Haft für zweiten BMW-Fahrer

von Redaktion

Unfalltod zweier Frauen: Verteidiger hält Berufung für „wahrscheinlich“

Rosenheim/Samerberg – Bei der Urteilsverkündung war dem 25-jährigen Angeklagten aus Riederinger die Farbe völlig aus dem Gesicht gewichen: Zwei Jahre und drei Monate muss der junge Mann in Haft. Zudem wird sein Führerschein für zwei Jahre und sechs Monate eingezogen.

Das Rosenheimer Schöffengericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte am 20. November 2016 den damals 24-jährigen Simon H. aus Ulm beim Überholvorgang am Wiedereinscheren gehindert hatte. Der Ulmer krachte damals auf der Miesbacher Straße in Rosenheim frontal in ein mit drei jungen Frauen vom Samerberg besetzten Nissan Micra. Zwei der Insassinnen starben, eine junge Frau wurde schwer verletzt (siehe Kasten).

Nachdem alle Zeugen ausgesagt hatten, versuchte zunächst der Sachverständige Andreas Thalhammer anhand mehrerer Simulationen die Aussagen auf deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Aufgrund vieler fehlender Parameter ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Nach Angaben von Thalhammer könnte sich der Abstand der beiden BMW-Fahrer – bei einer angenommenen Geschwindigkeit des Golf-Fahrers von 88 bis 94 km/h und einer Geschwindigkeit von 75 bis 80 km/h der BMW-Fahrer – zwischen knapp acht und fast 24 Metern bewegt haben. Zugrunde gelegt hatte er dabei unter anderem die Aussage des Beifahrers im hinteren BMW, der davon sprach, die beim Zusammenstoß hochgewirbelten Glassplitter gehört zu haben.

Angaben, die für Staatsanwalt Jan Salomon durchaus plausibel klangen. Er sah die Vorwürfe als erwiesen an und forderte für den Angeklagten daher eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und einen Entzug der Fahrerlaubnis für einen Zeitraum von zwei Jahren und sechs Monaten.

Staatsanwalt sieht Rücksichtslosigkeit

Nach Ansicht Salomons hatten die BMW-Fahrer bereits auf der B15 ein „Beschleunigungsrennen vorbereitet“, was Zeugen bestätigt hätten. Die Aussagen des Unfallfahrers aus Ulm wertete er als „absolut glaubwürdig“. „Er hat sich erheblich selbst belastet, aber in Hinblick auf den Angeklagten keinen Belastungseifer gezeigt“, sagte der Anklagevertreter. Den BMW-Insassen, die untereinander befreundet sind, warf er hingegen vor, Absprachen getroffen und falsche Angaben zu Geschwindigkeiten und Abständen gemacht zu haben: „Es liegt nahe, dass sie den Angeklagten schützen wollten.“ Salomon zeigte sich überzeugt davon, dass „die Abstandsangaben der BMW-Insassen widerlegt sind“ und warf dem Riederinger vor: „Er hat bewusst die Lücke geschlossen, um das Einscheren zu verhindern.“ Salomon: „Das Verhalten war rücksichtslos.“

Eine Einschätzung, der Dr. Andreas Michel, Anwalt des 25-jährigen Angeklagten, keineswegs folgen konnte. Er warf dem Ulmer Unfallfahrer vor, mehrere Versionen des Unfallgeschehens präsentiert zu haben. „Welche Version stimmt denn jetzt? Ich weiß es nicht, denn ich war nicht dabei.“

Stattdessen sah Michel die alleinige Schuld am Unfalldrama beim Golf-Fahrer aus Ulm, weshalb er auch einen Freispruch für seinen Mandanten forderte. „Er wollte sich als Golf-GTI-Fahrer nicht von zwei BMW-Fahrern überholen lassen“, war sich der Verteidiger sicher und brachte zudem die Möglichkeit ins Spiel, dass sich der heute 26-jährige Ulmer seine Geschichte auch bei einem Telefonat mit seiner Schwester direkt nach dem Zusammenstoß ausgedacht haben könnte.

Die Angaben der BMW-Beifahrer hingegen wertete der Verteidiger als absolut plausibel und führte dazu auch Notizen von Polizeibeamten ins Feld, die die Zeugen nach dem Unfall als „absolut glaubwürdig“ eingestuft hatten.

