Rosenheim – Er hat eine Karriere hingelegt, wie sie kaum besser zur FDP passen könnte: Politik-Studium, Arbeit in einer Unternehmensberatung, Pressesprecher der FDP-Landesgruppe im Bundestag, acht Jahre lang Hauptgeschäftsführer der bayerischen FDP, dann wieder selbstständiger Strategie- und Kommunikationsberater. Jetzt führt Martin Hagen (36), der in Feldkirchen-Westerham aufgewachsen ist, seine Partei als Spitzenkandidat in die Landtagswahl. Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen erklärt Hagen sein Wahlprogramm und bezieht Stellung zu den wichtigsten Themen des Landes.
Herr Hagen, wie fühlt man sich als Spitzenkandidat? Als der Lindner von Bayern?
Ich bin sehr viel in Bayern unterwegs, aber das bin ich gerne, das ist positiver Stress. Christian Lindner und mich verbindet natürlich das Alter, wir haben etwa zum selben Zeitpunkt angefangen, Politik zu machen. Aber ich weiß nicht, ob er sich deswegen fühlt wie der Hagen von Berlin, oder ich mich fühle wie der Lindner von Bayern (lacht). Aber Herr Lindner war ja der Hoffnungsträger im Bundestagswahlkampf – insofern nehme ich den Vergleich gerne an.
Stichwort Bundestagswahl: War der spektakuläre Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen richtig?
Ich war innerparteilich einer, der gesagt hat, Jamaika kann eine Chance sein für unser Land. Dann, wenn man es schafft, eine gemeinsame Leitidee zu entwickeln. Das war aber offenbar nicht möglich, man hat sich von vornherein an Details aufgehängt und viel zu lange sondiert. Vielleicht hätten wir früher erkennen müssen, dass daraus nichts wird. Der Abgang war kommunikativ nicht optimal – rauszugehen, sich allein vor die Presse zu stellen. Da lagen die Nerven nach 40 langen Nächten mit Sicherheit blank. Ich weiß, was Schlafentzug bedeutet, ich habe eine kleine Tochter (lacht).
Glauben Sie, dass Markus Söder bei seiner Haltung bleibt, nicht mit der FDP zu koalieren?
Dass die CSU bei ihrer Haltung bleibt, wenn es eng wird, wäre mal was Neues. Dass Söder sich jetzt auf die FDP einschießt, ist klar. Er träumt von einer absoluten Mehrheit, und die kriegt er nur, wenn die FDP draußen bleibt. Deswegen versucht er alles, um die FDP zu schwächen. Der Traum von der absoluten Mehrheit wird am Wahltag platzen. Und wenn er die Sehnsucht verspürt, lieber mit den Grünen oder der SPD zu regieren, dann darf er das gerne seinen Wählern erklären.
Welche Schwerpunkte setzten Sie sich denn für den Wahlkampf in Bayern?
Bayern geht es gut, deswegen wollen wir auch keine 180-Grad-Drehung, sondern ein Update. Ich setze auf Themen, die unser Land fit für die Zukunft machen, etwa Digitalisierung und Innovation. Dass es Bayern heute so gut geht, das liegt ja nicht an Söder oder Seehofer, sondern an Entscheidungen von Stoiber und Franz-Josef Strauß.
Ein Schwerpunkt der FDP für die Landtagswahl ist die Bildungspolitik. An welchen Stellschrauben wollen Sie drehen?
Am Thema Chancengerechtigkeit. In keinem anderen Bundesland hängt der Bildungserfolg so stark vom Elternhaus ab wie in Bayern. Da gibt es zwei Wege: Entweder man senkt die Standards so weit ab, bis fast jedes Kind Abitur macht – so wie in rot-grün regierten Ländern. Das ist natürlich Unfug. Unser Vorbild sind eher die skandinavischen Länder: Mehr frühkindliche Bildung, mehr Ganztagsunterricht, mehr individuelle Förderung.
Wie soll die liberale Gesellschaftspolitik der FDP in Bayern aussehen?
Was die CSU momentan bis zum Exzess fährt – und das tut sie meines Erachtens, um von ihren Versäumnissen in der Zuwanderungspolitik abzulenken – ist eine Politik, die sich um identitäre Fragen dreht: Gehört der Islam zu Deutschland, Kreuze in Klassenzimmer etc. Die CSU rückt gesellschaftspolitisch eher nach rechts. Wir setzen stattdessen auf „Leben und leben lassen“ und einen starken Rechtsstaat.
Gehört der Islam denn zu Deutschland?
Das ist für mich keine Frage, die die Politik zu klären hat. Was für eine Implikation hat das denn? Fangen wir an die Moscheen abzureißen, wenn er nicht dazugehört? Oder führen wir die Scharia ein, wenn er dazugehört? Natürlich nicht. Mit dieser Debatte lenkt die CSU davon ab, dass sie zuwanderungspolitisch für alles mitverantwortlich ist, was in den letzten Jahren passiert ist. Für die Flüchtlingspolitik, den unkontrollierten Zuzug und dafür, dass wir noch immer nicht wissen, wer eigentlich bei uns ist.
