„Hassliebe zwischen Mutter und Sohn“

von Redaktion

Prozess um Mord von Schnaitsee: Anwendung von Jugendstrafrecht empfohlen

Traunstein/Altenmarkt/Schnaitsee – Der 57-jährige Vater des mutmaßlichen 21-jährigen Muttermörders – er soll die 53-Jährige am 15. September 2017 in Altenmarkt schwer verletzt und mit einem Hammer erschlagen, die Leiche mit Hilfe eines Freunds nahe Schnaitsee vergraben haben – sagte gestern vor der Jugendkammer Traunstein als Schwurgericht aus. Der Witwer beschrieb die Tote als ab Ende 2016 psychisch krank. In der nicht gerade glücklichen Beziehung habe man sich arrangiert. Der Zeuge wörtlich: „Der Junge stand zwischen mir und meiner Frau. Meine Frau stand zwischen mir und dem Jungen.“

Gemeinsam

am Gardasee

Die Leiche der 53-Jährigen wurde erst am 22. November 2017, mehr als zwei Monate nach ihrem Tod, von Kindern im Wald entdeckt. Der 21-Jährige hatte in der Zwischenzeit ein ganz normales Leben geführt, seine Mutter lediglich bei der Polizei als vermisst gemeldet auf Rat des 57-Jährigen. Einige Tage verbrachten Vater und Sohn im Oktober 2017 gemeinsam am Gardasee.

Der Zeuge zog nach dem Verschwinden der 53-Jährigen in Betracht, seine Frau habe sich irgendwohin „abgesetzt“. Dass ihr jemand etwas angetan habe, schien dem 57-Jährigen weniger wahrscheinlich. Der Junge habe „überhaupt nichts“ angedeutet, dass er mit dem Verschwinden der 53-Jährigen etwas zu schaffen haben könnte: „So etwas ist mir gar nicht in den Sinn gekommen. Mir ist an ihm emotional nichts aufgefallen.“

Der Zeuge meinte in der noch immer nicht öffentlichen Sitzung, er habe in der Zeit der Ungewissheit beim Übernachten in dem Haus Angst gehabt, seine Frau könnte zurückkehren. Damit spielte der Verkaufsleiter auf Szenen und Streits zu Lebzeiten der 53-Jährigen an. Die Frau war nach Überzeugung des 57-Jährigen ab Ende 2016 psychisch auffällig. Nach Rückkehr von einer Dienstreise habe sie ihm misstraut. Mehrmals habe sie ihn angezeigt. Schließlich sei er ausgezogen, „weil ich es nicht mehr ausgehalten habe“. Von dem Finden der Leiche und dem Tatverdacht gegen den Sohn habe er in Indien erfahren, erinnerte sich der Zeuge. Er sei sofort zurückgekehrt.

Nach Worten des sehr sachlich wirkenden 57-Jährigen vor dem Schwurgericht mit Vorsitzendem Richter Dr. Klaus Weidmann hatten Mutter und Sohn ein besonderes Verhältnis: „Er war ihr Ein und Alles.“ Bei der Heirat und der Anerkennung der Vaterschaft durch den 57-Jährigen – leiblicher Vater ist ein Südamerikaner – sei der Bub etwa zwei Jahre alt gewesen.

Bei der Erziehung seien er und seine Frau auseinandergedriftet: „Sie sagte, er könne keine Regeln vertragen. Deshalb bekomme er keine.“ Der Verkaufsleiter unterstrich, er sei anderer Ansicht gewesen, habe sich aber nicht durchsetzen können: „Ich hatte keine Chance. Ich war geschäftlich viel unterwegs. Die Bindung zwischen den beiden war enger. Ich konnte kein Verhältnis zu ihm aufbauen.“

Mit autoritären Erziehungsmethoden habe man bei dem Jungen nichts erreichen können. Er sei ab der Schulzeit „extrem menschenscheu“ geworden. Das habe sich später noch verfestigt. Auf Frage nach konkreter Hilfe, zum Beispiel durch eine Therapie, antwortete der Vater: „Das stand nicht zur Diskussion.“ Der Angeklagte habe das Gymnasium abgebrochen und danach „das gemacht, was er wollte“.

2005 – so der 57-Jährige weiter – habe seine Frau ein eigenes Pferd erhalten. Das Tier habe immer mehr Raum in ihrem Leben eingenommen. Der Sohn sei darüber „ins Hintertreffen geraten“. Der Vater interpretierte: „Der Vertrauensentzug, der mir widerfahren ist, ist auch dem Jungen widerfahren. Er wurde von ihr meines Erachtens in die gleiche Schublade gesteckt.“

Auf Frage des Gerichts erwiderte der Zeuge, Mutter und Sohn seien „stur“ und „sehr impulsiv“ gewesen, hätten oft lautstark gestritten. Manchmal habe es „blaue Flecken“ gegeben – aber nur vom „Festhalten“. Angefangen mit einem Streit habe zumeist der Sohn, wenn ihm etwas nicht passte. Die Äußerung vor der Polizei, der Angeklagte sei „sowohl Täter als auch Opfer“, erläuterte der 57-Jährige: „Sie hat ihn – wie mich – zurückgestoßen. Damit war sein letzter Halt im Leben weg.“

Die Prozessbeteiligten hakten gestern in einzelnen Punkten nach, etwa hinsichtlich der psychischen Veränderungen der 53-Jährigen und deren Auswirkungen auf die Familie. Der 57-Jährige verneinte „laute Konflikte“. Man habe „eher nebeneinanderher gelebt“. Der 21-Jährige erschien bei der Aussage gewohnt unberührt.

Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, Michaela Traud, berichtete, der 21-Jährige habe keine klaren Zielvorstellungen für sein Leben, keine Interessen, nur an „schönen Dingen“. Er sei ein „Einzelgänger“, der in seiner eigenen Welt gelebt habe. Keinesfalls sei er einem Erwachsenen gleichzustellen. Ihm fehlten soziale Kompetenz, geeignete Problemlösungsmöglichkeiten, die Fähigkeit, sich gegenüber seinem Umfeld zu äußern.

Erhebliche Reifeverzögerung

Der 21-Jährige sei durch die familiäre Situation „völlig überfordert gewesen“. Zwischen Mutter und Sohn habe zuletzt eine „Hassliebe“ geherrscht. Das sei auch der Hintergrund der Tat. Die Fachfrau befürwortete erhebliche Reifeverzögerungen, therapeutische Maßnahmen und die Anwendung von Jugendstrafrecht. „Schädliche Neigungen“ lägen nicht vor.

Psychiatrische Gutachten stehen am 19. Februar, vielleicht auch noch am 20. Februar, auf dem Plan. Die Plädoyers des Staatsanwalts und der Verteidiger, Dr. Herbert Buchner aus Traunstein und Dr. Adam Ahmed aus München, sowie das Urteil sind für 22. Februar vorgesehen.

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