Wasserburg – Die Bandbreite der ambulanten und stationären Angebote für Behinderte ist groß. Für Behinderte mit schweren Verhaltensauffälligkeiten ist die Zahl der Betreuungsplätze im Raum Oberbayern überschaubar. In der Stiftung Attl hat man sich aber auf diesen Personenkreis spezialisiert. Leonie und Fabian heißen die beiden jüngst eröffneten Wohngruppen, in denen die Menschen eine Heimat finden, für die in anderen Einrichtungen nicht gesorgt werden kann.
„Jetzt, nach einem halben Jahr, sind die Betreuten langsam angekommen“, meint Severin Martl, Leiter der Fabiangruppe. „Über ihre Biografien war uns nicht viel bekannt, sodass wir auch viel Zeit mit Beobachtung verbracht haben. Für die meisten von ihnen war der Umzug nach Attl eine enorme Belastung, was nicht selten mit schweren Aggressionen und Verhaltensauffälligkeiten einherging. Jetzt sehen wir aber, was alles möglich ist.“
Die Geschichte vieler Betreuter im Intensiv-Bereich ist geprägt von Psychiatrieaufenthalten und Heimwechseln. Oft haben sie gelernt, Aufmerksamkeit und Zuwendung über Aggressionen und Selbstverletzung zu bekommen. Eine der Aufgaben der Fachkräfte ist, ihnen alternative Verhaltensweisen zu vermitteln, damit sie lernen, Zuwendung und Aufmerksamkeit anders erhalten zu können.
Ein Weg führt dabei über Vorlieben und persönliche Bedürfnisse. Aufgrund des guten Stellenplans und des hohen Anteils an Fachkräften haben Betreuer Zeit. Ein weiterer Schlüssel sind verlässliche Strukturen. Diese schaffen Orientierung und vermitteln Sicherheit.
Sven ist 33 Jahre alt. Seit der Pubertät sind seine Beziehungen zu anderen geprägt von schweren autoaggressiven Verhaltensweisen. „Oft dauert es lange, bis man herausfindet, warum die Menschen bestimmte Sachen machen“, weiß Severin Martl.
Nach einem halben Jahr ist auch Sven in Attl angekommen. Er erzählt, dass er sich dort sehr wohl fühlt und möchte gerne einmal wieder mit einem Betreuer zum Einkaufen gehen. In der Wohngruppe gibt es einen gepolsterten Raum, den er gerne auch von sich aus nutzt: „Dann gehe ich hinein und boxe gegen die Wände, zum Austoben.“
„Für uns steht es an erster Stelle, Vertrauen zu schaffen“, sagt Martl. „Gleichzeitig müssen wir Betreuer aber auch herausfinden, wo der Einzelne steht und wo seine Grenzen liegen.“
Im August wurde die zweite Wohngruppe „Leonie“ mit sechs Bewohnern bezogen. Zwei weitere sollen folgen. Auch wenn für sie zum ersten Mal nach langer Zeit wieder so etwas wie ein normaler und geregelter Tageslauf geboten wird, wissen alle Verantwortlichen, dass dies nur eine Lösung auf Zeit ist, bis ein neues Haus gebaut wird (siehe Kasten).
„Darin wollen wir ein Wohnangebot für Menschen schaffen, die heute oftmals in der Psychiatrie sind, von denen wir aber wissen, dass sie in einer heilpädagogischen Wohnform besser im Leben begleitet werden können“, erklärt Jonas Glonnegger, Vorstand der Stiftung Attl, die Lage. Dabei gibt es Dinge, die finanziell nicht gefördert, aber dringend gebraucht werden.
„Das betrifft mitunter bauliche Wünsche oder auch die Einrichtung, die bei einer Intensiv-Wohnform andere Kriterien erfüllen muss“, betont Glonnegger. „Da sind wir sehr dankbar, dass die OVB-Heimatzeitungen mit ihren Lesern dieses Projekt unterstützen.“