Transitverbot und Blockabfertigung

Tirol stürzt Bayern ins Verkehrschaos

von Redaktion

Bei Lkw- und zum Teil auch Pkw-Fahrern war gestern Geduld gefragt. Der Grund: Lkw-Blockabfertigung. Diesmal waren die Auswirkungen allerdings so gravierend wie wohl noch nie zuvor.

Rosenheim – Eine Leuchttafel kündigt das drohende Unheil schon vor dem Irschenberg an. „Stau“ steht da in Großbuchstaben in der Heckscheibe eines Polizei-Fahrzeugs, das auf dem Standstreifen abgestellt ist. Einige 100 Meter weiter in Fahrtrichtung Rosenheim verdichten sich die Anzeichen, dass sich die Prophezeiung der Anzeigetafel bewahrheiten könnte: Der rechte Fahrstreifen ist dicht, die Lkw stehen. Blockabfertigung. Mitten im morgendlichen Berufsverkehr.

Wie berichtet, hatte das österreichische Bundesland Tirol bereits am Mittwoch zwischen 11 und 22 Uhr ein Transitverbot für Lkw über 7,5 Tonnen verhängt, die sich auf der Durchfahrt nach Italien befinden. Grund war der „Tag der Befreiung“ in Italien. Auf das direkt anschließende Nachtfahrverbot zwischen 22 und 5 Uhr folgt nun eine weitere Blockabfertigung. Eine von 25 geplanten für das Jahr 2018.

Oben auf dem Irschenberg offenbart sich der Blick in Richtung Inntaldreieck. Soweit das Auge reicht, reiht sich ein Lkw an den anderen. Einige der Fahrer blicken genervt drein, andere schimpfen wild gestikulierend. Die meisten gehen jedoch entspannt mit dem Ärgernis um: Der Fahrer eines polnischen Lkw etwa nutzt die Wartezeit, um sich den kulinarischen Genüssen Bayerns hinzugeben, und beißt genüsslich in eine Leberkäs-semmel. Er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen – offenbar nicht seine erste Blockabfertigung.

Letztlich durften 400 Lkw pro Stunde fahren

Die Lkw-Dosierung läuft folgendermaßen ab: Österreichische Einsatzkräfte zählen die Lkw auf der Inntal-Autobahn in Richtung Süden bei Kufstein Nord. Sobald das Aufkommen die Kapazitätsgrenze von 250 – diesmal wurde im Laufe des Tages sogar auf 400 pro Stunde erhöht – überschreitet, wird deren Fahrt verlangsamt oder gegebenenfalls angehalten. Ziel ist es, Staus in Tirol zu verhindern und den Transit dort unattraktiver zu gestalten. Die Konsequenz: Staus auf deutscher Seite – nicht nur auf der rechten Spur. Und eben nicht nur auf der Inntal-Autobahn, sondern auch auf der Autobahn München-Salzburg.

Das zeigt sich auf der anderen Seite des Irschenbergs. Auf der rechten, der Lkw-Spur, geht gar nichts, die Pkw auf der mittleren und linken bewegen sich nur sehr langsam vorwärts. Bis zu eine Stunde dauert die Fahrt vom Irschenberg bis zum Inntal-Dreieck. Die Autofahrer schauen beinahe ausschließlich genervt drein. Trotz Lkw-Überholverbot befahren vereinzelt Lastwagen den Mittelstreifen – deren 29 handeln sich so eine Anzeige ein. Ein Schlipsträger im BMW drischt wütend auf sein Lenkrad ein. „Wir können doch gar nichts dafür“, sagt der Fahrer eines schwarzen Opels. „Ich will doch gar nicht nach Österreich.“

Nicht nur den Verkehrsteilnehmern stößt die Maßnahme der Tiroler sauer auf. Auch auf politischer Ebene regt sich Widerstand. Wie berichtet, hatte die Rosenheimer CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig die Blockabfertigungen mehrfach kritisiert und sich deshalb einen Schlagabtausch mit dem Tiroler Landeshauptmann Günther Platter geliefert. Sie hält die Auswirkungen der Maßnahmen auf Verkehrssicherheit und Umwelt in Bayern für „absolut unverhältnismäßig“.

EU fordert weniger Maßnahmen

Inzwischen hat sich auch die EU-Kommissarin für Verkehr, die Slowenin Violeta Bulc, eingeschaltet. In einem Schreiben an den CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber gibt sie an, dass sie die Tiroler Landesregierung aufgefordert habe, die Zahl der für 2018 geplanten Maßnahmen zu reduzieren. Geht es nach Ludwig, sollten die Blockabfertigungen vollends beendet werden.

Auch in der Gegenrichtung auf der Autobahn Salzburg-München kommt es durch die Blockabfertigung zu Behinderungen. „Ich war heute eine Stunde später in der Arbeit“, schimpft eine empörte Autofahrerin, die zwischen Bernau und Bad Aibling pendelt. Sie stört sich vor allem am „unverschämten Verhalten“ einiger uneinsichtiger Verkehrsteilnehmer: „Ein Traunsteiner ist in seinem Pickup mit Anhänger an der Schlange vorbeigefahren und dann am Inntal-Dreieck quergestanden.“ Und hat so genau die Stelle blockiert, an der der Verkehr ansonsten wieder geflossen wäre.

Laut Verkehrspolizei Rosenheim hielten sich die Behinderungen für Pkw mit vorübergehenden Ausnahmen – stockender Verkehr oder kurze Staus – in Grenzen. Nicht zuletzt, weil viele auf die Landstraßen auswichen – so kam es auch hier teils zu Behinderungen. Rund 90 Beamte kümmerten sich auf den Autobahnen um Überwachung und Lenkung des Verkehrs. „Wenn man die gesamte Dimension des Staus sieht, dann haben wir die Auswirkungen für Pkw minimiert“, teilt ein Sprecher auf Nachfrage mit.

In Sachen Lkw-Verkehr zeigt sich ein anderes Bild. Stau auf der Inntal-Autobahn, 15 Kilometer auf der Autobahn Salzburg-München ab Frasdorf und unfassbare 40 Kilometer in der Gegenrichtung ab der Raststätte Holzkirchen. Obwohl die Lkw-Dosierung gegen 13.30 Uhr aufgehoben wurde, löste sich der Stau in Richtung Salzburg erst in den Abendstunden auf. Das hohe Aufkommen erklärt sich die Polizei damit, dass viele Berufskraftfahrer auf deutschen Parkplätzen das Ende von Transit- und Nachtfahrverbot abwarteten. Das Aufkommen von rund 24 Stunden kumulierte sich auf einen Vormittag. „Das war deutlich mehr Aufkommen als erwartet“, sagt der Polizeisprecher.

Übrigens auch auf österreichischer Seite. Trotz Blockabfertigung kam es zu teilweise kilometerlangen Staus zwischen Jenbach und Innsbruck. Dennoch betonte Platter, Tirol werde an den Maßnahmen festhalten. „Der heutige Tag hat gezeigt, wie wichtig die Blockabfertigung für die Versorgungs- und Verkehrssicherheit an solch extrem belasteten Verkehrstagen in Tirol ist“, befand er in einer Pressemitteilung. Der nächste solche Tag ist der 2. Mai. Dann beginnt der Stau-Wahnsinn von Neuem.

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