72 Prozent der Deutschen sagen, der Islam gehört nicht zu Deutschland…
Wir haben in Deutschland Religionsfreiheit – jeder kann glauben, was er will. Selbstverständlich haben Muslime das Recht, im Rahmen des geltenden Baurechts Moscheen zu errichten. Natürlich hat der Islam die deutsche Kultur, Rechtsgeschichte oder Politik historisch gesehen nicht maßgeblich geprägt. Aber das ist ja nicht der Grund, warum Seehofer jetzt diese spalterische Debatte führt. Das macht er, um AfD-Wähler zurückzugewinnen.
Wie positioniert sich denn die bayerische FDP in Sachen Zuwanderungspolitik?
In der großen Linie ist es ein Bundesthema. Die FDP fordert ja seit 20 Jahren ein Einwanderungsgesetz. Wir brauchen eine deutliche Trennung zwischen den Bereichen Asyl, Flucht vor Krieg und Zuwanderung. Asyl betrifft etwa zwei Prozent derjenigen, die zu uns kommen. Der große Teil sind Kriegsflüchtlinge. Die müssen natürlich Schutz genießen, aber wenn der Krieg vorbei ist, in der Regel auch wieder zurück. Den Zustrom von Kriegsflüchtlingen müssen wir begrenzen, so wie es jetzt durch die Schließung der Balkanroute geschehen ist.
Und dann?
.Ziel müsste es sein, dass Flüchtlinge kontrolliert und kontingentiert zu uns kommen. Dass sie in den Flüchtlingslagern vor Ort, etwa in Jordanien, einen Antrag stellen. Dann können wir schauen, dass wir Familienverbände holen, nicht nur junge Männer. Dass das Qualifikationsniveau zu Deutschland passt. Und dass wir uns nicht irgendwelche Terroristen ins Land holen. Dafür brauchen wir eine vernünftig ausgestattete Grenzschutzagentur Frontex und Abkommen mit den angrenzenden Staaten.
Viele Menschen haben den Eindruck: Wer es einmal nach Deutschland schafft, der bleibt…
Das ist in der Tat ein Riesenproblem. Es ist nicht leicht, Leute abzuschieben, wenn sie keinen Ausweis haben. Oder wenn sich das Herkunftsland weigert, sie wieder aufzunehmen. Man wird nicht drum herumkommen, mit diesen vor allem nordafrikanischen Staaten bilaterale Abkommen zu schließen. Im Zweifel auch mit diplomatischem Druck, indem man daran die Entwicklungshilfe koppelt.
Die Region betrifft diese Problematik nicht zuletzt in Sachen Grenzkontrollen. Wie lange wird es die noch brauchen?
Brauchen wir sie oder macht sie die CSU nur? Ich würde die innereuropäischen Grenzkontrollen schnellstens wieder abschaffen und dafür lieber mehr in die Sicherung der Schengen-Außengrenzen investieren. Die Grenzkontrollen sind sowohl für die Wirtschaft, als auch für die Bürger, die zum Skifahren oder Einkaufen fahren wollen, eine Zumutung.
Man hat den Eindruck, alle Parteien reißen sich um die Rentner und die jungen Leute bleiben auf der Strecke…
Ja, bestes Beispiel ist die Rente mit 63. Die Menschen werden immer älter, gleichzeitig setzt man aber das Renteneintrittsalter nach unten und erwartet, dass die Beiträge gleich bleiben. Das ist völliger Irrsinn. Die FDP ist die einzige Partei, die nicht ins populäre Horn stößt. Wir sagen: Wir müssen das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung koppeln. Mit jedem Jahr, das die Leute statistisch älter werden, müssen sie entweder länger arbeiten oder weniger gesetzliche Rente kriegen. Da brauche ich eine zusätzliche Vorsorge, betrieblich oder privat. Mir ist schon klar: So gewinne ich keine Stimmen. Aber den Leuten zu versprechen, ihr könnt jetzt alle früher aussteigen, ist unehrlich.
Wie steht die bayerische FDP zu Diesel-Fahrverboten?
Die Politik muss alles dafür tun, Fahrverbote zu vermeiden. Dass Bürger, sich vor drei Jahren guten Gewissens ein Diesel-Fahrzeug gekauft haben, faktisch enteignet werden, und dass Handwerker nicht mehr zu ihren Kunden kommen, ist inakzeptabel. Eine schreiende Ungerechtigkeit. Die Politik hat da versagt. Ich glaube, dass man noch einmal die Grenzwerte überprüfen muss. Die sind ja sehr willkürlich, nicht wissenschaftlich, sondern politisch festgelegt.
Trägt die Automobilindustrie nicht zumindest eine Teilschuld?
Ja, dass die Autohersteller aus der Pflicht gelassen werden, geht auch nicht. Autos, bei denen an der Software herumgepfuscht wurde, muss die Autoindustrie hardwaretechnisch nachbessern. Und zwar auf eigene Kosten.
Interview: Willi Börsch,
Bastian Huber und
Norbert Kotter