„Da gab ich mir die rote Kugel“

von Redaktion

Schneechaos Romed-Geschäftsführer mitten im Megastau auf A8 bei Frasdorf

Rosenheim/Prien/Frasdorf – Es ist dunkel, es schneit und Dr. Jens Deerberg-Wittram, der neue Geschäftsführer der Romed-Kliniken, will nach der späten Besprechung in Prien möglichst schnell nach Hause. Sein Mittagessen ist ausgefallen und außerdem zwickt der Rücken. Auf der Autobahn, so denkt er, müsste es am schnellsten gehen. Doch es kommt anders. Ganz anders! Bis 1.30 Uhr nachts wird er mitten im Schneechaos auf der A8 feststecken.

„Zunächst“, als er auf die Autobahn auffuhr, „war noch alles okay“. Doch rasch wurde der zäh fließende Verkehr langsamer und langsamer. Dann kam er ganz zum Erliegen. „Alles stand. Doch da war ich noch guter Dinge, dass es bald weitergeht“, erinnert sich Deerberg. Schließlich müsse er auch beruflich immer wieder mit kurzen Verzögerungen umgehen. „Das geht schon.“

Doch nach rund einer halben Stunde wurde auch sein Geduldsfaden kürzer. Inzwischen war es 18.30 Uhr und seine Frau dank Handy informiert, dass er es zum Abendessen und der späteren gemeinsamen Verabredung kaum schaffen wird.

Das Schneetreiben wurde heftiger, inzwischen waren andere Autofahrer ausgestiegen und diskutierten miteinander. „Wirklich neue Infos hatten sie aber auch nicht.“

Die Staumeldungen im Radio und von seinem Smartphone brachten ebenfalls nichts Neues. „Dass es einen Megastau auf der A8 gibt, ja, das haben wir mitbekommen. Wir standen ja mitten drin. Aber was war denn passiert und – die wichtigste Frage – wie schnell würde es weitergehen? Das hätte uns alle brennend interessiert.“

Ziemlich bald wurde es im Auto empfindlich kalt. Wie die anderen im Stau gefangenen Autofahrer entschied sich schließlich auch Deerberg, seinen Motor wieder zu starten. „Irgendwie hatte ich immer noch gehofft, dass sich der Stau auflöst und wir weiterfahren können. Da wollte ich nicht mit einer beschlagenen Scheibe dastehen.“

Natürlich sei das nicht sehr umweltfreundlich gewesen, gibt er zu. Aber kein Abendessen, kein heißes Getränk, nur seinen wattierten Wintermantel als wärmende Decke. Da sei man schnell bereit, wenigstens für einen warmen Innenraum zu sorgen.

Dann, nach rund einer Stunde Warterei im Megastau, hatte er alle seine Mails gecheckt, alle Telefonate abgearbeitet und sei eigentlich bereit gewesen, dass es nun weitergeht. „Ich hatte mich auch schon wieder angeschnallt“, sagt er und lächelt über seine Betriebsamkeit. „Doch ziemlich schnell merkst du, dass du gar nichts ändern kannst und deine Hektik nichts, aber auch gar nichts an deiner Situation ändert. Und allmählich kriecht die Resignation heran.“

Zum wiederholten Mal hatte er inzwischen seiner Frau einen Wasserstandsbericht durchgegeben, alle Termine waren abgesagt. „Ich saß in meinem Auto, überall brummten die Motoren, und ich fing an, das Geschehen passiv zu ertragen.“

Zwei Lichtblicke gab es in dieser wirklich „stockfinsteren Zeit“: Eine zart schmelzende Schokokugel, eingepackt in weihnachtlich rotem Papier, und genügend Benzin im Tank. „Laut Anzeige hätte ich noch 700 Kilometer fahren können. Diese Info beruhigt in einer solchen Situation ungemein“, gesteht Deerberg. „Hätte ich kein Benzin mehr gehabt, hätte ich sicher beim nächsten Lkw-Fahrer angeklopft.“ In solchen Ausnahmesituationen rückt man eben schnell zusammen.

Der absolute Höhepunkt des einsamen Abends im Schneechaos mitten auf der A8 bei Frasdorf war aber die Schokokugel. Sie löste echtes Glücksempfinden aus. „Eine zweite wäre nicht schlecht gewesen“, seufzt der Romed-Geschäftsführer. „Zu den deprimierenden Aspekten gehörte, dass du ausgeliefert bist und dich nicht mal von der Autobahn über den Acker davon machen kannst. Du musst bleiben, wo du bist. Dieses totale Eingesperrtsein, diese Ausweglosigkeit, war nicht schön.“

Inzwischen war es 23 Uhr geworden und seine Frau hatte ihm erklärt, dass sie nun gedenkt, ins Bett zu gehen und sein Abendessen in den Kühlschrank stellt. „Das war für mich das Stichwort. Inzwischen kannte ich alle Seiten der Betriebsanleitung des Wagens auswendig und konnte souverän die verschiedenen Liegepositionen der Sitze einstellen. Schlafenszeit auch für mich.“ Dann döste er vor sich hin, bis plötzlich gegen 1.15 Uhr ein THW-Mitarbeiter an seine Scheibe klopfte. Er sagte, dass es jetzt in etwa 15 Minuten weitergehen wird. Die verunglückten Lkws seien von der Fahrbahn geräumt.

Seine erste Reaktion: „Danke! Sie machen einen tollen Job!“ Dann bewegten sich die ersten Autos und es ging tatsächlich langsam vorwärts. „Schließlich sah ich die von der Fahrbahn gerutschten Lastwagen und die wirklich schweren Räumgeräte.“

Zuhause – es ging gegen 2 Uhr – machte sich Dr. Jens Deerberg-Wittram über den Kühlschrank her. „Nach der Suppe vertilgte ich etliche Brote“, erinnert er sich und sagt: „In Zukunft werde ich immer etwas zu trinken und zumindest einen Powerriegel im Auto deponieren. Diese Nacht im Auto soll mir eine Lehre sein.“

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