Rosenheim – Am Eingang des Stellwerks 18 symbolisierte bei der gestrigen Eröffnung ein Produkt aus der analogen Welt, dass hinter vielen digital entwickelten Ideen etwas „zum Anfassen“ steht: in diesem Fall ein Badezimmermodul, entwickelt von einem Startup, der Firma Tjiko, in Serie hergestellt in Kooperation mit einem Holzfertigbauer aus der Region, der Firma Regnauer.
Bayerns Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer, zeigte sich im Gespräch mit den Firmengründern Lukas Schiffer und Markus Hoos beeindruckt von diesem Geschäftskonzept. Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer hatte gleich eine „Verbesserungsidee“: „Weniger Glas, sonst muss ich so viel putzen.“ Der Minister legte noch einen Witz drauf: „Ich steige jetzt aber nicht mit der Oberbürgermeisterin unter die Dusche“, kündigte der gut gelaunte Ehrengast an. Bei der Führung durch den fünfstöckigen Neubau am Bahnhof Nord in Rosenheim ließ sich der Minister auch nicht dazu überreden, auf einem der großen Sitzkissen im Gemeinschaftsraum Platz zu nehmen. „Dann würde mir unterstellt, ich würde in meinem Amt nur chillen.“
Trotzdem war die Stimmung lockerer, als bei staatstragenden Eröffnungen in der Regel üblich. Die kreative Atmosphäre im Gründerzentrum sprang auf den Festakt über. Vertreter der Startups öffneten außerdem ihre Bürotüren, wobei sich der wichtigste Platz im Keller befindet: der Serverraum. Die Komro, die Telekommunikationstochter der Stadt Rosenheim, hat dem Stellwerk 18 das WLAN gesponsert. Die Übertragungsgeschwindigkeit: „sagenhafte 300 Mbit pro Sekunde Up- und Download“, berichtete die Oberbürgermeisterin stolz.
Gute Voraussetzungen für die Entwicklung digitaler Ideen, doch für den Unternehmenserfolg brauche es noch mehr, so Bauer, die Peter Thiel, einen der erfolgreichsten digitalen Gründer des Silicon Valleys, zitierte: „Alle reden von Digitalisierung, aber kaum jemand weiß, wie er sie wirklich gewinnbringend in seinem Unternehmen einsetzen soll. Denn dazu braucht es einen konkreten Zukunftsplan. Und dieser muss auch noch aufgehen. Ein Unternehmer, der das wirklich schafft, ist so selten wie der berühmte schwarze Schwan.“ Die zwölf Existenzgründer im Stellwerk 18, die schon fast 40 Arbeitsplätze geschaffen haben, beweisen nach Überzeugung von Bauer, dass sie sich dieser Herausforderung stellen – nach dem Motto „Über Digitalisierung reden ist Silber, machen ist Gold.“
Bauer erinnerte in ihrer emotionalen Rede auch an die vielen Väter des Stellwerks 18. Es ist ein echtes Gemeinschaftswerk von Stadt und Landkreis, die gemeinsam eine privatrechtliche Trägergesellschaft gegründet haben. Die Wirtschaftsdezernenten der Stadt, Thomas Bugl, und des Landkreises, Richard Weißenbacher, haben die Geschäftsführung als Team übernommen. Stadtrat und Kreistag haben sich verpflichtet, bis 2031 jährlich bis zu 200000 Euro für den Betrieb des Gründerzentrums zur Verfügung zu stellen.
„Oberbayern ist
mehr als München.“
Wirtschaftsminister Pschierer
Doch ohne das Förderprogramm des Bayerischen Wirtschaftsministeriums gebe es kein Gründerzentrum in Rosenheim, das elfte im Freistaat. 3,19 Millionen Euro sind bis 2031 bewilligt worden. Dass Rosenheim den Zuschlag erhielt, haben Stadt und Landkreis vor allem dem CSU-Stimmkreisabgeordneten Klaus Stöttner zu verdanken. Er entwickelte auch den passenden Namen: Stellwerk 18. Hier werden Weichen für die wirtschaftliche Zukunft der Stadt Rosenheim sowie der Landkreise Rosenheim, Mühldorf, Traunstein, Altötting, Berchtesgaden und für das ebenfalls im Boot sitzende Tiroler Unterland gestellt.
Dass die regionale Wirtschaft hinter dem Projekt steht, beweist die Mitarbeit von 35 Sponsoringpartnern. Sieben Vertreter namhafter Unternehmen repräsentieren als Vorstände den neu gegründeten Berufsverband Digitale Wirtschaft Südostoberbayern. Bauer freute sich darüber, dass sich einige Unternehmensvertreter nicht nur als Geldgeber und Förderer verstehen, sondern sich sogar persönlich mit ihrem Know-how einbringen.
Mit im Boot sitzt die Hochschule Rosenheim, deren IT-Fakultät die Jungunternehmer von morgen ausbildet. Viele der Existenzgründer, die ins Stellwerk 18 eingezogen sind, kommen direkt aus dem Hörsaal.
Sie sind so wie Martin Angermeier (FutureTec) jung, leistungsbereit, stecken voller guter Ideen – und sollen dank günstiger Mietkonditionen und Unterstützung durch Netzwerke in der Region bleiben können. Denn, so stellte Pschierer fest: „Oberbayern ist mehr als nur München und Ingolstadt.“ Nicht nur in Metropolregionen darf sich nach seiner Überzeugung eine Gründermentalität entwickeln. Die Digitalisierung biete die Chance, mit Startups auch in die Fläche zu gehen. Umso deutlicher fiel seine Kritik an der Infrastruktur aus: „Ich bin nicht bereit, zu akzeptieren, was sich unsere drei Mobilfunkbetreiber erlauben.“ Immer noch gebe es viele total weiße Flecken ohne Netz – „untragbar für einen modernen Industriestaat“.
Ein zusätzliches Hemmnis für Startups im IT-Bereich: die Bürokratie. Auch beim Zurechtfinden im Dschungel der Regularien hilft das Stellwerk 18. Ein weiteres Problem stellte sich in der Diskussion von Stellwerk-Mietern mit Vertretern des Trägers und des Berufsverbandes heraus: Bisher gibt es keine Frau unter den zwölf Existenzgründern. Stellvertretende Landrätin Andrea Rosner zeigte sich zuversichtlich: „Viele junge Frauen haben sich schon auf den Weg gemacht.“ Jungunternehmer Schiffer brachte noch ein weiteres Thema ins Spiel: die ethische Frage, ob alles, was digital möglich ist, auch umgesetzt werden darf. Geschäftsmodelle sollten nicht allein auf Rendite ausgerichtet sein, forderte er unter dem Applaus der Gäste eine werteorientierte Wirtschaft. Peter Schindecker, stellvertretender Vorsitzender des Berufsverbandes, warnte trotzdem davor, durch Regulierungen den Wachstumsmotor Digitalisierung einzubremsen. Und Bauer zeigte sich überzeugt: Die digitale Welt werde von Menschen gemacht, der Humanismus gebe die Standards vor. Dazu passte die Segnung des Neubaus durch Dekanin Hanna Wirth und ihrem katholischen Kollegen Kaplan Gracious Chirattolickal.