Traunstein/Prien – Warum musste Farimah S. durch die Hand eines 30-jährigen Messerstechers sterben? Wurde die 38-Jährige vor den Augen ihrer fünf und elf Jahre alten Söhne getötet, weil sie als gebürtige Muslima zum christlichen Glauben übergetreten war? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Prozesses gegen einen abgelehnten afghanischen Asylbewerber, dem Staatsanwalt Dr. Oliver Mößner Mord aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen vorwirft.
Auch gestern herrschten am zweiten Prozesstag strenge Sicherheitsvorkehrungen im Gerichtssaal. Der 30-Jährige wurde in Hand- und Fußfesseln vorgeführt. Die Zuhörer mussten sich ausweisen. Nach Augenzeugenberichten im Prozess und übereinstimmend mit der Anklage lauerte der 30-Jährige dem späteren Opfer am 29. April 2017 gegen 18.40 Uhr vor dem Einkaufsmarkt Lidl in Prien auf.
Er wartete rauchend auf der anderen Straßenseite. Dazu ein Zeuge: „Er kam mir verdächtig vor, als ob er nach was Ausschau hält.“ Als der Angeklagte die 38-Jährige mit den zwei Kindern aus dem Geschäft kommen sah, lief er über die Fahrbahn. Die ahnungslose 38-Jährige war dabei, ihre Einkäufe in einem Fahrradanhänger zu verstauen, als sie der Täter völlig überraschend von hinten am Haar packte und ihr, weit mit dem Arm ausholend, ein großes Schlachtermesser in den Halsbereich stieß.
Mehrere Zeugen wollten der 38-Jährigen zu Hilfe kommen. Jemand warf einen Einkaufswagen. Der fünfjährige Sohn schrie laut: „Der bringt meine Mama um.“ Das Kind versuchte, den Messerstecher von der Mutter wegzuschubsen und verlor dabei die Schuhe. Der ältere Junge rief: „Lass meine Mama in Ruhe.“ Passanten versuchten, den Täter mit einem am Straßenrand stehenden Bauzaun von dem Opfer abzudrängen. Alle Augenzeugen schilderten, der 30-Jährige habe kein Wort gesprochen, sich durch nichts ablenken lassen, sei der Frau immer wieder hinterher und habe weiter zugestochen. „Puren Hass in den Augen des Täters“ hatte ein Zeuge im Gedächtnis. Ein Pkw streifte den 30-Jährigen. Ein junger Mann brachte das heruntergefallene Messer außer Reichweite. Schließlich konnte er den Angeklagten mit vier Männern, darunter ein Polizeibeamter in Zivil, überwältigen – bis eine uniformierte Streife kam.
Der Zivilbeamte hatte dienstfrei und erledigte Einkäufe in dem SB-Markt. Er wunderte sich, dass an der Kasse niemand anstand und bemerkte vor der Tür „Turbulenzen“. Jemand rief: „Da draußen ist ein Verrückter.“ Auch von einem „Messer“ war die Rede. Der Polizist schilderte: „Draußen sah es aus wie ein Schlachtfeld. Die Frau lag am Boden. Der Täter hatte einen eiskalten Blick ohne große Regung – wie im Horrorfilm.“ Die 38-Jährige verblutete während des Transports ins Krankenhaus. Rechtsmediziner stellten bei der Obduktion 16 Stich- und Schnittverletzungen an Kopf, Hals, Rumpf und Beinen fest.
„Wie geht es den beiden Buben?“ Auf diese Frage des Vorsitzenden Richters berichtete der älteste Sohn der Getöteten gestern von Schlafstörungen der kleinen Geschwister, die damals Augenzeugen der Bluttat waren. Sie wollten wissen, wo die Mutter sei. Zum eigenen Befinden wollte der Nebenkläger keine Auskunft geben.
Ob seine Mutter mit dem Angeklagten über einen Wechsel zum Christentum gesprochen habe, sei ihm nicht bekannt. Zum Familienleben seither stellte der 22-Jährige fest: „Ein Fünfjähriger muss ohne Mutter aufwachsen – nur wegen so eines Abschaums wie ihm.“
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Dem 13-Jährigen fehlte „die Gelegenheit, jemals wieder mit der Mutter zu sprechen“. Sie habe bei der Religion jedem Kind freie Wahl gelassen, fremde Leute nicht überzeugen wollen.
Als Grund für die Tat könne er sich die „Religion“, aber auch „Hass und Neid“ denken: „Wir hatten alle Arbeit. Meine Mutter war Übersetzerin. Wir hatten Autos, sind schon sechs Jahre hier.“
Der 13-Jährige weiter: „Wir wollten in Prien in Frieden leben. Es hat sich alles komplett geändert. Mein Vater, bei dem wir leben, hat seinen Job verloren. Er tut viel für uns. Aber er kann nie eine Mutter ersetzen. Die kleinen Brüder sind ängstlich geworden. Es ist schlimm für sie. Sie wollen keine Kontakte mehr aufbauen.“
Das Schwurgericht hörte gestern auch rund ein Dutzend Zeugen aus dem Umfeld des Angeklagten an. Kein einziger berichtete von einem missionarischen Eifer der 38-jährigen Getöteten – auch wenn sie sich gefreut habe, wenn jemand zum christlichen Glauben übergetreten sei.
Auf Mitarbeiter des Bauhofs Rimsting – dort hatte der Angeklagte einige Monate gearbeitet – wirkte der 30-Jährige „gläubig“. Er habe stets seinen Gebetsteppich dabei gehabt. Beten sah ihn niemand. Einem zum Christentum konvertierten Mitbewohner gegenüber zeigte sich der Angeklagte in der Flüchtlingsunterkunft „aggressiv“.
Eine Flüchtlingshelferin informierte über den Ablehnungsbescheid des seit 2013 in Deutschland lebenden 30-Jährigen und ihre Rückkehrberatung. Er habe „zu Fuß“ zurück nach Afghanistan gehen wollen. Eine andere Betreuerin konnte sich gut vorstellen, dass ihm der westliche Lebensstil der Getöteten ein Dorn im Auge war.
Eine Sozialpädagogin erinnerte sich, mit der Asylablehnung sei der 30-Jährige „immer schwieriger“ geworden, habe geklagt, niemand kümmere sich um ihn und seine Hauterkrankung. „Zwei Wochen vor dem Mord hat er über ‚Scheiß Deutschland‘ geschimpft und wollte zurück nach Afghanistan. Er war aggressiv und unverschämt. Ich hatte Angst und konnte nicht mehr mit ihm allein sein“, so die Zeugin.
Der Vater des Angeklagten habe die Rückkehr des Sohns nicht gewollt – weil dieser dann „in zwei Wochen tot sei“. Der Hintergrund: Die Familie hatte in der Vergangenheit angeblich gewaltsame Konflikte mit den Taliban. Verwandte des 30-Jährigen sollen dabei ums Leben gekommen sein.
Die Verhandlung geht am 5. und 9. Februar weiter. kd