Christian Lindner in Rosenheim

Bittere Pillen und Attacken gegen CSU

von Redaktion

FDP-Bundesvorsitzender spricht in der Fußgängerzone – Gewalt von Rechten und Linken verurteilt

Rosenheim – Dunkle Hose, blaues Hemd, die orangefarbene Krawatte noch schnell abgenommen, ehe er die Bühne in der Rosenheimer Fußgängerzone betritt: Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, auf Werbetour in Bayern. Es ist eine durchaus überschaubare Schar Interessierter, die seinen Ausführungen zu aktuellen politischen Themen gestern Abend folgt.

Seinen Zuhörern präsentiert er sich als Liberaler, der klare Worte nicht scheut und einmal mehr auch mit seiner Schlagfertigkeit und Eloquenz brilliert. Das geht schon los, als das Headset streikt, mit dessen Hilfe er seine Botschaften im Herzen der Stadt verkünden will, und er auf ein Handmikrofon zurückgreifen muss. „Wie schön, dass es in Bayern auch 2018 immer noch Dinge gibt, die man verbessern kann.“ Gelächter. Der Einstieg in den Wahlkampf-Auftritt ist so ganz sicher nicht geplant, aber gelungen. Dass der Wiedereinzug der FDP in den Landtag der politischen Kultur im Freistaat gut täte, daran lässt er keinen Zweifel. „Bei der Wahl wird ein Stück weit auch über das Bild Deutschlands in der Welt abgestimmt“, erklärt der Parteivorsitzende.

„Tarnwort für

Weiter so“

Dass die Liberalen in der zu Ende gehenden Legislaturperiode nicht im Maximilianeum vertreten waren, hierfür hat Lindner eine Deutung, die die Zuhörer zum Schmunzeln bringt. Er spricht von einem „fünfjährigen parlamentarischen Weiterbildungsurlaub“, den er nur zu gerne beenden möchte. Dass Martin Hagen als Spitzenkandidat der FDP in Bayern der richtige Mann ist, dieses Bekenntnis fällt ihm nicht schwer. Allen, die Hagen fehlende politische Erfahrung attestieren, hält er entgegen, der Hinweis auf Regierungserfahrung diene oft genug als „Tarnwort für ein Weiter so“.

Den Rechtsstaat und die Bürgerrechte halten Hagen und Lindner bei ihren Auftritten in Ehren. Hagen spricht noch vor der Rede des Parteivorsitzenden mit Blick auf die Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) sogar davon, „dass in Bayern die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit aus dem Gleichgewicht geraten ist“. Lindner legt nach. Die Änderung des PAG und eine Ausweitung der Videoüberwachung beeinträchtigt seiner Ansicht nach Bürgerrechte und beinhaltet eine konkrete Gefahr. „Da können Sie ohne Grund mal schnell in den Knast wandern.“

Wenn er davon spricht, die FDP trete für einen starken Rechtsstaat ein und verurteile Ausschreitungen wie in Chemnitz, beschränkt er sich nicht allein auf die Straftaten, die auf das Konto von Rechtsextremisten gehen. „Gewalt darf kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Da muss man aber einen 360-Grad-Blick haben. Wenn ich von einem Stein am Kopf getroffen werde, ist mir das egal, ob den ein Rechter oder ein Linker geworfen hat.“

Der Flüchtlingspolitik als zentrales Thema, das die Menschen derzeit bewegt wie kaum ein anderes, räumt er breiten Raum ein. Dass Deutschland noch immer kein funktionierendes Einwanderungsgesetz hat, ist für ihn eine „Form staatlichen Organisationsversagens“. Schnellere Verfahren, konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, die laut FDP längst überfällige Ausweisung der Magreb-Staaten als sichere Herkunftsländer: Auch Lindner zählt in Rosenheim immer wieder genannte Instrumentarien auf, wenn er über Notwendigkeiten in der Flüchtlingspolitik spricht. Dabei trennt er sorgfältig zwischen Flüchtlingen, denen ein Asylstatus zusteht, und solchen, die für bestimmte Zeit Schutz in Deutschland bekommen. Die müssten zurück, wenn die Verhältnisse in ihrem Land wieder stabil seien. Klare Borschaft: „Es gibt kein Menschenrecht darauf, sich seinen Aufenthaltsort in der Welt selbst suchen zu dürfen. Wir brauchen keine Abschottung, aber eine gesunde Einwanderungspolitik.“

Der Kreuzerlass von Ministerpräsident Markus Söder darf nicht fehlen, wenn der Parteivorsitzende seine Attacken gegen die CSU reitet. Den findet der Redner in doppelter Hinsicht „empörend“ Nicht nur, weil die CSU das Kreuz für den Wahlkampf instrumentalisiere. „Da wird auch der Eindruck erweckt, das Christentum sei eine Staatsreligion“, sagt er. Davon distanziere er sich.

Auch wenn es Deutschland wirtschaftlich sehr gut geht, sorgt sich der FDP-Bundesvorsitzende. Vor allem, „weil wir im Moment ein riesiges Erntedankfest feiern und dabei die Aussaat vergessen“. Die Politik dürfe nicht nur den Wohlstand verteilen, sondern müsse sich fragen, wie er in Zukunft erwirtschaftet werden könne.

Weiter in

Richtung Herbstfest

Obwohl ein lauer Sommerabend eher keine Lust auf unangenehme Wahrheiten macht, bittere Pillen, die aus Sicht der FDP den Menschen verabreicht werden müssen, erspart ihnen Lindner nicht. Dazu gehört, dass sie künftig viel stärker zur Sicherung ihrer Altersversorgung beitragen müssen, wenn es nach ihm geht. Weil die CSU immer wieder Steuersenkungen fordert und für die Abschaffung des Solidaritätszuschlages eintritt, ihren Worten aber keine Taten folgen lässt, schiebt der Spitzenpolitiker da schnell geschickt einen Grund dafür nach, warum diese Pille bitterer schmeckt, als der FDP lieb ist. Der Staat gewähre den Bürgern damit Entlastungen nicht, die sie für mehr private Vorsorge bräuchten.

Zahlreiche Fußgänger, die vielfach in der Lederhose oder im schmucken Dirndlgewand am Veranstaltungsort vorbeikommen und einen neugierigen Blick auf den prominenten Gast werfen, belastet diese Pille zumindest an diesem Abend offensichtlich nicht. Sie ziehen nach einem kurzen Innehalten Richtung Herbstfest weiter und freuen sich auf eine frische Mass. Die dürfte ihnen besser schmecken als die Diskussion um die Zukunft der Rente.

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