von Redaktion

Die Lust am Ausschlafen hätte Tamara Seidenglanz beinahe die berufliche Karriere gekostet. Aber nur beinahe. Denn heute, mit 25, ist die Rosenheimerin Vizeweltmeisterin in ihrem Fach. Eine Geschichte über Träume, Wendepunkte und eine gute Portion Zielstrebigkeit.

Beinahe zu schön, um sie zu essen, sind diese Pralinen. Das Rezept hat Tamara Seidenglanz selbst entwickelt.

Kunstwerk: Kaum mehr als Torte zu erkennen ist dieses Meisterstück, das unter anderem einen Kern aus Kirschgelee enthält.Fotos Privat

Von der Liebe zur süßen Kunst

Rosenheim – Zwei Torten, 40 Pralinen, acht Zucker-Figuren, fünf Desserts und ein Schaustück später hat sie es geschafft: Tamara Seidenglanz darf sich zweitbeste Jung-Konditorin der Welt nennen. Gegen sechs ihrer Konkurrenten hat sie sich durchgesetzt. Lediglich dem Chinesen Lyu Haoran hat sie sich geschlagen geben müssen. Als sie den Pokal in ihren Händen hält und das Preisgeld in Höhe von 800 Euro, da fällt die Anspannung der vergangenen zwei Tage ab.

Feinstes Handwerk

in der Glasbox

13 Stunden hat sie insgesamt in einer gläsernen Box auf der Internationalen Bäckerei-Ausstellung in München geschuftet und geschwitzt. Unter den Augen von Messebesuchern, Freunden und ihrer Familie angekämpft gegen Aufregung und Zeitdruck. Während Hunderte Menschen Handybilder von ihr schießen, hat sie die Sorge niedergerungen, eine ihrer Kreationen für die „Konditorei des modernen Zeitalters“ könnte nicht funktionieren. Die Vanille-Tonka-Mousse nicht fluffig genug gelingen, das Haselnuss-Baiser innen zu flüssig geblieben sein oder das mit Stickstoff gefrorene Bier-Popcorn dann doch zu kalt und zu hart sein für die Juroren. „80 Prozent der Arbeit gehen da nicht nach Plan. Gefühlt hat es 100 Probleme gegeben“, sagt sie. Umso größer die Freude über den Titel. Er belohnt ihre Kompositionen. Bringt ihre Leidenschaft für das gehobene Konditor-Handwerk zum Leuchten.

Wenn Tamara Seidenglanz von ihrer Arbeit spricht, merkt man schnell, das hat mit Backen rein nichts mehr zu tun. Sie wählt Zutaten, um „Komponenten“ zu kreieren. Und je mehr davon sich in einer Praline, in einer Torte oder einer Zuckerfigur zusammenfinden, umso besser.

Eine Torte mit sieben Komponenten? Kein Problem. Wichtig ist nur, dass alle sieben harmonieren, im Mund als „Textur“ einzeln schmeckbar sind und sich schließlich zu einem unvergesslichen Geschmackserlebnis verbinden.

Undenkbar, so eine Erfahrung zu machen mit einem Schokoriegel aus dem Supermarkt. „Ich kann die nicht mehr essen“, sagt sie, „auch wenn ich es immer wieder versuche. Es schmeckt einfach nicht.“

Wählerisch ist sie über die Jahre geworden. Lediglich die Strudel der Mama und die Plätzchen der Tante halten ihrem Anspruch stand.

Etwas herstellen, das in Erinnerung bleibt, einzigartig ist – das macht den Anspruch der jungen Konditorin aus. Um ihm gerecht zu werden, hat sie sich dreieinhalb Monate auf die Weltmeisterschaft vorbereitet. Unterstützt von Manfred Bacher (58), Inhaber der Mühldorfer Konditorei „Egger“, selbst ehemaliger Weltmeister der Konditoren. In seiner Backstube hat sie ihre selbst entwickelten Rezepte ausprobiert, verfeinert. Manchmal auch verworfen – unter Tränen. In solchen Momenten war Manfred Bacher ihr „Mutmacher“. Der Mensch, der sie immer wieder darin bestärkt hat, den Weg weiterzugehen. Nicht mehr abzuweichen vom Traum, eine der besten Jung-Konditorinnen der Welt zu werden.

Dabei wäre beinahe alles ganz anders gekommen: Weil sie keine Lust hatte, früh aufzustehen, beschloss Tamara Seidenglanz schon früh, Grundschullehrerin zu werden. Einfach, um nicht am frühen Morgen in einer Backstube stehen zu müssen. Offensichtlich hatte sie da vergessen, dass sie bereits als kleines Mädchen nicht „Wohnung“ spielte, sondern viel lieber „Mein eigenes Café“. Dass sie im Sandkasten aus Förmchen wunderbare Kuchen buk, die ihre Oma kosten musste. Und wehe, wenn an Großmutters Lippen kein Sand klebte: „Dann bin ich richtig sauer geworden“, sagt sie.

Der Wille, stets

die Beste zu sein

An diese, ihr eigenen Vehemenz erinnerte sie sich erst viel später zurück, an der Fachoberschule. Zwar hatte sie sich in der siebten Klasse für das Hauptfach „Haushalt und Ernährung“ entschieden. Doch das „Schlüsselerlebnis“ kam im letzten Schuljahr. Als in Rosenheim der „Bio-Bäcker“ Wolter aufmachte, entschied sich Tamara Seidenglanz für die berufliche Laufbahn, die über eine Ausbildung in der Münchner Konditorei „Wittmann“ sowie zahlreiche gewonnene Wettbewerbe in die gläserne Box auf der Internationalen Bäckereiausstellung führte. Und an deren Ende nun erst einmal der Titel als Vizeweltmeisterin der Jung-Konditoren steht.

Angetrieben hat sie stets ihr Wille, die Beste zu sein. In der Schule, nach dem Abitur während der Lehrzeit, bei den Wettbewerben. Jetzt steht der 25-Jährigen die Welt offen. Sie könnte in die Vereinigten Arabischen Emirate gehen. Derzeit aber lebt sie in der Oberpfalz, arbeitet im Verkauf in der Konditorei ihres Freundes Max, der mit ihr zusammen in der Lehre war.

Gemeinsam wollen sie für ein Jahr nach Frankreich. Und dann? Tamara Seidenglanz kann sich vieles vorstellen: Produktentwicklung, Show-Baking oder ein Engagement, um das Handwerk bei Jugendlichen wieder beliebter zu machen.

Der Traum vom eigenen Café hat noch Zeit, findet sie. Genauso wie das lange Ausschlafen am Morgen. Sie hat es eigentlich nie vermisst.

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