Rosenheim/Landkreis – Noch wirkt es ungewohnt, doch in ein paar Jahren könnte es eine Selbstverständlichkeit sein: die Online-Sprechstunde. In einigen europäischen Ländern ist diese Möglichkeit des Arztkontaktes selbstverständlich, in Deutschland wird es gerade erprobt. Vorreiter sind in der Region die Schön Kliniken. Über Chancen und Risiken der Online-Therapie sprachen die OVB-Heimatzeitungen mit dem Diplom-Psychologen Bernhard Backes (45), Leiter von „MindDoc“.
Seit wann gibt es bei den Schön Kliniken diese neue Möglichkeit des Arzt/Patienten-Kontakts?
Die Online-Therapie „MindDoc“ wurde im europäischen Forschungsprojekt 2014 in Kooperation mit der Schön Klinik Bad Arolsen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen entwickelt. Psychologische Psychotherapeuten behandeln dabei die Patienten per Video. Seit 2017 erfolgt die Therapie vom Standort München aus unter dem Markennamen „MindDoc“.
Haben Sie Vorbilder?
Skandinavien und die Niederlande sind Vorreiter in der Online-Therapie. Auch die angloamerikanischen Länder betreiben schon seit längerem Online-Therapie, neben Videokonferenzen kommen auch das Telefon oder Chats zum Einsatz.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den Patienten gemacht? Nehmen sie einen solchen Online-Kontakt überhaupt an?
Die Patienten-Rückmeldungen sind überwiegend positiv. Manche Patienten sind anfangs noch skeptisch, ob die Therapie per Video funktionieren kann. Nach ein paar Sitzungen sind sie dann überzeugt. Wir hatten auch schon Patienten, die nach der Online-Therapie in eine klassische ambulante Therapie gewechselt sind und wieder zurück wollten. Wenn es einmal wirklich haken sollte, dann liegt es meist an einer schwachen Internetverbindung.
Gerade im Bereich von Burnout, Depression oder auch Essstörung scheint der persönliche, direkte Kontakt – auch für die Behandlung – notwendig. Wie sehen Sie das?
Der Kontakt per Video ist ja persönlich, nur die physische Anwesenheit ist nicht gegeben. Die Forschung beweist, dass sich auch über das Internet eine stabile Patient-Therapeut-Beziehung aufbauen lässt, die in der klassischen Psychotherapie als wesentlicher Faktor angesehen wird. Auch wir bieten einen persönlichen Erstkontakt in einer Schön Klinik an, um die Diagnose zu bestätigen und die Indikation für eine ambulante Therapie festzustellen. So können wir den Patienten wie bei einer Operation persönlich über das Behandlungsangebot aufklären und Fragen beantworten.
Welche Vorteile hat es für Sie als behandelnder Psychologe?
Gerade hat eine Studie der Bundespsychotherapeutenkammer gezeigt, dass es in Bayern im Schnitt fünf Monate dauert, bis ein Hilfesuchender seine Therapie in einer Praxis beginnen kann. Die Online-Therapie kann diese Wartezeit deutlich verkürzen. So lässt sich für mich als Psychotherapeut die Krankheit häufig schon in einem frühen Stadium behandeln, ein großer Vorteil! Zudem bekomme ich auf diesem Weg mehr Einblick in den Alltag des Patienten, indem ich ihn in seinem Wohnumfeld erlebe. Auch sind Angehörige zum gemeinsamen Gespräch per Video eher bereit und leichter verfügbar. Über die Therapie-Plattform im Internet lassen sich leicht Fragebögen verordnen und auswerten, Patient und Therapeut bleiben so auch zwischen den Sitzungen in Kontakt. Das ist auch ein Mehrwert der Online-Therapie.
Wo kommt ein solches System an seine Grenzen?
Wenn der Patient sich zu Hause kein ruhiges Umfeld schaffen kann oder keine stabile Internetverbindung besteht, dann kommt unser System an Grenzen, und die Therapie findet besser in den Räumlichkeiten des Therapeuten statt. Häufig leiden Patienten nicht nur an einer Depression allein, sondern haben auch in anderen psychischen Bereichen Schwierigkeiten, zum Beispiel Ängste, Traumata oder Probleme in der Interaktion mit den Mitmenschen. Je komplexer die Probleme sind, desto hilfreicher ist es, den Patienten im persönlichen Kontakt zu erleben. Wahnhafte Störungen oder eine akute Suizidalität können ein Ausschlussgrund für die Online-Psychotherapie sein.
Könnte ein Online-Arzt auch in anderen medizinischen Bereichen helfen? Stichwort: Fehlende Ärzte auf dem Land.
Wir von „MindDoc“ bieten Psychotherapie ja insbesondere für die Menschen auf dem Land an, die sonst keine psychotherapeutische Versorgung erhalten. Online-Kontakte mit dem Arzt bei körperlichen Beschwerden sind in anderen Ländern schon fest etabliert. Modellprojekte erproben diese Form auch in Deutschland.
Stichwort Ferndiagnose. Nicht wirklich beliebt bei Ärzten. Wie wichtig ist immer noch der persönliche Kontakt zum Patienten? Wie sehen Sie das?
Damit wir eben keine Diagnose aus der Ferne erstellen, laden wir den Patienten zum persönlichen Erstgespräch ein, indem die Diagnose gestellt und die Indikation für eine ambulante Therapie überprüft wird.
Thema Sicherheit im Netz: Ist der Schutz der Leitung gewährleistet?
Die Anforderungen an die Datenschutzgesetze sind erfüllt, die Server stehen in Europa. Die Schön Klinik und unser Anbieter der Plattform unternehmen größtmögliche Anstrengungen, damit ein unerlaubter Zugriff ausgeschlossen wird. Dabei muss auch der Teilnehmer seinen Beitrag leisten, indem die Software aktualisiert wird, Virenprogramme installiert sind und Passwörter vor fremden Zugriffen geschützt werden.
Wie steht es mit dem Kontakt der Patienten untereinander?
Die Patienten haben bei uns untereinander keinen Kontakt. Das ist auch in der klassischen Psychotherapie nicht vorgesehen – von ambulanten Gruppentherapien oder der stationären Aufnahme in einer Klinik abgesehen.
Interview: Sigrid Knothe