Rosenheim/München – Für Bürgermeister Hajo Gruber, der aus seiner Gemeinde Kiefersfelden nach München angereist war, um den Verhandlungstag im Sitzungssaal zu verfolgen, ist das Verfahren Bund Naturschutz gegen Landkreis Rosenheim eine gerichtliche Auseinandersetzung, die maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung seiner Gemeinde haben könnte. Denn mit einem Urteil, das dem BN recht geben würde, könnte beispielsweise die sich anbahnende Ansiedlung eines Unternehmens in der Kommune auf der Kippe stehen.
„Wir haben in den vergangenen Jahren rund 1000 Arbeitsplätze in der Gemeinde verloren“, sagte Gruber im Vorfeld der Verhandlung gegenüber den OVB-Heimatzeitungen. „Nun stehen wir kurz davor, dass sich ein Unternehmen bei uns ansiedelt, das mehr als 100 hochqualifizierte Arbeitsplätze für die Kommune bedeuten würde.“ Die Befürchtung des Kiefersfeldener Bürgermeisters ist, dass die Ansiedlung des Unternehmens zwar laut aktueller Landschaftsschutzgebietsverordnung „Inntal Süd“ von 2013 möglich ist, eine Aufhebung und damit die Rückkehr zur vorherigen Kreisverordnung zum Schutz des Inntals aus dem Jahr 1952 aber diesem Ansinnen entgegensteht.
Denn der Bund Naturschutz wirft dem Landkreis vor, durch die Überarbeitung der Verordnung nicht nur das Schutzgebiet trotz Ausweisung neuer schützenswerter Bereiche von 150 Hektar auf circa 650 Hektar verringert zu haben (wir berichteten). Auch die Vorgaben in puncto Umwelt- und Naturschutz seien in der neuen Verordnung deutlich laxer formuliert. „Die alte Verordnung war wesentlich klarer“, sagte Ernst Böckler, ehemaliger Kreisvorsitzender des Bund Naturschutz in Rosenheim und für den BN in beratender Funktion vor Gericht, „Vieles in der neuen Verordnung ist viel zu schwammig formuliert.“
Doch statt etwaiger Detailunterschiede in den beiden Verordnungen drehte sich die Frage vor dem 14. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs unter Vorsitz von Richterin Theresia Koch – wie bereits beim ersten Verhandlungstag im Dezember – um die Frage, ob dem BN als Umweltverband überhaupt ein Klagerecht zugestanden wird.
BN beruft sich auf Aarhus-Konvention
In seiner Begründung beruft sich der BN dabei auf verschiedene Punkte, die seiner Meinung nach die Zulässigkeit einer Klage unterstreichen – beispielsweise auf aktuelle Entwicklungen und Entscheidungen seitens des Europäischen Gerichtshofs, auf die sogenannte Aarhus-Konvention aus dem Jahr 2001, die rechtliche Schritte bei Umweltbelangen regelt, sowie auf die Alpenkonvention, einem formalen Abkommen zum Schutz der Alpen aus dem Jahr 1991. Bei der inhaltlichen Begründung stützt sich der Bund Naturschutz, vertreten durch Fachanwältin Franziska Heß, vor allem auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die seitens des Landratsamtes in puncto Schutzgebiet notwendig, aber nicht gemacht worden sei. Heß: „Unserer Meinung nach sieht das europäische Recht diese Maßnahme in diesem Fall vor.“
Wie die Entscheidung des dreiköpfigen Richtergremiums ausfallen wird, nachdem vor dem Senat über vier Stunden nahezu ausschließlich über verschiedene Paragrafen, Begriffsdeutungen und vergleichbare Urteile gestritten worden war, wird sich in den kommenden zwei Wochen entscheiden. Innerhalb dieser Frist wird das Urteil den Parteien schriftlich zugestellt.
Denkbar sind laut Heß drei mögliche Ergebnisse: Zum einen könnte der Verwaltungsgerichtshof nicht nur dem BN die Klagebefugnis einräumen, sondern dann auch gleich eine Entscheidung zugunsten der Umweltorganisation treffen. Die Folge: Die Verordnung zum Schutzgebiet „Inntal Süd“ wäre hinfällig, die Kreisverordnung zum Schutz des Inntals aus den 50er-Jahren sowie die Verordnung der Stadt Rosenheim über das Landschaftsschutzgebiet Bockau aus dem Jahr 1977 wieder in Kraft. Zum anderen könnte das Gericht eine Klagebefugnis ablehnen, dem BN aber die Möglichkeit eröffnen, vor dem Bundesverwaltungsgericht in Revision zu gehen. „Die dritte Möglichkeit ist, wie von uns im Falle von Zweifeln seitens der Richter gewünscht, dass der Verwaltungsgerichtshof den Europäischen Gerichtshof anruft“, so Heß gegenüber unserer Zeitung.
Welche Entscheidung das Gericht treffen wird, darüber werden die Beteiligten – das Landratsamt Rosenheim und der Bund Naturschutz – innerhalb der kommenden zwei Wochen schriftlich benachrichtigt. Wie das Urteil lauten wird, darüber will Georg Vogl, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde und Vertreter des Landkreises, keine Prognose treffen. „Nach der Dezember-Verhandlung hätte ich gesagt, dass das Thema für uns erledigt ist“, so Vogl gegenüber unserer Zeitung. „Nach diesem Tag kann ich aber überhaupt nicht sagen, ob die Klage zugelassen wird oder nicht.“
BN-Landesgeschäftsführer Peter Rottner hingegen glaubt fest an einen Erfolg – und zwar aufgrund der fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfung. „Wir packen das“, ist sich Rottner sicher. Durch eine positive Entscheidung erhofft er sich ein klares und bundesweit gültiges Signal, „dass Umweltverbände Klagen zu Umweltbelangen einreichen können.“
Zittern um Firmenansiedlung
Doch nicht nur die beiden Streitparteien, auch Kiefersfeldens Bürgermeister Hajo Gruber sieht dem Urteil mit großer Spannung entgegen. Denn würde der BN siegreich aus dem Prozess hervorgehen, dann stünde die Gemeinde in puncto Firmenansiedlung vor einem großen Fragezeichen. Gruber: „Wir haben keine Ahnung, ob unsere bisherigen Bemühungen in puncto Bebauungsplan dann überhaupt noch Gültigkeit haben und wie es dann mit der Firmenansiedlung weitergeht.“