Traunstein/Kolbermoor – Mehrere Stiche mit einem Klappmesser nach einem Streit um einen Laptop brachten einen inzwischen 25-Jährigen und seine 48 Jahre alte Mutter in Kolbermoor in potenzielle Lebensgefahr. Glücklicherweise überlebten beide. Der mutmaßliche Täter, ein 59-jähriger Italiener, muss sich seit gestern wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen und gefährlicher Körperverletzung vor dem Schwurgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Erich Fuchs verantworten (wir berichteten).
Die Tat ereignete sich am 31. Oktober 2018 in einer kommunalen Unterkunft. Der Angeklagte lebte mit seiner Freundin zusammen, die 48-Jährige nebenan. Vorher schon hatte es Debatten zwischen den Nachbarn wegen des Laptops gegeben. Den Computer hatte die Lebensgefährtin des Angeklagten für 350 Euro auf Raten erworben und der 48-Jährigen, die ihn angeblich selbst nicht kaufen konnte, überlassen. Die Nutzerin sollte ihrerseits die Raten übernehmen. Als die 48-Jährige nach einer ersten Abschlagszahlung nichts mehr leistete, forderte der 59-Jährige den Laptop im Namen seiner Freundin zurück.
Die 48-Jährige rief an jenem Abend den Sohn in dessen Wohnung an. Er solle kommen, sie werde von den Nachbarn bedroht. Zweimal wurde der 59-Jährige, der den Laptop abholen wollte, laut Anklage vertröstet – mit dem Hinweis, die Daten der Mutter müssten erst gelöscht werden.
Gegen 22.25 Uhr klingelte der Italiener wieder bei der 48-Jährigen. Nach einem Gerangel mit dem 25-Jährigen ging der 59-Jährige in seine Wohnung, nahm ein Taschenmesser und kehrte zu Mutter und Sohn zurück. Dort soll er mehrfach zugestochen haben. Ein Stich in die Brust des 25-Jährigen traf genau dessen Brustbein. Dadurch drang die Waffe glücklicherweise nicht tiefer ein.
Mitbewohner des Hauses verständigten die Polizei über Notruf. Der junge Mann musste wegen diverser weiterer, aber nicht lebensbedrohlicher Verletzungen drei Tage stationär im Krankenhaus Rosenheim verbringen. Seine Mutter trug einen tiefen Stich in den Oberkörper mit Eröffnung der Brusthöhle davon. Eine Notoperation rettete das Leben der Frau, die zehn Tage in einer Klinik in Bad Aibling bleiben musste. Gestern erschien die 48-jährige Nebenklägerin wegen einer akuten Erkrankung nicht bei Gericht. Ihr Anwalt, Jakob Gerstmeier aus Kolbermoor, legte dazu ein Attest vor.
Nach ersten Zeugenanhörungen geriet der 59-Jährige damals schnell ins Zentrum der Ermittlungen. Der Angreifer war zunächst zu Fuß Richtung Inn geflüchtet, hatte sich einige Zeit versteckt und war dann nach München gefahren. Im Rahmen einer Großfahndung, bei der auch ein Polizeihubschrauber im Einsatz war, konnte der 59-Jährige am nächsten Tag in der Nähe des Tatortes in Kolbermoor widerstandslos festgenommen werden. Seither wartete er in Untersuchungshaft auf die Hauptverhandlung.
Als Verteidiger steht ihm Walter Holderle aus Rosenheim zur Seite. Der sofort nach der Festnahme geständige Angeklagte schilderte gestern zu seiner Vita, er habe abwechselnd in Süditalien und in Deutschland Gelegenheitsarbeiten angenommen. Zuletzt sei er arbeitslos gewesen. In der Gemeinschaftsunterkunft hätten seine Freundin und er sich nicht wohl gefühlt – vor allem wegen der Drogen und des Alkohols dort. Er selbst habe damit keine Probleme, betonte der 59-Jährige.
Der Italiener räumte den Sachverhalt der Anklage, die Staatsanwalt Markus Andrä vertritt, gestern vor dem Schwurgericht ein. Mutter und Sohn hätten ihn und seine Lebensgefährtin provoziert. Er, so der 59-Jährige, sei „völlig überlastet“ gewesen und unter Stress gestanden. „Der Sohn kam auf mich zu. Was genau in dem Moment passiert ist – das war nicht ich“, meinte er wörtlich.
Der 25-Jährige schilderte gestern den Ablauf der Angriffe. Der erste Stich sei in der offenstehenden Tür erfolgt, weitere Stiche auf dem Bett, auf das er beim Zurückweichen vor den Attacken rücklings gefallen sei. Seine Mutter habe möglicherweise versucht, sich schützend vor ihn zu stellen.
Eine vom Angeklagten angeführte auffallende Tätowierung, die diesem angeblich „Angst vor der Mafia“ eingeflößt hatte, erklärte der 25-Jährige mit einer „Jugendsünde“. Er sei früher Sechziger-Anhänger gewesen und habe sich den Namen einer Fan-Gruppe stechen lassen. Der Nebenkläger berichtete zu den Folgen der Tat, er habe bis heute Probleme an einer Hand und leide unter Schlafstörungen.
Der Prozess wird am 7. und 20. Mai jeweils um 9 Uhr fortgesetzt.