Leiche verscharrt: Freispruch

von Redaktion

Landgericht begründet Urteil mit „prozessualer Fürsorgepflicht“

Schnaitsee/Traunstein – Im Mordprozess um den gewaltsamen Tod einer 53-jährigen Frau aus Altenmarkt, deren vergrabene Leiche gut zwei Monate später von Kindern bei Schnaitsee im Wald entdeckt wurde (wir berichteten), wird nur mehr gegen deren 21-jährigen Sohn verhandelt. Dem mitangeklagten 20-jährigen Freund erteilte die Jugendkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Dr. Klaus Weidmann gestern Freispruch. Die Prozesskosten erlegte das Gericht der Staatskasse auf. Der 20-Jährige wirkte erleichtert. Ob Staatsanwalt Markus Andrä Revision gegen das Urteil einlegt, war gestern nicht zu erfahren.

Dem Sohn der am 15. September 2017 in ihrer Wohnung Getöteten liegen Mord aus Heimtücke und niederen Beweggründen, dazu gefährliche und schwere Körperverletzung zur Last. Der Hauptangeklagte hat sich vor Gericht bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. Der Jüngere hatte dagegen – wie berichtet – am zweiten Verhandlungstag reinen Tisch gemacht. Bei dem mutmaßlichen Mord war der 20-jährige Trostberger nicht dabei. Der 21-Jährige hatte ihm am 15. September gegen 15 Uhr mehrere Nachrichten geschickt, er solle sofort kommen. Einen Grund nannte er nicht. Nach etwa einer Stunde fuhr der 20-Jährige nach Altenmarkt. Sein Freund sagte zu ihm: „Ich hab sie umgebracht.“ Der Jüngere ging mit ins Wohnzimmer, wo er hinter dem Tisch hellblaue Plastiksäcke sah, unter denen Beine hervorragten. Zu hören war ein Geräusch wie „langsames Blubbern“. Der 21-Jährige wollte keinen Notarzt – mit der Begründung, dazu sei es „zu spät“. Nach etwa einer Stunde im Keller kehrten die jungen Männer zurück ins Wohnzimmer.

Gemäß seinem Geständnis half der 20-Jährige, die Plastiksäcke um die Leiche mit Klebeband zu fixieren. Mithilfe einer Leiter brachten die beiden die Tote zum Auto des 21-Jährigen. Nach einer Irrfahrt mit zwei Autos auf der Suche nach einer Stelle zum Begraben des Leichnams landeten sie in einem Waldstück bei Schnaitsee. Dort stießen spielende Kinder am 22. November auf die Leiche, deren Hand aus dem Boden herausragte. Die Angeklagten reinigten den Tatort am nächsten Tag. Der 21-Jährige meldete seine Mutter als vermisst bei der Polizei.

Staatsanwalt sieht „Motivbündel“

Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, Michaela Augenschein, empfahl die Anwendung von Jugendstrafrecht für den zur Tatzeit 19-Jährigen – wegen seiner Reifeverzögerungen: „Er kommt noch einem Jugendlichen gleich. Er muss seinen Platz im Leben suchen.“ „Schädliche Neigungen“ seien zu verneinen. Die Sozialprognose sei „sehr positiv“. Auch deshalb sei eine Strafe mit Bewährung angebracht. Als Auflagen regte die Fachfrau eine Geldbuße und eine Therapiedauer von noch einem Jahr an.

Staatsanwalt Markus Andrä sah ein „Motivbündel“ – von dem Abhängigkeitsverhältnis zu dem 21-Jährigen bis hin zu eigenen Zukunftsängsten. Zur „unterlassenen Hilfeleistung“ betonte der Ankläger: „Selbst wenn er Hilfe geholt hätte, wäre das Opfer wegen der schwersten Kopfverletzungen nicht mehr zu retten gewesen.“ Dennoch habe der 20-Jährige Vitalzeichen, die „blubbernden Geräusche“, registriert: „In so einem Fall muss jeder vernünftige Mensch einen Notarzt rufen.“

Den Vorwurf der „Strafvereitelung“ vertrat der Staatsanwalt – wie später der Verteidiger und das Gericht – nicht mehr, weil der 21-jährige mutmaßliche Haupttäter bislang nicht wegen einer konkreten Straftat verurteilt wurde. Der 20-Jährige habe sich von Beginn an geständig gezeigt und sei „völlig unerwartet in das Tatgeschehen hineingeraten“, fuhr der Staatsanwalt fort. Andererseits wiege jedoch schwer: „Eine schwerverletzte Person liegt da. Dann stellt jemand seine eigenen Interessen voran.“ Strafschärfend sei darüber hinaus das Nachtatverhalten. Eine Jugendstrafe von einem Jahr mit Bewährung und Therapieauflage sei angemessen.

Von einer „Tragödie“ im Leben beider Angeklagten sprach Verteidiger Michael Fraunhofer aus Trostberg. Hinsichtlich der „unterlassenen Hilfeleistung“ gelangte er rechtlich zu einem anderen Ergebnis als der Staatsanwalt. Der Freund habe erklärt: „Ich hab sie umgebracht.“ Die 53-Jährige sei bei dem „blubbernden Geräusch“ schon in Folie verpackt gewesen. Sein Mandant durfte davon ausgehen, „dass Hilfe nichts mehr bringen würde“, so der Verteidiger. Freispruch müsse die Konsequenz sein. Die Geschehnisse würden den 20-Jährigen „nie mehr loslassen“.

Prozess-Fahrplan steht fest

Vorsitzender Richter Weidmann bezeichnete das Verhalten des 20-Jährigen als „von Anfang an kooperativ“. Er habe nach seiner Ankunft nur Minuten gehabt, „die Situation zu erfassen und emotional zu bewältigen“. Am Tod der Frau hätten notärztliche Maßnahmen laut Rechtsmediziner nichts mehr ändern können, der Sterbeprozess sei „irreversibel“ gewesen. Das „Geräusch“ sei kein Lebenszeichen mehr gewesen. Aus Gründen der „prozessualen Fürsorgepflicht“ habe die Kammer das Verfahren gegen den 20-Jährigen vom Hauptverfahren abgetrennt.

Die Kammer legte den Fahrplan für den Prozess gegen den 21-Jährigen fest mit Fortsetzung am 21. Dezember um 9 Uhr. Das Urteil soll am 26. Februar um 12 Uhr verkündet werden.

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