Traunstein/Prien – Er hat Farimah S. (38) aus Afghanistan vor den Augen ihrer zwei kleinen Söhne, fünf und elf Jahre alt, in Prien auf offener Straße erstochen. Angeblich erinnert sich der 30-jährige Asylbewerber Hamidullah M., auch er aus Afghanistan, nicht mehr an die abscheuliche Bluttat. Jetzt hat er im Gefängnis lange Zeit, darüber nachzudenken. Das Schwurgericht Traunstein verhängte gestern gegen ihn eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen heimtückischen Mords aus niederen Beweggründen. Außerdem stellte die Kammer die „besondere Schwere der Schuld“ fest.
Das Urteil wurde nicht rechtskräftig, kündigte doch Verteidiger Harald Baumgärtl aus Rosenheim Revision zum Bundesgerichtshof an. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung durch Vorsitzenden Richter Erich Fuchs erlitt der Bruder der Getöteten im Gerichtssaal einen Zusammenbruch. Notarzt und Sanitäter mussten anrücken. Der Angeklagte hatte den Richterspruch relativ ruhig wirkend verfolgt, allerdings mehrmals Passagen kommentiert.
Fuchs rief die von blutigen Auseinandersetzungen geprägte Kindheit und Jugend des Angeklagten, bis heute Analphabet, ins Gedächtnis. Ende 2013 kam der Asylbewerber nach Prien in eine Unterkunft an der Seestraße. Ende 2016 lehnte die Ausländerbehörde seinen Asylantrag ab. Die Abschiebung drohte. Mitte April 2017 war er bereit, freiwillig auszureisen, sei er doch „enttäuscht von Deutschland“.
Knapp zwei Wochen später, am 29. April, wollte der 30-Jährige noch bei Lidl einkaufen. Dort bemerkte er das Opfer. Ohne Einkäufe verließ er das Geschäft, lief in die Unterkunft, holte aus seinem Schrank ein großes Küchenmesser, radelte zu dem Supermarkt und wartete rauchend auf anderen Straßenseite auf sein Opfer. Als die zum Christentum konvertierte Afghanin aus dem Supermarkt kam, stach ihr Landsmann wie besessen auf sie ein. Die 38-Jährige verstarb an den mindestens 16 schweren Stichverletzungen auf dem Weg ins Krankenhaus.
Richter Fuchs dazu: „Der Angeklagte wollte sie töten und handelte mit direktem Tötungsvorsatz. Dabei war ihm vollkommen gleichgültig, welche Auswirkungen die Tat auf Söhne und Zeugen hat.“
Zum Motiv habe der 30-Jährige keine nachvollziehbare Erklärung abgegeben, nur gesagt, er wisse nicht, was in seinem Kopf vorging. Beim psychiatrischen Sachverständigen habe der Angeklagte erklärt, er sei Moslem. Das Opfer habe den Glauben gewechselt und ihn mehrmals zum Konvertieren aufgefordert. Dadurch habe er sich „bedrängt“ gefühlt.
Dabei, so Fuchs weiter, habe die 38-Jährige, die schon vor ihrer Ankunft in Deutschland zum Christentum übertrat, überhaupt keinen missionarischen Eifer gezeigt. Zudem sei der Angeklagte nicht streng gläubig, trinke Alkohol, rauche Cannabis und besuche Bordelle. Ihm sei nach dreieinhalb Jahren in der Bundesrepublik bewusst gewesen, dass in Deutschland Religionsfreiheit herrscht und der Glaube gewechselt werden darf. „Wer einen Menschen tötet, weil er ihn auf eine Religion anspricht, handelt aus niederen Beweggründen“, betonte der Vorsitzende Richter.
Darüber hinaus hätten andere Umstände eine Rolle gespielt. Die 38-Jährige habe einen westlichen Lebensstil geführt, sei in Prien anerkannt gewesen. Die Hoffnungen und Wünsche des Angeklagten hätten sich nicht erfüllt: „Er war nicht ausreichend in der Lage, Deutsch zu lernen. Anspruch und Wirklichkeit sind eklatant auseinandergefallen. Er hat nicht verkraftet, dass die anderen Flüchtlinge an ihm vorbeigezogen sind. Sie haben Deutsch gelernt, Wohnungen erhalten, wurden anerkannt – er nicht.“
Nach dem Ablehnungsbescheid hab sich eine erhebliche Wut aufgestaut: „Ihm wurde bewusst, er muss ausreisen. Wenn er in Kabul aus dem Flugzeug steigt, steht er auch in der Heimat als Verlierer da.“ Seine Verärgerung und seine Wut hätten sich auf die Frau konzentriert.
Dafür habe er sie – stellvertretend für alles – in aller Öffentlichkeit bestraft. Der Kammervorsitzende sprach von „einem Bündel aus mehreren Motiven“. In der Schuldfähigkeit sei M. nicht beeinträchtigt gewesen: „Sein Handeln war zielgerichtet, gesteuert, er wusste, was er tat, hatte Einsicht in das Unrecht seines Tuns.“