Rosenheim – Auf dem Max-Josefs-Platz herrscht reges Treiben. Interessiert beobachtet Egon Seits die Menschen. Von seinem Fenster im zweiten Stock hat er den perfekten Blick. Einige sind mit Einkaufstüten beladen, andere haben ein Eis in der Hand. Manche sind alleine unterwegs, viele zu zweit oder dritt. „Alle Menschen da draußen sind Profis für ihre eigene Beziehung“, beginnt Seits das Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen. Er muss es wissen, seit 35 Jahren ist der Rosenheimer als Eheberater aktiv, seit 26 Jahren leitet er die Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Erzdiözese München und Freising.
Die Bandbreite seiner Arbeit ist vielfältig. Egal, ob Schwierigkeiten in Ehe und Partnerschaft, familiäre Streitigkeiten oder die Bewältigung einer Scheidung – der Eheberater hat für jeden ein offenes Ohr. Auch schwere Erkrankungen, Suizidalität in der Familie und Gewalt sind häufige Themen.
Egon Seits strahlt eine angenehme Ruhe aus. Im Schrank hinter seinem Schreibtisch stehen Fotos von seiner Frau und den Kindern. Der Raum ist hell. In der Mitte steht ein Tisch mit vier Stühlen, in einer Ecke eine Tafel. Seine Tage in diesem Büro sind gezählt, denn Egon Seits verabschiedet sich in den Ruhestand. „Es war eine wirklich spannende Zeit“, betont er. Sein Blick ist nachdenklich, er lässtdie vergangenen Jahre noch einmal Revue passieren.
„Angefangen hat alles in Würzburg. Dort habe ich ein Praktikum in der Eheberatung gemacht“, erinnert er sich. Der Beruf habe ihn von Anfang an sehr interessiert. „Für mich war es ein Hineinfinden und Hineinwachsen.“
Seitdem ist viel Zeit vergangen, und auch in der Eheberatung hat sich einiges getan. Gab es früher vor allem Einzelberatung, hat sich die Paarberatung enorm gesteigert. In Rosenheim, sagt Seits, mache sie zwischen 60 bis 66 Prozent aus. „Sich bei der Eheberatung anzumelden, ist heute viel selbstverständlicher, insbesondere für Männer“, weiß der Eheberater und erklärt das mittels eines Mottos so: „Autos brauchen auch eine Inspektion, wir Menschen brauchen das eben auch manchmal.“
Ursache dieses Prozesses ist eine veränderte Gesellschaft. „Seit einigen Jahren suchen mich oft Paare auf, die beide voll berufstätig sind“, sagt Seits – eventuell noch ein Kind oder Kinder haben. „Wo bleiben da die Zeit und der Platz für die Beziehung?“ fragt er. Und auch Patchwork-Familien seien eine Herausforderung. Diese Thematiken sind dem Berater zufolge bei Gesprächen durchaus spezifisch für die heutige Zeit.
„Es ist unheimlich wertvoll, dass es einen Raum gibt, einen Ort, wo über alles gesprochen werden kann“, schwärmt Seits und verweist auch auf ein wichtiges Element: die Schweigepflicht, das Wissen der Betroffenen, dass nichts Schriftliches festgehalten oder Gutachten geschrieben werden.
Seits selbst bezeichnet den gesamten Prozess als Suchbewegung und ein Angebot seinerseits: „Es ist ein Begleiten und Herausfinden. Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Wir suchen nach der Lösung, die für den Einzelnen förderlich und hilfreich ist.“
Dazu sind in den meisten Fällen zehn bis 20 Sitzungen notwendig. Denn: „Wenn sich etwas festgefahren hat, braucht das einfach seine Zeit. Man kann nichts erzwingen, sondern nur mitgehen und Impulse setzen.“
Was genau aber ist das Problem in einer Beziehung? Seits denkt kurz nach: „Der Mensch hat das Bedürfnis, in einer Gemeinschaft zu leben, will zugleich aber auch sein eigenes Ding machen.“ Diese beiden Ebenen zu vereinen, sei oft ein großes Hindernis.
Sein Tipp: „Kommunikation!“. Diese sei sehr wertvoll und eine große Chance, dem Partner ein notwendiges Feedback zu geben. So könne man nicht nur sich, sondern auch die Beziehung weiterentwickeln.
Und wie wirkt sich sein Beruf auf sein Privatleben aus? Seits lacht: „Privat bin ich wie alle anderen auch. Beruflich bin ich mehr in der Rolle des Außenstehenden. Da liegt der Unterschied.“
Auf dem Max-Josefs-Platz ist es etwas ruhiger geworden. „Man kann nicht an Dingen festhalten, die vorbei sind. Es ist immer ein Vorwärtsgehen“, sagt Seits, rückblickend auf das Gespräch, aber vielleicht auch mit Blick auf seinen bevorstehenden Ruhestand.