Demokratie vertiefen oder Rückfall?

von Redaktion

SPD-Chefin Andrea Nahles gibt sich bei Wahlabend „Kohnen plus“ im Bergener Festsaal kämpferisch

Bergen – Talkshow statt Bierzeltrede: Mit einem neuen Veranstaltungsformat stimmt die Spitzenkandidatin der Bayern-SPD, Natascha Kohnen, die Bürger seit März auf die Landtagswahl am 14. Oktober ein. Im vollbesetzten Festsaal in Bergen interviewte die Münchnerin mit familiären Wurzeln im Chiemgau am Sonntag im Rahmen der Gesprächsreihe „Kohnen plus“ die SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles. Es ergab sich ein sehr persönlich gefärbtes Gespräch über fehlgeleitete Wohnungspolitik, befristete Arbeitsverträge und die Folgen der Ausschreitungen in Chemnitz.

Über diese zeigten sich die beiden Spitzenpolitikerinnen erschüttert: „Wenn dort der rechte Mob von der Leine gelassen wird und Menschen durch die Stadt hetzt, ist eine für den Rechtsstaat untolerierbare Grenze überschritten“, sagte Nahles. Am Samstag sei sogar eine friedlich demonstrierende SPD-Gruppe aus Marburg überfallen und attackiert worden. „Es geht mehr denn je darum, alle Kräfte für die Verteidigung der demokratischen Werte und einen von Respekt und Anstand geprägten Umgang miteinander zu mobilisieren“, waren sich Kohnen und Nahles einig.

Mit einer Schärfung ihres sozialpolitischen Profils wolle sich die SPD in Bayern wieder mehr Gehör beim Bürger verschaffen. Speziell im Bereich Wohnungsnot und sozialer Wohnungsbau, befristeten Arbeitsverträgen, familienverträglichen Kita-Plätzen, dem Pflegenotstand und der Sicherung einträglicher Renten sieht die SPD Handlungsbedarf. Mit einer neuen Gesetzesvorlage sollen vor allem Mieter davor geschützt werden, „durch Luxussanierungen aus ihren vier Wänden herausgemobbt zu werden“, erläuterte die ehemalige Arbeitsministerin Nahles mit Verweis auf einschlägige Gespräche mit Bürgern.

Dass Ministerpräsident Markus Söder mit seinem umstrittenen Familiengeld „Wahlkampf auf Kosten der Familien macht“, hielt Kohnen für „unanständig“. Der Ausbau kostenloser Kita-Plätze in Verbindung mit bestens qualifiziertem Personal sei viel nachhaltiger ausgerichtet. Auf eine Zuhörerfrage hin erklärte Nahles, dass sich die SPD mit Blick auf eine zukunftsgerichtete Familienplanung auch für die Umwandlung befristeter Arbeitsverträge starkmachen will. „Im Bereich der Bundesverwaltung haben wir bereits viel erreicht, bevor wir jetzt mit der Wirtschaft sprechen“, sagte Nahles. Ermutigend sei, dass bereits 307000 Flüchtlinge einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz und allein heuer 26000 von ihnen einen Ausbildungsplatz gefunden hätten.

Die Sicherung einträglicher Renten auch über das von der Koalition vereinbarte Ziel von 2025 hinaus hielt Nahles für ein weiteres Kernziel der Sozialdemokraten. „Hier geht es um eine politische Entscheidung, ob für mich eine steuerfinanzierte Rente mit Zukunft oder eine Aufstockung des Wehretats um 30 bis 40 Milliarden Euro wichtiger ist.“ Mit einer breiteren Solidargemeinschaft, die auch Beamte und Selbstständige miteinbeziehe, wolle die SPD die „Sozialsysteme gerechter machen“.

Als „Katastrophe“ bezeichnete Andrea Nahles die bisherige Arbeitsbilanz von Innenminister Horst Seehofer. Der habe eine Staatskrise heraufbeschworen, einen umstrittenen Master-Plan vorgelegt und „in seinem neuen Super-Ministerium aber bisher noch nichts Grundlegendes bewegt“.

Zusammen mit den beiden SPD-Landtagskandidaten Sepp Parzinger aus Bergen (Traunstein) und Susanne Aigner aus Freilassing (Berchtesgadener Land) als Gastgeber plädierten die beiden SPD-Spitzenpolitikerinnen abschließend dafür, die Landtagswahl als Chance für eine Weichenstellung zu nutzen. „Jede Wahl ist inzwischen eine Test-Wahl, ob wir die Demokratie vertiefen wollen oder einen Rückfall in den Nationalstaat befördern.“

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