Traunstein – Eine 35-jährige Frau aus dem Chiemgau bestellte zwei Jahre lang unter immer wechselnden Personalien schöne Dinge, die ihr gefielen, beim Online-Händler Zalando. Die Rechnungen aber, wie berichtet, beglich sie nicht. Das Schöffengericht Traunstein mit Richter Wolfgang Ott verhängte eine 20-monatige Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung, gegen die Frau. Die geständige Angeklagte muss als Auflagen die Therapie gegen ihre Kaufsucht fortsetzen und weiterhin die Schuldnerberatung aufsuchen. Zudem werden knapp 9500 Euro als Schadensausgleich eingezogen.
Die aus Bosnien stammende Angeklagte bezog zur Tatzeit zwischen September 2014 und Sommer 2016 lediglich Arbeitslosengeld. Für den Lebensunterhalt kam ihr Freund auf. Trotz ihrer Mittelknappheit orderte die 35-jährige Mutter eines Kindes im Internet Kleidung und Schuhe für sich und ihre Familie. Die Bestellerdaten manipulierte sie. So wechselte sie die Vornamen oder die Hausnummer ihrer Wohnadresse. Oft nahmen Nachbarn die nicht ganz richtig adressierten Zalando-Sendungen entgegen, manchmal händigte sie der Paketbote direkt an die Angeklagte aus.
Im August 2016 trudelte dann bei der Polizei eine Strafanzeige von Zalando ein – zunächst gegen Unbekannt. Der Online-Händler legte eine Liste der an permanent abweichende Adressen und Namen in einem bestimmten Ortsteil verschickten Sendungen bei. Die Zalando-Abteilung „Interne Betrugsprävention“ war auf den Fall im Chiemgau gestoßen.
Etwa zwei Wochen später kam die nächste Anzeige, wie ein Polizeizeuge vor Gericht schilderte. Bei den Ermittlungen stieß er auf die Angeklagte. Die Polizei prüfte auch die Unterlagen des Paketzustellers DHL. Letztlich konnte diese Firma 16 zugestellte Zalando-Sendungen an die 35-Jährige nachweisen.
Die Angeklagte gab gestern als Grund für ihren Kaufrausch finanzielle und psychische Probleme an. Sie unterziehe sich seit 2016 einer Therapie gegen ihre Kaufsucht. Kleidung kaufe sie seither nicht mehr im Internet, sondern gehe in Geschäfte, um das Nötigste zu erwerben. Mit Putzarbeiten verdiene sie derzeit Geld. Ein Vollzeitjob sei ihr Ziel – auch unter dem Gesichtspunkt, ihre Schulden abzutragen. Die erhöhten sich mit dem gestrigen Urteil um exakt 9466,44 Euro – dem Schadensbetrag, den die Angeklagte laut Gesetz unter der Maxime „Straftaten dürfen sich nicht lohnen“ wieder gutmachen muss.
Die Bosnierin, die im Alter von fünf Jahren mit den Eltern nach Deutschland gezogen war, hatte einen schwierigen Lebensweg. Sie wurde während einer ersten Lehre schwer krank, absolvierte später erfolgreich eine zweite. Auf Drängen der Eltern musste sie einen Landsmann heiraten. Die Ehe geriet zur Katastrophe. Unter Tränen berichtete die 35-Jährige von der verzögerten Scheidung und von ihrem jetzigen Freund, den ihre Familie wegen seiner Staatsangehörigkeit lange nicht akzeptierte.
Staatsanwältin Britta Albrecht betonte, in der Beweisaufnahme habe sich der angeklagte Sachverhalt bestätigt. Die 35-Jährige sei geständig, einsichtig und versuche, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Dem stünden zum Beispiel der hohe Schaden, das „Bestellen von Luxusgütern ohne jeglichen Zweck und Sinn“ sowie der lange Tatzeitraum entgegen. Die Strafe von 22 Monaten könne auf vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden. Auferlegt werden solle der Frau die Wiedergutmachung des Schadens.
Den Wert des Geständnisses führte Verteidiger Roland Netzer aus Traunstein ins Feld. Das Leben seiner Mandantin sei „voller Brüche“ verlaufen. „Das völlig planlose Kaufen im Internet, mehr als man sich leisten kann, wird einem verdammt leicht gemacht. Zwei Jahre fallen die nicht bezahlten Rechnungen nicht auf“, sagte der Anwalt. Der gute Lebensweg der 35-Jährigen habe sich in den vergangenen zwei Jahren verfestigt, finanziell werde sie es schaffen. Entscheidend sei ein neuer Arbeitsplatz. Der Strafantrag der Staatsanwältin sei fair, auch wenn man auf weniger Strafe gehofft habe. Im „letzten Wort“ entschuldigte sich die Frau und versicherte ihren Willen auf finanziellen Ausgleich.
Im Urteil, das neben 65 vollendeten und 15 versuchten Betrugstaten auch die „Fälschung beweiserheblicher Daten“ umfasste, schätzte das Gericht das Geständnis hoch ein. Richter Wolfgang Ott verwies auf die positiv veränderten Lebensumstände der Angeklagten. Er mache Zalando „keinen Vorwurf: „Dennoch hätte man früher draufkommen und die Bestellungen stoppen können. Aber vielleicht geht man bei relativ niedrigen Einzelbeträgen nicht gleich entsprechend vor.“ Ott ließ auch die negativen Aspekte wie den langen Tatzeitraum, die Vielzahl der Fälle und die Findigkeit der Angeklagten bei den Personalien nicht außer Acht. Wie die Vorredner hielt der Vorsitzende die 35-Jährige für bewährungswürdig. Mit Zustimmung von Staatsanwältin Britta Albrecht wurde das Urteil noch im Gerichtssaal rechtskräftig.