Weshalb es im Rahmen der Ermittlungen letztlich dazu kam, dass die BMW-Fahrer zunächst als Zeugen vernommen wurden, später aber als Beschuldigte in den Fokus rückten, sei laut Michel nicht zuletzt auf die mediale Berichterstattung zurückzuführen, die oftmals von möglichen Rennen mit BMW-Fahrern gesprochen hätte.

So sei die Berichterstattung auch Grund dafür gewesen, dass sein Mandant gegenüber den Hinterbliebenen nicht sein Mitgefühl ausgedrückt habe. Michel: „Hätte er das gemacht, hätte es doch nur geheißen, dass er vor Gericht punkten will.“ Stattdessen habe er seinem Mandanten geraten, sich nicht zu äußern, um somit die Neutralität zu wahren.

Richterin: „Abstand

zu gering“

Begründet wurde das Urteil von der Vorsitzenden Richterin Dr. Cornelia Doliwa vor allem mit dem zu geringen Abstand der beiden BMW-Fahrer, der dem Unfallfahrer die Chance auf ein Wiedereinscheren genommen hatte. „Wir sind überzeugt, dass der Abstand einfach zu gering war“, sagte Doliwa in der Urteilsbegründung. „Ohne dem rücksichtlosen Verhalten des Angeklagten wäre es nicht zu dem Unfall gekommen.“

Franz Daxlberger, Vater der beim Unfall getöteten Ramona Daxlberger, äußerte sich direkt nach dem Urteilsspruch zurückhaltend. „Es war ein weiterer Schritt zu Gerechtigkeit. Jetzt müssen wir aber abwarten, was bei einer möglichen Berufung passiert.“

Ob der Angeklagte in Berufung gehen wird, ist laut dessen Anwalt noch offen. „Das muss mein Mandant entscheiden“, sagte der Verteidiger gegenüber den OVB-Heimatzeitungen, ergänzte im Anschluss aber: „Es ist natürlich sehr wahrscheinlich.“

Kurz vor der Beratung der Richterin mit den Schöffen hatte Ralf Rüth, Vater der tödlich verunglückten Melanie Rüth, das Wort ergriffen und geschildert, wie die Hinterbliebenen Tag für Tag mit der Unfalltragödie konfrontiert sind. „Wir sind letztlich die, die lebenslänglich haben“, sagte Rüth mit brüchiger Stimme. „Ich würde liebend gerne mit den Familien der Angeklagten tauschen. Deren Kinder kommen, wenn sie verurteilt werden, nach einigen Jahren wieder aus dem Gefängnis. Unsere kommen nie mehr nach Hause.“

Samerbergerinnen sterben bei Frontalzusammenstoß

Es war ein Unfalldrama, das die Menschen der Region auch 27 Monate später bewegt: Am Sonntag, 20. November 2016, war Melanie Rüth (21) vom Samerberg in ihrem Nissan Micra mit ihren Freundinnen Lena und Ramona Daxl-berger (15) auf dem Weg nach Hause, als ihr um 21.04 Uhr auf ihrer Spur der damals 23-jährige Simon H. aus Ulm entgegenkam und frontal in den Nissan krachte. Die 21-Jährige starb noch an der Unfallstelle, Ramona Daxlberger, die auf dem Rücksitz gesessen hatte, wenige Stunden später im Krankenhaus. Ramonas Schwester Lena, heute 21 Jahre alt, überlebte schwerstverletzt. Schnell rückten auch zwei BMW-Fahrer in den Fokus der Polizeiermittlungen, nachdem unter anderem der Ulmer Unfallfahrer direkt nach dem Zusammenstoß davon sprach, von den BMW-Fahrern am Wiedereinscheren gehindert worden zu sein. Während die Ermittlungen gegen den hinteren Fahrer zunächst eingestellt wurden, musste sich neben Simon H. auch der vordere BMW-Fahrer, Daniel R. aus Kolbermoor, im Frühjahr 2018 vor Gericht verantworten. Das Rosenheimer Schöffengericht sah es damals als erwiesen an, dass der Ulmer zwar die Situation falsch eingeschätzt, der Kolbermoorer aber den Ulmer am Einscheren gehindert hatte. So verurteilte das Gericht Simon H. zu 20 Monaten Haft auf Bewährung, während Daniel R. eine Haftstrafe von zwei Jahren antreten soll. Der Kolbermoorer hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Das Rosenheimer Gericht legte der Staatsanwaltschaft zudem nahe, auch die Ermittlungen gegen den zweiten BMW-Fahrer erneut aufzunehmen. Deshalb muss sich der Riederinger nun vor Gericht verantworten.mw

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