Rosenheim/München – Ginge es nicht um zwei schreckliche Verbrechen, dann wäre die folgende Szene beinahe lustig gewesen. Gestern um 9.20 Uhr führten Justizwachtmeister Emrah T. (28) in den Verhandlungssaal B 175 des Münchner Landgerichts. Den grünen Parka zog sich der Türke tief ins Gesicht. Den Fotografen konnte er dadurch nicht entgehen, aber T. hatte sich einen Trick einfallen lassen: In seiner rechten Hand hielt er eine weiße Plastiktüte mit Zetteln darin, die er vor sein Gesicht schob. So kauerte er auf der Anklagebank, bis Richter Michael Höhne den Saal betrat – wie ein Kind, das sich versteckt.
Es war eine Geste der Unsicherheit, aber sie zeigte auch eine Haltung des Schutzes und der Unschuld. Ganz im Gegensatz dazu stehen die harten Vorwürfe der Staatsanwaltschaft: Zwei Frauen soll Emrah T. brutal vergewaltigt haben. Der erste Fall ereignete sich laut Anklage am 26. November 2015: In Rosenheim soll T. eine Spaziergängerin überfallen und dann missbraucht haben (wir berichteten). In München kam es am 18. Dezember 2016 zur nächsten angeklagten Tat: Im nördlichen Teil des Englischen Gartens, auf einer Isar-Insel in Oberföhring, soll Emrah T. eine Joggerin attackiert und so lange gewürgt haben, bis sie fast verstarb. In diesem Zustand hat er sie laut Staatsanwaltschaft vergewaltigt und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt halbnackt in einem Gebüsch liegen lassen.
„Mein Mandant wird keine Angaben machen. Weder zu den angeklagten Taten, noch zu seiner Person“, erklärte Verteidiger Alexander Eckstein gestern zum Prozessauftakt am Landgericht. Emrah T. wird also schweigen. Doch die Spuren sprechen gegen ihn. Durch einen DNA-Abgleich war er Ende März 2017 überführt worden: Eigentlich wollte die Polizei nur einen Raub aufklären und nahm den Angestellten einer Feldmochinger Firma eine freiwillige Speichelprobe ab. Überraschend passten T.‘s Spuren dann zu den Vergewaltigungsfällen in Rosenheim und München.
Gegenüber der Polizei hatte der Angeklagte die Taten abgestritten. Markus Kraus, der damalige Leiter der Mordkommission, erklärte damals aber: „Wir haben keinen Zweifel daran, dass er der Serientäter ist.“ So sieht es auch Staatsanwalt Andreas Bayer, der gestern Nachmittag diverse Polizeibeamte vernahm. Zuvor hatte Richter Höhne das Protokoll einer Befragung verlesen, die das Amt für Migration bei Emrah T.‘s Frau durchgeführt hatte. Darin berichtete die Kurdin, dass sie in der Türkei von Polizisten misshandelt und gefoltert worden sei, eine ihrer Nichten sei gar von Soldaten erschossen worden. Schließlich sei die Familie geflüchtet und habe 4000 Euro an einen Schleuser bezahlt, damit dieser sie in einem Schlauchboot von Istanbul nach Griechenland bringt, danach ging die gefährliche Reise weiter über Serbien nach Deutschland, wo sie aber als Syrer eingereist waren (und nicht, wie berichtet, als Türken). Zwei bis drei Monate hatte alles gedauert, berichtete T.‘s Frau bei der Asyl-Anhörung.
Emrah T. verfolgte diese Schilderungen ohne große Regung. Sein bubenhaftes Gesicht wirkte entspannt und freundlich. Einen brutalen Menschen sieht man in ihm nicht auf den ersten Blick.
Richter Höhne aber gab gestern zu Protokoll, dass ein weiteres Mordmerkmal zur Anklage hinzukomme: Auch ein Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs komme nunmehr in Betracht. Denn Emrah T. soll die Münchner Joggerin nicht nur so lange gewürgt haben, bis sie ohnmächtig wurde, sondern auch darüber hinaus noch 30 Sekunden lang mit ihrem Stirnband. Als er nach der mutmaßlichen Vergewaltigung flüchtete, war er laut Anklage davon ausgegangen, dass die Joggerin „bereits verstorben war oder in Kürze versterben könnte.“ Heute wird der Prozess fortgesetzt.