Beim Chippendales-Auftritt in Rosenheim

Kreischalarm und Sixpacks

von Redaktion

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich völlig ungeniert. Ganz übertragen ließ sich dieses Sprichwort natürlich nicht: Dennoch wirkten zahlreiche weibliche Fans beim Auftritt der Chippendales in Rosenheim völlig losgelöst.

Rosenheim – Die braunen langen Haare sind zu einer lockigen Mähne frisiert, das blaue knappe Kleid sitzt wie angegossen, die Zehn-Zentimeter-Absätze betonen die langen Beine: Monika (32) hat sich für diesen Abend extra in Schale geworfen. Und damit ist sie nicht allein. Im Foyer des Kultur- und Kongresszentrums (Kuko) wimmelt es von Frauen, die sich das edelste Gewand aus ihrem Kleiderschrank geschnappt haben.

Scheint für sie alle eine besondere Veranstaltung zu sein. „Wir sind hier, um Spaß zu haben“, sagt Monika bestimmt und grinst dabei etwas verstohlen. Mit ihrem Sektglas prostet sie ihren drei Freundinnen zu. „Die Männer haben wir daheim gelassen“, ergänzt sie, ihr Lachen schallt durchs Foyer.

Alkohol schmeckt,

der Vorhang fällt

Der Alkohol schmeckt, die Spannung steigt. Vorhang auf, Licht an, ein Dutzend durchtrainierter Männer betritt die Bühne. Kreischalarm pur. Dabei haben die Chippendales – eine vor rund 30 Jahren gegründete Showtanz-Gruppe mit Striptease-Einlagen – noch alles an. Dunkle Jeans und schwarze Bomberjacke. Ein paar Tanzbewegungen später und schon knöpfen die Männer ihre Hemden auf. Der Blick wird frei auf ihre Sixpacks. Den rund 700 Frauen im Publikum gefällt’s. Die männlichen Besucher, die sich an einer Hand abzählen lassen, wirken dagegen eher verhalten.

Die Hüllen fallen. Zwar bekommt das Publikum nicht alles zu sehen, das Gekreische wird trotzdem lauter. Je ungehemmter die Atmosphäre im Saal wird, desto gestresster wirkt das Kuko-Personal. Keine Fotos. Darauf achten die Angestellten schon beim Einlass penibel genau. Selbst als Redakteurin mit Fotoberechtigung sind die Kontrolleure skeptisch. Lieber noch einmal beim Chef nachfragen. Der gibt sein Okay, aber nur für die ersten zwei Einlagen.

Todsünde: Kurz nach Beginn der Show dann tatsächlich die Kamera zu zücken. Sofort kommt ein älterer Herr geschossen – leider ohne Sixpack. „Keine Fotos“, sagt er noch einmal unmissverständlich. Wieder den Wisch aus der Hosentasche hervorgekramt und schon zieht er sich dezent zurück. Nach zwei Liedern ist aber sowieso Schluss, dann darf auch die Zeitung keine Bilder mehr knipsen. Schade eigentlich. Gerne hätten wir unseren Leserinnen auch die Bilder gezeigt, als die Stimmung im Saal kochte.

Billy – der Frontmann der Chippendales – hat sein charmantes Lächeln in sein hübsches Gesicht gebrannt. So perfekt wie das Lächeln und seine Körperbräune sitzen auch die Muskeln. Die ein oder andere Auserwählte darf sich direkt auf der Bühne davon überzeugen. Die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz nach oben gebunden und frech grinsend sitzt alsbald eine junge Dame auf der Fläche. Der Auftrag: Sie soll einem der Chippendales die Schlafanzughose anziehen. Da rutscht versehentlich ihre Hand aufs Hinterteil, ihr Schmunzeln verrät: Sie hat ihren Spaß.

„Vergesst eure Männer, vergesst eure Freunde. Das ist die beste Nacht eures Lebens“, verspricht Moderator Justin auf Englisch. Unnötig scheint diese Aufforderung, sind die Frauen aller Altersstufen doch längst in ihrem Element. Die Internetkampagne „me too“ und immer lauter werdende Nachrichten von sexuell belästigten Schauspielerinnen scheinen plötzlich weit weg. Hier werden Männer auf ihre Äußerlichkeiten reduziert: Schauen, Staunen und Kreischen ist sogar erwünscht. Es wirkt für viele Frauen wie ein Befreiungsschlag: Der Mann ist zu Hause, die weibliche Meute unter sich.

Der Klassiker – Mann in Uniform – zieht auch bei den Chippendales. Billy hat seinen Körper ins weiße Kapitäns-Gewand gesteckt, die Mütze bedeckt den Undercut-Haarschnitt, die weißen Handschuhe streckt er wie beim Militär im 90-Grad-Winkel zum Seemannsgruß an die Stirn. Das Publikum flippt aus. Das Stampfen der Füße wie im Marschlaufschritt wirkt, als wären seine Bewegungen per Zeitlupe verzerrt. Begeisterung.

Aber es kommt noch besser. Der Höhepunkt: Die Männer zerreißen ihr weißes Ripp-Hemd und werfen es in die Menge. Schon steht ein Pulk an Frauen auf und schnappt nach dem Muskelshirt mit Chippendales-Körper-Duft.

Am Ende springen alle von den Stühlen auf

Spätestens als die „Backstreet-Boys“ erklingen und die Chippendales auch noch live dazu singen, hält die Rosenheimerinnen nichts mehr auf den Stühlen. Sie springen begeistert auf und drängen sich vor zur Bühne. Sie feiern und tanzen. Die Dezibel im Raum schnallen noch etwas nach oben. Nach zwei Stunden ist der Spaß dann vorbei. Wer will, kann sich auf der Bühne mit den Schönlingen fotografieren lassen, wer genug hat, geht nach Hause.

Da ist auch Monika wieder mit ihren Freundinnen. „War lustig“, sind sie sich einig. Mit ihren angezogenen Wollmänteln verblasst alsbald der glamouröse Kleiderzauber, der Alltag des nächsten Tages rückt ein wenig näher.

Artikel 11 von 11