Rosenheim – Ein Waldstück bei Grafing (Landkreis Ebersberg). Ein Fernglas vor den Augen, den Kopf in den Nacken gelegt, blickt ein Mann, Anfang 30, in blauem Hemd und Warnweste an einer Fichte nach oben. An der Spitze des Baumes angelangt, nickt er seinem Kollegen zu. Der, Mitte 40, in Arbeitshose, Sicherheitsschuhen und ebenfalls Warnweste versteht: Er nimmt eine Art Akku-Schrauber mit weißem Aufsatz zur Hand und setzt am Stamm an. „Das ist der Resistograph“, erklärt der Forst-Experte. „Damit messen wir den Bohrwiderstand.“ Also die Dichte des Holzes. Die wiederum lässt Rückschlüsse auf mögliche Schäden, die von außen nicht oder nur kaum zu erkennen sind, und damit auf die Stand- und Bruchsicherheit des Baums zu.
Untersuchungen laufen derzeit bundesweit im Rahmen des „Aktionsplan Vegetation“. Dieser ist Teil eines Fünf-Punkte-Plans, mit dem die Deutsche Bahn auf den Klimawandel reagiert. Starkregen, mehr Hitzetage, extreme Kälteeinbrüche – diese Folgen schreibt eine Studie des renommierten Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung, die die Deutsche Bahn in Auftrag gegeben hat, der Erderwärmung zu. Gerade die Prognose, dass sich die Häufigkeit von Stürmen in Zeiträume verschiebt, in denen die Bäume Blätter tragen und damit mehr Angriffsfläche bieten, birgt Risiken. Stürzen die Bäume auf die Oberleitungen oder aufs Gleis, resultieren daraus Verzögerungen, Sperrungen und schlimmstenfalls Unfälle. Ziel des Aktionsplans: eine sturmsichere Bahn.
Resistograph zeigt Zustand des Baumes
Zurück am Baum. Der Forst-Experte übt gleichmäßigen Druck auf den Resistographen aus. Die lange, etwa drei Millimeter dicke Nadel bohrt sich durch die Rinde. Der Akku-Schrauber kreischt. „Das Gerät misst, wie viel Energie zum Drehen der Nadel verwendet wird“, ruft der Forst-Experte mit lauter Stimme, um die Geräuschkulisse zu übertönen. „Trifft sie auf beschädigtes Holz, ist der Widerstand und damit der Energieaufwand geringer.“ Parallel zum Vorschub spuckt der Schrauber-Aufsatz einen Wachspapierstreifen aus, darauf ein Diagramm mit Messkurven. In diesem Fall ohne Abflachung. Fazit: „Der darf stehen bleiben“, sagt der Forst-Experte. Die Fichte bleibt von den Maßnahmen, die ab Oktober durchgeführt werden sollen, also verschont.
Testweise sind sogar Drohnen im Einsatz
Bislang beschränkten sich die Arbeiten der Bahn in Sachen Vegetation auf den Rückschnitt eines Sechs-Meter-Korridors entlang der Schienen sowie an besonders neuralgischen Punkten, quasi den „Hot-Spots“. Seit März dieses Jahres laufen nun an bestimmten Abschnitten, darunter auch die Strecke München-Rosenheim, Inspektionen über besagten Korridor hinaus. Rund 625 Millionen Euro wird die Bahn in den kommenden fünf Jahren ins Vegetationsmanagement investieren. Mehr als 1000 Mitarbeiter sind dafür bundesweit im Einsatz – mit klassischen Messinstrumenten wie Sondierstab, Höhenmessgerät und Fernglas, aber auch mit Resistographen, Tablets und testweise sogar mit Drohnen.
Eine solche kommt auch an diesem Tag zum Einsatz. Ein Mitarbeiter der Bahn holt das Gerät aus einer braunen Plastiktruhe. Auf dem Metallgestell prangt eine weiße Plastikhaube mit DB-Logo, ähnlich einem zu klein geratenen Bauarbeiterhelm, von der sich vier Arme mit Rotoren ausbreiten. Unter der Haube hängt eine Art Kamera. Der Mitarbeiter greift zur Fernbedienung und lässt die Drohne kontrolliert senkrecht nach oben steigen. Das Surren begleitet ein leichter Windhauch. „Der Sensor kann Einzelbäume und ganze Streckenabschnitte erfassen“, erklärt der Mitarbeiter, während er die Drohne über Bäume am Streckenrand fliegen lässt. „Die Daten bekommen wir dann in Echtzeit aufs Tablet.“ Forstwirtschaft 2.0.