Nußdorf/Traunstein – Einen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Nußdorf am 17. März dieses Jahres, einen Anschlag mit einem Silvesterraketen-Treibsatz am 2. April des Jahres und eine Hakenkreuzschmiererei an der Fassade des Gebäudes am 2. Februar 2018 wirft die Anklage zwei 24 und 21 Jahre alte Männern aus Nußdorf vor, die sich wegen der Taten derzeit vor dem Landgericht Traunstein verantworten müssen (wir berichteten). Die Beschuldigten rückten nach einem der Anschläge sogar mit der alarmierten Feuerwehr aus. Ein Polizeibeamter erinnerte sich im Zeugenstand jedoch nicht daran, die Angeklagten in den Reihen der Wehr gesehen zu haben.
Angeklagter will in
Helferkreis arbeiten
Nachdem das Feuer von selbst erloschen war, versuchte der Polizist, die aufgebrachte Menge vor dem Haus zu beruhigen. Zehn bis 15 Bewohner waren ins Freie geflüchtet. Unter ihnen war eine damals schwangere Asylbewerberin aus Nigeria. Bei ihrer Aussage herrschte gestern totale Stille im Gerichtssaal. Sie schilderte, sie habe geschlafen und sei durch ein lautes „Bumm“ aufgewacht. Unter ihrem Balkon habe ein großes Feuer gebrannt. Auf die Entschuldigung des 21-Jährigen, er habe nicht bedacht, was hätte passieren können, reagierte die Zeugin mit der Frage nach dem Grund für sein Handeln. Der 21-Jährige antwortete: „Weil ich so blöd war, weil ich mich selbst verhetzt habe. Ich wollte die Situation der Flüchtlinge gar nicht mehr sehen.“ Er beteuerte, seine Sicht habe sich verändert. Durch Kontakt mit Flüchtlingen im Gefängnis wisse er jetzt: „In ihrer Lage würde ich auch abhauen.“ Die Asylsuchende nahm seine Entschuldigung an und ergänzte: „Wir haben immer noch Angst, dass so etwas wieder passieren könnte.“
Der Angeklagte versicherte, von ihm werde so etwas „nie wieder ausgehen“, und fuhr fort, er wolle nach der Entlassung aus der Haft in den Asyl-Helferkreis eintreten. Das habe er mit seinem Anwalt und seiner Mutter besprochen. Die Asylbewerberin meinte, sie repräsentiere nicht alle Bewohner. Der 21-Jährige könne kommen und zu allen sprechen. Vorsitzender Richter Dr. Klaus Weidmann warnte den Angeklagten, in der Unterkunft allein aufzukreuzen. Er müsse vorher den Helferkreis kontaktieren. Der 24-Jährige bat ebenfalls um Verzeihung. Die Zeugin akzeptierte auch seine Entschuldigung.
Weinkrampf: Mutter
beruhigt ihren Sohn
Bei den Ermittlungen der Kripo Rosenheim war zu prüfen, ob die Angeklagten Teil einer Organisation waren. Der Sachbearbeiter konnte Kontakte zu anderen Gruppierungen völlig ausschließen. Das viele rechtsradikale Material auf seinen Rechnern habe der 21-Jährige im Lauf der Zeit aus dem Internet heruntergeladen. Die Nazi-Lieder auf seinem Handy stünden nicht auf dem Index. Während die Prozessbeteiligten fragwürdige Bilder auf seinem Computer ansahen, brach der 21-Jährige in einen Weinkrampf aus. Das Gericht musste warten, bis ihn die Mutter beruhigt hatte. Der Kripozeuge informierte weiter, bei Hausdurchsuchungen sei man auf pyrotechnische Gegenstände gestoßen, deren Gefährlichkeit nicht bekannt war. Deshalb habe man ein Sprengkommando aus München angefordert, „das das ganze Zeug mitgenommen hat“.
Dr. Klaus Stein vom Bayerischen Landeskriminalamt ging auf die im März 2018 verwendeten Seenotfackeln ein. Sie könnten brennbare Flüssigkeiten in Glasflaschen entzünden. Die in Deutschland legalen, aber manipulierten Silvesterböller vom April 2018 stufte Christian Scholl vom Landeskriminalamt als Materialien ein, die unter das Sprengstoffgesetz fallen.
„Beide Angeklagten hatten einen Hass auf Ausländer“, unterstrich Staatsanwalt Jan Salomon. Der Sachverhalt der Anklage habe sich bestätigt. Spontane Taten seien zu verneinen, sei doch der Tatort vorher ausgespäht und alles gemeinsam geplant worden. Die Angeklagten seien jeweils voll schuldfähig, die Taten äußerst gefährlich gewesen. In dem Haus hätten Familien mit kleinen Kindern gelebt. Die Bewohner litten bis heute unter den Folgen. „Besonders perfide“ sei, solche Taten „als Mitglieder der Feuerwehr zu begehen“. Motiv für alle Taten sei „die rechtsextreme Gesinnung“ der Angeklagten gewesen. Der Staatsanwalt forderte für den 24-Jährigen eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und fünf Monaten, für den Jüngeren eine Jugendstrafe in gleicher Höhe. Bei dem 21-Jährigen seien „schädliche Neigungen“ und die „Schwere der Schuld“ zu bejahen.
Verteidiger wollen
Bewährungsstrafen
Die Verteidiger argumentierten, ihre Mandanten hätten „keine Absicht“ gehabt, das Gebäude in Brand zu setzen. Richard Rill aus München beantragte für den 21-Jährigen eine Jugendstrafe „im Bewährungsbereich“, also von nicht mehr als zwei Jahren. Der ältere Angeklagte habe den jüngeren, „einen unreifen, labilen Außenseiter“, ein Stück weit mitgerissen. Letzterer habe große Reue gezeigt und sich von dem besagten Milieu distanziert. Von „zwei haltlosen jungen Männern“ sprach Walter Holderle aus Rosenheim als Verteidiger des 24-Jährigen. Die beiden hätten „keine Einsatzplanung“ gemacht, seien eher stümperhaft vorgegangen. Ihr Vorsatz sei „nur bedingt“ gewesen: „Sie haben darauf vertraut, dass nichts passiert.“ Die „versuchten schweren Brandstiftungen“ seien im Versuchsstadium steckengeblieben. Eine Strafe von zwei Jahren mit Bewährung sei angemessen.
Die Kammer verkündet das Urteil am morgigen Freitag um 13 Uhr.