängte jetzt gegen den geständigen Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten. Staatsanwalt Dr. Oliver Mößner hatte im Plädoyer wegen des gleichen Delikts sechs Jahre Haft beantragt, Verteidiger Wolfgang Müller aus Rosenheim wegen eines minderschweren Falls zwei Jahre mit Bewährung.
Nach den Worten des Vorsitzenden Richters Erich Fuchs blieb der genaue Tathergang offen. Jedenfalls sei im Verlauf eines Streits das Fußteil des Bettes im Schlafzimmer abgebrochen. Die Ermittler fanden es später am Boden vor. Der Angeklagte holte das Messer aus der Küche – „um der Frau zu drohen und sie dazu zu bringen, doch noch den Arzt anzurufen“, wie die Kammer im Urteil das Motiv umriss. Entscheidende Frage bei den zwei Stichen laut Fuchs: „Handelte der Mann mit Tötungsvorsatz oder nicht?“ Grundsätzlich sei laut obergerichtlicher Rechtsprechung angesichts der Gefährlichkeit solcher Handlungen auf „bedingten Vorsatz“ zu schließen. Im konkreten Einzelfall müssten jedoch die konkrete Handlungsweise und die Gefährlichkeit der Tat, aber auch die psychische Verfassung des Täters berücksichtigt werden. Hier liege ein Vorsatz nahe. Der 81-Jährige sei jedoch in seinen kognitiven Fähigkeiten laut psychiatrischem Gutachten eingeschränkt gewesen, fuhr Fuchs fort. Der Angeklagte habe sich „schwer krank gefühlt“. Die Freundin habe sich geweigert, „überflüssigerweise wieder einmal den Notarzt anzurufen“. Bei dem Mann habe sich eine affektive Aufschaukelung entwickelt. Das Messer zu holen – dazu habe sich der Täter spontan entschlossen. Nach der Tat habe der 81-Jährige sofort einen Notruf abgesetzt und gefleht, man möge seiner Freundin helfen.“ In der Gesamtwürdigung aller Umstände habe das Gericht keinen Tötungsvorsatz angenommen und den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.
Der Verteidiger
kündigt Revision an
Der Sachverständige habe eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung durch demenzielle Veränderungen und einen Partnerschaftskonflikt attestiert. Hier liege der Strafrahmen von sechs Monaten Freiheitsstrafe bis zu elf Jahren und drei Monaten Haft. Das Schwurgericht habe einen „minderschweren Fall“ wegen der zahlreichen und sehr schweren Messerstiche verneint. Außerdem habe der Angeklagte selbst die Ursache für die Entwicklung geliefert – durch „seine Wehleidigkeit und die aus Sicht des Opfers unberechtigte Forderung nach einem Notarzt“. Des Weiteren sei seine Einsichtsfähigkeit zur Tatzeit nicht eingeschränkt gewesen.
Strafmindernde Aspekte waren nach Worten des Vorsitzenden Richters das Geständnis, auch wenn es verzögert kam, und die Angstzustände des 81-Jährigen. Vielleicht sei er von der 75-Jährigen beleidigt worden: „Aber er hat auch sie beleidigt.“ Bis ins hohe Alter habe der nicht vorbestrafte Angeklagte immer ordentlich gelebt. Wörtlich betonte Fuchs: „Umso erschreckender ist die Tat.“ Die Haft belaste den Mann mehr als eine jüngere Person. Er habe altersbedingt wenig Zukunftsperspektiven, habe sich selbst geschadet und keine Aussicht auf einen gemeinsamen Lebensabend mit dem Opfer. Der 81-Jährige trage sichtlich schwer an der Tat. Wegen all dieser Gründe sei das Schwurgericht zu einer Strafe von lediglich vier Jahren und neun Monaten gelangt, schloss der Kammervorsitzende.
Verteidiger Wolfgang Müller kündigte Revison gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof an. Ein minderschwerer Fall stehe aus Sicht der Verteidigung im Raum, unter anderem wegen der gegenseitigen Aggressionen vor den Stichen. Zwei Leben seien zerstört – „nicht nur das des Opfers, sondern auch das Leben des 81-Jährigen“, so Müller.