Maxlrain – Alles unter dieser 27-Grad-Marke führt zum Tod. Spitz auf Knopf stand es deshalb um Kannler, als ihn der Rettungsarzt und die Sanitäter übernahmen und ins Krankenhaus brachten. „Wir dachten, er schafft es nicht“, gestehen die Retter, die beiden Jäger Christoph Schnebelt und Michael Stahl gegenüber unserer Zeitung. Den beiden und Revierleiter Wolfgang Aniser merkt man die schweren Stunden, die Aufregung und den Schock der Rettung, die in der Nacht zum Sonntag stattfand, noch an. Kein Wunder – denn sie hätten fast einen langjährigen Weggefährten verloren.
Doch von Anfang an: 50 Zentimeter Schnee liegen im Maxlrainer Forst (Gemeinde Tuntenhausen), es ist kalt. Das hält den 91-jährigen Kannler aber nicht davon ab, seine Hochsitze abzugehen, die Futterstellen zu kontrollieren und im Wald nach dem Rechten zu sehen. Mit dem Bulldog ging er deshalb „auf die Runde“. Das Handy ließ Kannler im Auto, als er auf den Traktor umstieg. Ein Versäumnis, das ihn fast das Leben gekostet hätte.
Bei einer Lichtung war am Samstag gegen 14 Uhr Schluss mit dem Kontrollgang. Auf einer Eisplatte rutschte der passionierte Jäger „von altem Schrot und Korn“, wie seine Kollegen über ihn sagen, aus, stürzte und kam im Schnee nicht mehr auf die Beine. Er versuchte noch, zu einer Birke zu robben. „Daran wollte er sich aufrichten, doch die Kräfte haben Sepp verlassen, bevor er dort ankam“, sagt Schnebelt.
Dem 35-Jährigen war nach der Arbeit – spätabends – aufgefallen, dass Kannler nicht zu Hause, dessen Garage leer und der Bulldog fort war. „Meine Alarmglocken schrillten sofort. Ich habe mich auf die Suche gemacht. Ich kenne den Sepp, seit ich elf Jahre bin. Er war es, der mich für die Jagd begeisterte“, sagt der Lebensretter. Er machte sich sofort auf die Suche nach Kannler – obwohl es wegen der unter der großen Schneelast leidenden Bäume im Wald extrem gefährlich war. Schnebelt blieb selbst auf den Forstwegen mit dem Auto stecken, kämpfte sich dann zu Fuß weiter.
Gegen 23.15 Uhr alarmierte er den Jägerkollegen Michael Stahl. Der rückte mit einem Radlader aus und eilte zur Hilfe. Und die beiden Jäger hatten mit ihrer Suche Erfolg: An einer Lichtung fanden die beiden Kannler in einer Schneekuhle. Der 91-Jährige hatte sich in seiner Not an seine Zeit in russischer Kriegsgefangenschaft erinnert und durch Wälzen nach rechts und links eine Mulde geschaffen, die zumindest ein wenig Schutz vor dem eisigen Wind bot.
Als seine Retter ihn erreichten, war Kannler zunächst nicht bei Bewusstsein. „Ich habe ihn wachgerüttelt und auf ihn eingeredet“, schildert Schnebelt die entscheidenden Minuten. Irgendwann reagierte der 91-Jährige: „Er hat mich gefragt, was ich hier tue. Ich hab‘ ihm erklärt, dass wir ihn jetzt retten und aus dem Wald bringen“, sagt der 35-Jährige. Die prompte Antwort: „Dann mach!“
Durch seine Erfahrung bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) wusste Schnebelt, dass man unterkühlte Menschen nicht aufrichten soll – denn dann besteht die Gefahr einer Lungenembolie. Rückblickend vermutlich ein entscheidender Faktor dafür, dass der 91-Jährige überlebte. Kurzerhand wurde Kannler von Stahl und Schnebelt in die Radladerschaufel gehievt, mit Decken zugedeckt und vorsichtig zum Bauernhof hinter der Schlossbrauerei gefahren. Schnebelt lief hinterher und sprach die ganze Zeit mit dem 91-Jährigen.
Zu dem Bauernhof hatte Revierleiter Aniser bereits Notarzt und Sanka geleitet. Von dort ging es für Kannler direkt auf die Intensivstation in Vogtareuth. Dort wärmten ihn die Kollegen zunächst langsam auf und behandelten seine Erfrierungen. „Die Rettungskette hat hervorragend funktioniert. Jeder ist strukturiert vorgegangen, das hat vieles erleichtert“, erzählen Schnebelt und Stahl. Und: Kannlers Lebenswille und seine Zähigkeit sind in Jagdkreisen bekannt. Bestes Beispiel: Als ihm die Krankenschwester am Tag nach dem Vorfall einen Tee servierte, lehnte er ab. Stattdessen gab er zu verstehen, dass ihm ein anständiger Kaffee lieber sei.
Bevor es aber für ihn wieder in den Wald gehen soll – momentan ist er noch auf der Intensivstation – ist eines für seine Kollegen klar: „Wir haben schon mit der Familie gesprochen. Er wird einen Notknopf erhalten, der bis auf einen Meter zu orten ist“, sagt der Revierleiter. Aniser und Dr. Erich Prinz von Lobkowicz (der Forst gehört zu Schloss Maxlrain) wollen Schnebelt und Stahl als Lebensretter für die Helfermedaille vorschlagen. Eine „Heldentat“, nennt es der Prinz. „Selbstverständlich“ und „Fürsorge um einen Freund und Jagdgenossen“ nennen es Schnebelt und Stahl.