Kolbermoor – Das Thema Führung hat Matthias Sammer aus allen möglichen Perspektiven miterlebt, passiv wie aktiv: Als Spieler unter anderem bei Dynamo Dresden, VfB Stuttgart, Inter Mailand und Borussia Dortmund. Als Trainer ebenfalls bei Dortmund. Und als Funktionär beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) und beim FC Bayern. Kaum einer wäre also besser geeignet, über dieses Thema zu referieren, als der gebürtige Dresdner. Zu diesem Schluss kam auch der Bezirk Rosenheim des Wirtschaftsbeirats Bayern und lud den 50-Jährigen gemeinsam mit Willi Bonke, Geschäftsführer von Premium Cars Rosenheim, in die Räumlichkeiten des Unternehmens in Kolbermoor ein.
Ein Glücksgriff, denn kein Referent beim Wirtschaftsbeirat konnte bisher so viele Zuhörer anlocken. 450 an der Zahl. „Ich bin überrascht über den Zuspruch“, sagte Bonke in seinem Grußwort. „Herr Sammer hat sogar Peter Hahne und Markus Söder übertroffen.“ Eine Tatsache, der auch Andreas März, Vorsitzender des Wirtschaftsbeirats im Bezirk Rosenheim, Rechnung trug: „Das Thema interessiert, der Redner offenbar noch mehr.“
Seit einigen Wochen fungiert Sammer nach längerer gesundheitsbedingter Auszeit als Berater für die aktuell schwächelnde Borussia aus Dortmund. Diesen Umstand nutzte er gleich zu Beginn, um die Stimmung aufzulockern: „Falls sie sich wundern, dass ich heute grün trage“, sagt er mit Blick auf seinen Pulli. „Ich war heute in Dortmund. Und die Hoffnung stirbt zuletzt.“
Seinen Vortrag zum Thema „Führung schafft Orientierung – Verantwortung, Entscheidung, Balance“ garnierte Sammer immer wieder mit Anekdoten seiner Erfahrungen aus der Fußballwelt. Aus seiner Sicht komme es vor allem auf die Struktur des Teams an – es brauche Leader wie Manuel Neuer, Teamplayer wie Javi Martinez und Individualisten wie Franck Ribéry. Man müsse für jeden die passende Position finden. „Franck kann mit seiner Kreativität Spiele entscheiden. Aber gib ihm die Führung und es geht in die Hose.“
Gerade die Notwendigkeit von Führungsspielern, die eine Mannschaft zusammenhalten, habe Ex-Bayern-Trainer Pep Guardiola nicht verstanden. Als Sammer den Katalanen fragte, wer sein wichtigster Spieler beim FC Barcelona gewesen sei, habe Guardiola nicht geantwortet. „Dann habe ich geraten: Carles Puyol.“ Guardiola schwieg – der ehemalige spanische Innenverteidiger ist schließlich nicht der beste Fußballer. „Da wusste ich, dass es schwer wird“, sagte Sammer. Der Beweis für die Bedeutung von Führungsspielern zeige sich am Beispiel Lionel Messi. Warum er mit der argentinischen Nationalmannschaft noch nichts gewonnen hat? „Argentinien hat keinen Puyol.“
Die wichtigste Qualität, die eine Führungskraft mitbringen muss, sei Menschenführung. Besonders Ottmar Hitzfeld, unter dem Sammer einst in Dortmund spielte, sei in dieser Hinsicht „wahnsinn“, und überhaupt ein „Wahnsinnsmensch“. „Wenn er etwas sagt, dann lese ich das dreimal.“ Umso trauriger sei es, dass der ehemalige Bayern- und Dortmund-Trainer in den Medien nicht mehr gehört werde. „Viele andere sind Plauderer. Er ist ein Experte.“ Auch am Umgang mit einem anderen „Wahnsinnsmenschen“ stört sich Sammer. Zwar wisse er nicht, was bei der Vergabe der Weltmeisterschaft von 2006 gelaufen sei – Schuld sei jedoch ein korruptes System gewesen. Nicht Franz Beckenbauer. Jetzt werde er vom DFB ungeachtet seiner Verdienste ignoriert. „Das ist ein Armutszeugnis.“
Wie wichtig die Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeitern ist, verdeutlichte Sammer mit einer weiteren Anekdote. Als er im Sommer 2012, nachdem die Bayern sowohl in der Liga als auch im Pokal und in der Champions League nur Zweiter geworden waren, nach München kam, habe er nach nur wenigen Tagen ans Aufhören gedacht. „Was die Spieler über den Trainer gesagt haben und was der Trainer über die Spieler gesagt hat…“ Der entscheidende Tipp kam schließlich von seiner Frau: Bring sie doch zusammen. Das Ergebnis ist bekannt.
Nach Ende des Vortrags beantwortete Sammer Fragen aus dem Publikum. Bonke wollte wissen, ob Sammer nicht auf die Entwicklung von Julian Weigl, der beim SV Ostermünchen das Fußballspielen erlernte, in Dortmund Einfluss nehmen kann. „Julian ist ein super Junge, ein super Spieler. Pep liebt ihn, Thomas Tuchel liebt ihn“, antwortete Sammer. „Aber er braucht für sein eigenes Spiel bestimmte Voraussetzungen.“ Etwa Innenverteidiger mit einer guten Spieleröffnung – die fehlten aktuell in Dortmund. Gut, dass sich der Verein die Dienste eines neuen Beraters gesichert hat.